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Strategien gegen Billigkopien

16. Mai 2011

Gute Technologie muss nicht teuer sein: Immer mehr Firmen aus Fernost drängen mit Produkten auf den Markt, die im Vergleich zu Premium-Marken nur die Hälfte kosten. Wie können europäische Hersteller dagegen halten?

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Containerbrücke vom chinesischen Konzern ZPMC im Hamburger Hafen (Foto: dpa)
Containerbrücke vom chinesischen Konzern ZPMC im Hamburger HafenBild: picture-alliance/dpa
Olaf Plötner, Fakultätsmitglied der ESMT European School of Management and Technology in Berlin und Geschäftsführer der ESMT Customized Solutions (Foto: ESTM)
Gastautor Olaf PlötnerBild: ESMT

Nach der Rezession kam der Aufschwung. Die Auftragsbücher der europäischen Technologieunternehmen haben sich in den vergangenen Monaten wieder gefüllt, aber diese positive Entwicklung war überschattet von einem sehr viel ernsthafteren Problem, als es der Umsatzeinbruch von 2009/2010 darstellte. Viele müssen plötzlich mit Neueinsteigern konkurrieren, die in alarmierender Geschwindigkeit Marktanteile übernehmen.

Chinesen auf dem Vormarsch

Wie jeder weiß, gehören zu diesen Neueinsteigern viele chinesische Unternehmen, die durch Herstellung von Billigkopien von Produkten und Bauteilen etablierter Ausrüster wachsen konnten. Aufgrund niedriger Kosten konnten sie ihre Waren zur Hälfte des Preises europäischer Premiumprodukte anbieten und sich so einen Marktanteil verschaffen. Dadurch konnten sie auch in Entwicklungsländern mit starkem Wachstumspotenzial aber begrenzter Fähigkeit, für hochwertige Produkte zu bezahlen, neue Märkte für sich erschließen.

Kostengünstige Anbieter in Fernost haben ihre Profite in neue Fertigkeiten und bessere Produkte reinvestiert und nun die traditionelle Kundschaft westlicher Technologieunternehmen ins Visier genommen. Der Kranhersteller ZPMC aus Shanghai beispielsweise ist jetzt internationaler Marktführer, nicht nur wegen seiner niedrigen Preise, sondern auch weil westliche Kunden seine Technologie schätzen.

Neue Strategien gefragt

Angesichts dieser Entwicklungen müssen europäische Konzerne, deren weltweiter Erfolg sich auf das Angebot erstrangiger Technologieprodukte gestützt hat, ihre Wettbewerbsstrategien überdenken. Ihre Überlegenheit in vielen Technologiebereichen wird von einem dramatischen Wachstum im unteren Marktsegment und durch neue Konkurrenten bedroht, die zunehmend attraktive Produkte für eine gehobene Kundschaft anbieten.

Es gibt zwei Strategien, die zur Lösung des Problems beitragen könnten: Erstens müssen die europäischen Anbieter mit eigenen "schnörkellosen" Produkten auf den Markt kommen, um in die unteren Marktsegmente einzudringen. Statt einfach die bisherige Generation von Premiumtechnologie zu exportieren, sollten Unternehmen Spezialprodukte entwickeln, um die neue Billigkonkurrenz frontal anzugehen.

Einfach und preiswert

Seit dem Jahr 2006 betreibt KHS, ein führender deutscher Hersteller von Abfüllanlagen für Getränkeflaschen, eine eigene Fabrik in der chinesischen Provinz Guangdong speziell für diesen Zweck. Die dort hergestellten Maschinen sind mit einfacherer Technologie ausgestattet und kosten 60 Prozent weniger als die von KHS in Deutschland hergestellten. Sie waren nicht nur wegen der niedrigen Produktionskosten in China erfolgreich, sondern weil sie ihre Produkte sorgfältig auf die Bedürfnisse ihrer örtlichen Kundschaft zugeschnitten haben.

Damit diese Strategie jedoch Erfolg zeitigt, muss die "schnörkellose" Technologie von Ingenieuren vor Ort entwickelt werden, nicht von einer Konzernzentrale im Westen, und Niederlassungen im Ausland sollte so viel Autonomie wie möglich bei der Herstellung und Vermarktung von Produkten eingeräumt werden.

Produktmanagement und Vertrieb

Produktmanagement und Vertrieb sollten ebenfalls in lokaler Verantwortung liegen. Während kostengünstige Technologie zunächst eine große Investition für Hersteller bedeutet, lässt sich häufig schnell Gewinn damit erzielen, manchmal weit entfernt vom Zielmarkt. Siemens Healthcare zum Beispiel hat eine Reihe einfacherer und billigerer MRI-Scanner in China entwickelt, die auch auf dem US-amerikanischen Markt guten Absatz finden.

