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Politik

Strasburger: Erzählen gegen die Angst

24. April 2018

In seinem Geburtsland Polen wird "in einer Sprache der Angst" über Flüchtlinge berichtet, sagt der Schriftsteller Stanislaw Strasburger. Doch beide Seiten müssten dieser Emotion begegnen - und miteinander reden.

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Autor Stanislaw Strasburger
Bild: Simone Falk

DW: Ein Großteil Ihres Romans "Der Geschichtenhändler" spielt in Damaskus und Aleppo. Die Hauptfigur, ein junger Pole, reist zu Beginn der 2000er Jahre durch den Nahen Osten, lernt Arabisch und will die fremde Kultur verstehen. Das polnische Original erschien 2009, die deutsche Übersetzung Ihrer Partnerin Simone Falk ist in diesem Frühling veröffentlicht worden. Mit welchen Gefühlen blicken Sie heute, nach vielen Jahren des Krieges in Syrien, auf Ihren Roman und seine Figuren?   

Stanislaw Strasburger: Als ich diesen Roman geschrieben habe, lernte ich Arabisch und wohnte zum Teil auch in Damaskus und Aleppo. Damals war der Krieg nicht abzusehen. Syrien ist eine meiner "Heimaten" - und sie geht gerade kaputt. Natürlich habe ich Freunde und Bekannte, die in Aleppo um ihr Leben bangen mussten. Es ist ein tiefgreifendes Gefühl des Schmerzes, verbunden mit einer gewissen Demut, weil ich in diesem sicheren Europa sitze und um diese Orte, die mir etwas bedeuten, trauern kann - ohne dass der Krieg aber mein eigenes Schicksal ist. Irgendwie stelle ich mich in meinem Trauern auch zurück, weil ich mir denke: Habe ich überhaupt ein Recht zu trauern, durch meine menschlichen und ästhetischen, aber nicht lebensbedrohlichen Beziehungen zu diesen Städten? Gerade im deutschsprachigen Kontext gibt es aber noch einen anderen interessanten Aspekt: Die Menschen, über die im Buch erzählt wird, sind heute zum Teil unsere Nachbarn, sie sind unter dramatischen Umständen, die ich niemandem wünsche, zu uns gekommen. Darin liegt auch die Chance einer neuen Begegnung. Und die Begegnungen von damals kommen gewissermaßen zu mir zurück und finden jetzt zum Beispiel in Berlin statt.

Können Schriftsteller durch Ihre Bücher mehr Empathie für andere Menschen wecken - in Ihrem Fall, ganz konkret für Flüchtlinge aus Syrien? 

Ich hoffe sehr, dass das möglich ist, dass dadurch Brücken entstehen. Nicht jeder hat die Gelegenheit, lange in Damaskus oder Aleppo zu verweilen, so wie ich es getan habe. Mein Schreiben entstand auch dadurch, dass ich an diese Orte gereist bin - ohne jede politische Absicht. Dann kehrte ich nach Warschau oder Köln zurück, und die Menschen haben mich gefragt: Wir kennen die Berichte aus der Tagesschau, aber worum geht es eigentlich in Ländern wie Syrien wirklich? Vielleicht ist es auch eine Mission, die daher kommt, dass ich vor Ort im Nahen Osten so viel Gutes erlebt habe - und das wollte ich gerne weitertragen.

Polen Protest gegen Aufnahme von Flüchtlingen
Proteste gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in Polen (im Sommer 2015) Bild: picture-alliance/dpa/R. Guz

In einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk haben Sie kritisiert, dass gerade in Ihrem Geburtsland Polen "in einer Sprache der Angst über Flüchtlinge berichtet wird". Es geht nicht um Einzelschicksale, sondern um das Bild einer Festung, die von Feinden belagert wird. Wie könnten sich solche Mentalitäten ändern?

