1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Streit in Polen über Wahlen trotz Corona

30. März 2020

Wahlkampf ist wegen Corona unmöglich, trotzdem will die regierende PiS im Mai einen neuen Präsidenten wählen lassen. Dazu hat sie bereits eine offensichtlich verfassungswidrige Änderung des Wahlrechts durchgesetzt.

https://p.dw.com/p/3aD9s
Coronavirus in Polen Warschau Ausgangssperre
Der "epidemische Notstand" sorgt in Warschau für leere Straßen und verhindert einen regulären WahlkampfBild: picture-alliance/Xinhua/Zhou Nan

In Polen wächst der Widerstand gegen die Haltung der Regierung, trotz der Corona-Pandemie am Termin für die Präsidentschaftswahl festzuhalten. Einige bedeutende Bürgermeister des Landes äußerten öffentlich ihre Sorge, dass sich bei einem Urnengang am 10. Mai viele Wähler und Wahlhelfer mit dem Virus infizieren könnten. Jüngsten Zahlen zufolge sind in Polen bislang 1860 Menschen infiziert, 22 Patienten sind gestorben. Die Regierung rechnet mit einer Steigerung in "exponentieller Geschwindigkeit".

Der Oberbürgermeister der Hauptstadt Warschau, Rafal Trzaskowski, schrieb in einem Online-Posting: "Im Gespräch mit Regierungschef Mateusz Morawiecki habe ich klar gesagt, dass nach meiner Einschätzung (...) die Wahl mit Blick auf die Sicherheit der Bevölkerung nicht zum geplanten Termin stattfinden kann." Seine Amtskollegen in Wroclaw, Sopot und Gdynia und anderen Städten äußerten sich ähnlich.

Versammlungsverbot verhindert Wahlkampf

Laut Umfragen fordert auch eine Mehrheit der Bevölkerung, die Wahl zu verschieben. Ob die Regierung sich dem Druck beugt, gilt als völlig offen: Am Freitag deutete Vize-Regierungschef Jaroslaw Gowin eine Verschiebung um ein Jahr an, stellte allerdings gleichzeitig klar, es sei keine Entscheidung getroffen. Offiziell hält die rechtskonservative PiS-Partei weiter an dem Termin fest. In Umfragen hält ihr Kandidat, der Amtsinhaber Andrzej Duda, einen großen Vorsprung. 

Um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, gelten in Polen seit dem 13. März weitreichende Einschränkungen des öffentlichen Lebens, Geschäfte bleiben geschlossen, Versammlungen sind untersagt. Darunter fallen auch Wahlkampfveranstaltungen, die insbesondere für Oppositionskandidaten wichtig wären, weil sie anders als Duda kaum Zugang zum Rundfunk bekommen, der von der Regierung kontrolliert wird.

Opposition ruft zum Boykott auf

Bereits am Sonntag hatte die aussichtsreichste Herausforderin, Malgorzata Kidawa-Blonska von der liberalkonservativen Bürgerkoalition (KO), zu einem Boykott der Wahlen am 10. Mai aufgerufen. Die Wahlen an diesem Termin abzuhalten, wäre "geradezu verbrecherisch", schrieb die Kandidatin. Sie kündigte an, ihre Wahlkampagne von nun an komplett auszusetzen.

Auch der Vorsitzende der konservativen Europäischen Volkspartei, Donald Tusk, warb für einen späteren Termin: "Verschiebung der Wahl. Sogar Putin hat das verstanden", schrieb Tusk auf Polnisch bei Twitter. Der Ex-Präsident des Europäischen Rats war von 2007 bis 2014 polnischer Ministerpräsident und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass umstrittene Reformen seiner Nachfolger auf EU-Ebene überprüft wurden. Zu mehreren Justizreformen, die aus EU-Sicht die Gewaltenteilung unterlaufen, laufen Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen. 

Verfassungswidriges Eilverfahren

Unterdessen brachte die polnische Regierung am Wochenende eine mit Corona begründete Wahlrechtsänderung auf den Weg, die Beobachter schon als nächsten Affront gegen die Rechtsstaatlichkeit sehen: Bislang gab es in Polen keine Möglichkeit, per Briefwahl abzustimmen. Damit ältere Menschen über 60 sowie in Corona-Quarantäne ausharrende Bürger von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können, erließ die Regierungsfraktion, die im Parlament die absolute Mehrheit hält, eine entsprechende Änderung des Wahlrechts.

Das geschah allerdings im Eilverfahren, was Paragraph 123 der polnischen Verfassung ausdrücklich untersagt. Außerdem urteilte das Verfassungsgericht 2006, dass zwischen einer solchen Wahlrechtsänderung und dem Wahltermin sechs Wochen verstreichen müssen.

Ob eine Wahl gültig oder ungültig ist, entscheidet seit den Justizreformen der PiS-Regierung eine Aufsichts- und Kontrollkammer, in der wiederum Richter sitzen, die von der Regierung ausgesucht wurden.

ehl/kle (dpa, rtr, Sejm, "Süddeutsche Zeitung")