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Alter Streit

28. Dezember 2011

Gute Nachricht für Deutschlands Arbeitnehmer? Das Deutsche Institut für Wirtschaftforschung fordert deutliche Lohnsteigerungen, doch damit ist längst nicht jeder einverstanden. Ein alter Streit bricht erneut aus.

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Bild: picture-alliance/chromorange

Der Streit um die Lohnzurückhaltung in Deutschland schwelt schon lange. Nicht nur, dass Arbeitnehmer, Gewerkschaften und linke Parteien den seit Jahren zu beobachtenden Reallohnverlust anprangern, weil seit Jahren die Löhne weniger deutlich steigen als das Geld durch die Inflation entwertet wird. Die Kritik kommt auch von außerhalb und sie trägt grundsätzliche Züge. Die heutige Chefin des Internationalen Währungsfonds IWF, Christine Lagarde, hatte schon vor fast zwei Jahren die Deutschen aufgefordert, die Binnennachfrage zu stärken. Lagarde, damals noch Finanzministerin in Paris, warf Deutschland vor, sich Vorteile auf Kosten anderer zu verschaffen.

Diese Vorwürfe waren auch hierzulande zu hören: Deutschlands starke Exportwirtschaft dränge andere Volkswirtschaften an den Rand - gerade auch die schwächeren Wirtschaften in der Euro-Zone. Einerseits profitiere Deutschland von seinen Exportüberschüssen, vernachlässige aber andererseits auf sträfliche Weise den eigenen Binnenmarkt. Der Chefvolkswirt des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Dierk Hirschel, hatte in diesem Zusammenhang gegenüber der Deutschen Welle gesagt, "das eine hängt mit dem anderen zusammen". Denn "je mehr der deutsche Binnenmarkt am Boden liegt, desto weniger können diese Staaten nach Deutschland exportieren."

Christine Lagarde bei einer IWF-Konferenz in Washington Foto:Jose Luis Magana/AP/dapd
Christine Lagarde fordert LohnerhöhungenBild: dapd

Mehr Geld! Oder lieber doch nicht?

Nun kommt diese Kritik erneut auf - diesmal aber nicht von Gewerkschaftsseite, sondern vom Deutschen Institut für Wirtschaftforschung (DIW). Am Mittwoch (28.12.2011) zitierte die Nachrichtenagentur dapd den DIW-Vorstandvorsitzenden Gert Wagner mit den Worten: "Wegen der Euro-Krise wäre es volkswirtschaftlicher Unsinn, zu Lohnzurückhaltung aufzurufen." Statt weiterer Reallohnverluste seien Lohnzuwächse von drei Prozent zu erwarten, "in manchen Branchen sogar deutlich mehr."

Frau in einer Badewanne voller Geld
So weit wird's wohl nicht kommen, aber wer weiß?Bild: Fotolia/Franz Pfluegl

Dem wurde von anderer Seite sofort energisch widersprochen. Der gleichen Nachrichtenagentur etwa sagte DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann, Tarifabschlüsse sollen vielmehr "mit Augenmaß entschieden werden". Nach Ansicht des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) ist wegen der anhaltenden Eurokrise weiterhin Lohnzurückhaltung angezeigt, um "den Beschäftigungsaufbau nicht zu gefährden."

Keine rein deutsche Frage

Die Frage, ob in Deutschland höhere Löhne gezahlt werden müssten, um die Binnennachfrage zu stärken, oder eben nicht, ist jedenfalls nicht nur ein Problem der deutschen Wirtschaft. Der Chefökonom der UNCTAD, der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung, Heiner Flassbeck, warf Deutschland sogar vor, mit seinem Lohngefüge die gegenwärtige Eurokrise verschuldet zu haben. Dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte er am Mittwoch, "die deutsche Niedriglohnpolitik ist der Hauptgrund für die Euro-Krise."

UNCTAD-Direktor Heiner Flassbeck im UN-Gebäude in Genf Foto: AP Photo/Keystone, Martial Trezzini
Ökonom Heiner FlassbeckBild: AP

Flassbeck begründete seine Meinung damit, dass die niedrigen Löhne und die daraus entstandene Konsumzurückhaltung in Deutschland dafür gesorgt hätten, dass die Inflation hier niedriger sei als in anderen europäischen Ländern. Diese Wettbewerbsverzerrung sei der Hauptgrund, "dass die Euro-Zone auseinanderzubrechen droht." Der UNCTAD-Ökonom fordert daher: "Die Löhne in Deutschland müssten stärker steigen, in anderen Ländern viel weniger."

Vorbild Deutschland?

Die nationale Wirtschaftspolitik Berlins hat immer eine europäische Dimension, weil Deutschland die größte und einflussreichste Volkswirtschaft innerhalb der Europäischen Union ist. Doch die deutsche Lohnpolitik für Missstände innerhalb der EU oder der Euro-Zone verantwortlich zu machen, empfinden viele als eine Zumutung. Sie fordern die schwächeren Länder am Rande Europas auf, doch lieber dem deutschen Beispiel der Konsolidierung und des Sparens zu folgen.

Im März 2010 etwa hatte der Präsident des Bundesverbandes des deutschen Groß- und Außenhandels, Anton Börner, der Deutschen Welle gesagt, er halte die Kritik an der deutschen Wirtschaftspolitik für "glatten Unsinn". Diese Vorwürfe kämen eben von all jenen Ländern, "die ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht so nach vorne gebracht haben, wie wir das getan haben."

Dem stehen die aktuellen Forderungen des DIW und der UNCTAD und möglicherweise auch die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der anderen Mitglieder der Europäischen Union entgegen. Es wird nun wieder diskutiert, was Christine Lagarde schon vor zwei Jahren gefordert hat: Deutschland müsse endlich für höhere Löhne im eigenen Land sorgen.

Autor: Dirk Kaufmann
Redaktion: Rolf Wenkel