Angst ist eine Emotion, mit ihr kann man nicht diskutieren, sie wird nicht weg-argumentiert. Dieser Emotion muss man begegnen. Ein erster Schritt ist, diese Emotion offen zu thematisieren, zu versuchen, sie in Bedürfnisse zu übersetzen, sich zu fragen: Was hätte ich gerne, was fehlt mir? Und dann nochmal in einem weiteren Schritt zu überlegen: Kann ich das an meine Mitmenschen formulieren - als Bitten, als Wünsche? Auf beiden Seiten - bei den Flüchtlingen und bei den Einheimischen - haben wir es mit Menschen zu tun, die Angst haben. Man muss vor sich selbst aussprechen: Wovor habe ich genau Angst? Was sind meine Sorgen? Dann findet man sehr schnell heraus, dass die Sorgen und Ängste sehr ähnlich sind: Ich möchte ein sicheres Leben, eine sichere Umgebung, dass es meiner Familie gut geht usw. Wenn man sich hinsetzt und einander all das erzählt, auf einer emotionalen Ebene, ohne zu versuchen, die andere Seite von einer weltpolitischen Anschauung oder irgendwelchen großen Ideen zu überzeugen, ist das ein entscheidender Schritt gegen die Angst.

In Ihrem Roman "Der Geschichtenhändler" verwenden Sie diverse Sätze, Verse und Passagen aus der westlichen und der östlichen Literatur, von arabischen Dichtern bis zu Dantes "Göttlicher Komödie", aber auch aus Filmen und Serien (zum Beispiel wiederholt sich das Motto "Nichts ist so, wie es scheint" aus der beliebten US-Serie Twin Peaks). Doch Sie markieren nichts davon als Zitat. Welche Absicht steckt dahinter?

Gerade wenn man reist, hat man irgendwelche Bruchstücke von Texten, Erlebnissen und Erinnerungen im Kopf. Vielleicht hat man neben diversen Reiseführern auch einen Roman aus der Gegend gelesen, etwas ist hängen geblieben, aber oft kann man sich weder an all das erinnern, noch etwas davon genau zitieren. Ich habe mir gedacht, es ist auch literarisch interessant, auf diese Weise über eine Begegnung mit einer anderen Kultur zu erzählen. Diese Bruchstücke, die man immer mitschleppt wie einen Koffer, muss man auspacken können: Ich bin nach Damaskus gekommen, habe dies und jenes gelesen, und habe ein Bild in meinem Kopf.  

Wenn man alte Gemälde von fremden Städten anschaut, erkennt man darin oft mehr von der Heimatstadt des Künstlers, als von der eigentlichen Stadt, die er abbilden wollte. Das ist die Projektion, die man mit sich trägt. Auch wir tragen unsere urbanen Räume im Kopf und projizieren sie zum Beispiel auf orientalische Städte. Mit Texten ist das genauso: Da ist der pragmatische Teil, dass wir uns von diesen Bildern gar nicht loslösen können, und der literarische, dass wir sagen: Das ist alles ein Mosaik, ich kann es als Schriftsteller erarbeiten - und das habe ich im "Geschichtenhändler" versucht.

Könnte das Zusammenlegen von Zitaten und Anspielungen aus der westlichen und östlichen Kultur, ohne die Grenzen zu markieren, auch eine Brückenfunktion haben? 

Ja, das hat eine Brückenfunktion - aber auch eine Alarmfunktion: Wir müssen die Bilder, die wir von einer anderen Kultur haben, immer wieder hinterfragen, gerade wenn wir der fremden Realität begegnen. Wir müssen sie auf den Prüfstand stellen. Bei solchen Brücken muss man immer aufpassen - denn Projektionen können gefährlich werden und den Blick auf die Realität verstellen.

Stanislaw Strasburger ist Schriftsteller und Kulturmanager. Sein Roman "Der Geschichtenhändler oder Der Wettkampf der Dichter" ist im Frühling im Verlag Secession auf Deutsch erschienen, aus dem Polnischen übersetzt von Simone Falk. Der Autor wurde in Warschau geboren und lebt abwechselnd in Berlin, Warschau und diversen mediterranen Städten.

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Dana Alexandra Scherle Redakteur und Autor der DW Programs for Europe