Diese Siemens-Abteilung ist auch ein gutes Beispiel für die zweite wichtige Strategieoption etablierter Technologieunternehmen, die sich in einem veränderten Wettbewerbsumfeld behaupten wollen: die Bereitstellung "komplexer Servicelösungen". Vor zehn Jahren schlug Siemens Healthcare diesen Weg ein und begann Soarian zu entwickeln, ein IT-System für die verbesserte Steuerung von Arbeitsabläufen in Gesundheitseinrichtungen.

Kompetente Mitarbeiter

Natürlich können Billigkonkurrenten die Software kopieren, aber Software ist nur ein Werkzeug. Bei erfolgreicher Implementierung kann sie zu einem Wertzuwachs durch Analyse der Abläufe der Einrichtung beitragen, durch Erkennen möglicher Verbesserungen und Konfiguration des IT-Systems, damit es so anwenderfreundlich wie möglich ist. Diese komplexen Projekte erfordern ein großes Spektrum an Fähigkeiten in der Medizintechnologie und im IT-Bereich, aber auch in Bereichen wie Vertrieb, und übergreifende Kenntnis der Gesundheitsindustrie.

Das setzt kritisch denkende und entschlossen handelnde Individuen voraus, sie müssen kreativ sein und kulturell gemischte Teams leiten, integer auftreten und bei ihren Kunden Vertrauen erwecken können. Der Wettbewerbsvorteil liegt darin, dass Neueinsteiger aus Entwicklungsländern Schwierigkeiten haben, diese Sozialkompetenz nachzuahmen.

Beratermarkt mit operativen Veränderungen

Diese Tatsache zeigt sich noch deutlicher auf dem Strategieberatungsmarkt, wo kein einziges neues Unternehmen aus einem der BRIC-Staaten eine Bedrohung für die Dominanz westlicher Riesen wie McKinsey und die Boston Consulting Group darstellt, die über besonderes, im Verlauf von Jahrzehnten erworbenes Fachwissen in ihren Märkten verfügen.

Aber auch die Strukturen dieser großen Beratungsunternehmen weisen operative Veränderungen auf, die Technologiehersteller ebenfalls vornehmen müssen, um auf dem komplexen Dienstleistungsmarkt bestehen zu können. Zum Beispiel haben sie flache Hierarchien, in denen Partner gemeinsam für alle Entscheidungsprozesse verantwortlich und operativ daran beteiligt sind. Und im Gegensatz zu Technologieunternehmen steht die Vertriebsfunktion an erster Stelle und bleibt geschütztes Vorrecht der erfahrensten Manager.

Neue Organisationsformen

Wie bei der weltweiten Dezentralisierung einfacher Technologie werden bei den meisten traditionellen Technologieunternehmen grundlegende Veränderungen erforderlich sein, wenn sie diesen bereichsübergreifenden Ansatz zur Bereitstellung komplexer Dienste wählen. Bisher erfolgreiche Strategien werden eingestampft werden müssen, die Beschäftigten müssen neue Fähigkeiten erwerben und traditionelle Organisationsstrukturen aufgegeben werden.

Das ist in einer Marktwirtschaft keine wirklich große Sache. Die IT-Explosion vor ein paar Jahrzehnten beispielsweise hatte dramatische Auswirkungen auf die Produkte bestehender Technologieunternehmen und die inneren Strukturen, aber wer mit der Zeit ging, hat auch überlebt.

Der Autor: Olaf Plötner ist Mitglied der ESMT-Fakultät und Geschäftsführer der ESMT-Abteilung Kundenorientierte Lösungen. Im Januar 2010 wurde er vom Präsidenten zum stellvertretenden Dekan und am 1. April 2011 zum Dekan der Ausbildung von Führungskräften an der ESMT ernannt. Er ist Gastprofessor an der Darden Graduate School of Business an der Universität Virginia, USA, und regelmäßiger Gastdozent an der Freien Universität Berlin, am Institut für Marketing der Humboldt-Universität zu Berlin, an der ESCP (l’Ecole Superieure de Commerce de Paris) und der Fudan-Universität Schanghai, China.

Dieser Artikel wurde zuerst am 25. Februar 2011 im Wall Street Journal Europe veröffentlicht.

Wer gewinnt den Wettlauf um die besten Köpfe? Wer hat die besten Lösungen für die Elektromobilität? Wie können die Industrieländer ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern? Wie steht es um die Chancengleichheit im Internet? Diese und andere Fragen diskutiert das 4. ESMT Annual Forum am 6. und 7. Juli 2011 in Berlin.

Übersetzung aus dem Englischen: Rosemarie Nünning

Redaktion: Klaus Ulrich