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Frankreichs Köche suchen neue Wege

Sonia Phalnikar
29. Dezember 2020

Wegen der Corona-Krise blieben die Restaurants in Frankreichs den Großteil des Jahres geschlossen. Einige Köche passen sich an und bieten ihre ausgeklügelten Menüs zum mitnehmen an. Geht das?

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Corona-Krise Frankreich | Köche suchen neue Wege
Bild: Sonia Phalnikar/DW

Viktor Mercier hat eine renommierte Kochschule in Frankreich besucht. Er arbeitete in Restaurants, die mit Michelin-Sternen ausgezeichnet sind und schaffte es bis ins Finale der beliebten Fernsehshow "Top Chef". Im vergangenen Jahr eröffnete Mercier sein erstes Gourmet-Restaurant in Paris. Jetzt macht der 30-Jährige Hot Dogs. 

Aber es sind nicht irgendwelche Hot Dogs. Sein Restaurant verwendet keine importierten Produkte. Deshalb wird bei der Herstellung der Würstchen Fleisch von freilaufenden Schweinen aus Südfrankreich verwendet. Sie werden in einem weichen Brot aus einer berühmten französischen Bäckerei serviert und mit glasierten Zwiebeln, eingelegten Schalotten und Brunnenkresse belegt. Ein Hot Dog kostet elf Euro.

Hot Dogs statt Sechs-Gänge-Menü

Frankreich steckt mitten in einem zweiten Teil-Lockdown. Weil die Restaurants bis mindestens Mitte Januar geschlossen bleiben, haben viele Gastronomen auf Essen zum Mitnehmen umgestellt - so auch Viktor Mercier.

Corona-Krise Frankreich | Köche suchen neue Wege
Eigentlich werden im "Fief" Sechs-Gänge-Menüs gekocht. Nun ist das Team auf Hotdogs umgestiegenBild: Sonia Phalnikar/DW

Er verpackt zusammen mit einigen seiner Mitarbeiter die Gourmet-Hotdogs in Pappkartons und kritzelt ein "Dankeschön" auf die Verpackung. Die Kunden können in seinem Restaurant "Fief" vorbeikommen und das Essen abholen. Das hat nur noch wenig mit den aufwendigen, 70 Euro teuren Sechs-Gänge-Menüs zu tun, die der Koch früher hinter einer großen Theke vor den Augen der Kunden zubereitete.

Viel Geld verdient das Team vom "Fief" damit auch nicht. Die verkauften Hot Dogs und Sandwiches bringen nur einen Bruchteil der 4500 Euro ein, die normalerweise jeden Abend in der Kasse landen. Mercier sagt, das Take-away-Angebot sei trotzdem wichtig, um die Moral seines Teams zu stärken.

"Wenn man in der Gastronomie mehrere Monate lang nicht arbeitet, ist es sehr schwer, mit der gleichen Motivation zurückzukommen. Das macht mir ein bisschen Angst", sagt Mercier der DW. "Ich habe für mein Team entschieden, dass wir in Bewegung bleiben und zeigen, dass wir etwas tun."

Corona-Krise Frankreich | Köche suchen neue Wege
Von diesem Tresen aus können Gäste den Köchen vom "Fief" normalerweise bei der Arbeit zusehen - nun stapeln sich hier die Mitnahme-BoxenBild: Sonia Phalnikar/DW

Mercier hat sechs seiner zehn Mitarbeiter dank staatlicher Hilfen beurlaubt. Die französische Regierung hat Milliarden Euro in die Hand genommen, um das angeschlagene Hotel- und Gaststättengewerbe zu stützen. Die Branche beschäftigt eine Million Menschen und ist eine tragende Säule der französischen Wirtschaft und Kultur. 

Gehobene Küche zum Mitnehmen?

Inmitten des Lockdowns hat die Regierung außerdem einen Solidaritätsfonds für Bars und Restaurants eingerichtet und ein Urlaubsprogramm verlängert, durch das der Staat das Gehalt der Angestellten in der Branche bezahlt.

Mercier ist dankbar für die Unterstützung. Aber im Gegensatz zu einigen Restaurants, die eine abgespeckte Version ihrer Gourmet-Menüs zum Mitnehmen anbieten, bleibt er skeptisch.

"In unserer Branche geht es um Gastfreundschaft. Ich weiß, dass wir uns anpassen müssen, aber es hat nichts mit Gastfreundschaft zu tun, Essen in Schachteln zu verpacken. Ich hasse es", sagt Mercier und schüttelt den Kopf. "Wir müssen die Leute sehen, unser Können zeigen - und die Leute müssen sehen, wie viel Arbeit in einem Teller mit raffiniertem Essen steckt."

Corona-Krise Frankreich | Köche suchen neue Wege
Viktor Mercier ist kein großer Freund von Take-away-Essen. Ihm fehlt dabei die GastfreundschaftBild: Sonia Phalnikar/DW

Elvire von Bardeleben schreibt für die französische Zeitung "Le Monde" über die Gastro-Szene Frankreichs. Sie glaubt, dass die Pandemie grundlegende Fragen über das Essengehen aufgeworfen hat.

"Köche fragen sich: 'Für wen koche ich und was bedeutet es überhaupt, im Jahr 2020 in ein Restaurant zu gehen?'" so Bardeleben. "Und die Kunden achten bewusster auf die Lebensmittel, die sie konsumieren. Saisonale und lokale Produkte sind wichtiger."

Eine Chance in der Krise

Laut der Restaurantexpertin gab es in den letzten fünf bis sechs Jahren nur wenige kreative Überraschungen in der französischen Haute-Cuisine-Szene. Viele Lokale servierten die gleichen alten Konzepte, Produkte und Menüs.

In den letzten Jahren hatten Restaurants - vor allem in Paris - zusätzlich mit Streiks und den teilweise gewalttätigen Gelbwesten-Protesten zu kämpfen, die die Kunden fern hielten.

"Ich denke, die Corona-Krise könnte eine Gelegenheit sein, Dinge anders zu machen", sagt Bardeleben. Sie glaubt, dass jüngere Köche, die umweltbewusster, flinker und innovativer sind, eher als Gewinner hervorgehen werden. 

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Koch Mory Sacko bietet komplette Gourmet-Menüs zum Mitnehmen anBild: Sonia Phalnikar/DW

Mory Sacko, ein Kandidat der diesjährigen "Top Chef"-Fernsehshow, ist solch ein aufstrebender Star der Branche. Der 28-Jährige hat das Undenkbare getan und im September - mitten in der Corona-Krise - ein Restaurant in Paris eröffnet. Es heißt “Mosuke” und vereint japanische, französische und afrikanische Einflüsse.

Gourmet-Essen zum Mitnehmen

"Ich wusste, dass es ein Wagnis war, zu diesem Zeitpunkt zu eröffnen. Aber im Hinterkopf habe ich schon Pläne gemacht, was zu tun ist, wenn es wieder zu Schließungen kommt", sagt der Küchenchef im DW-Interview in seinem kleinen Restaurant mit 30 Plätzen.

Mory Sackos Lösung ist eine 19 Euro teure Version seines Gourmet-Essens zum Mitnehmen - komplett mit neuem Logo und Branding. Sacko ändert das Menü jede Woche. Es reicht von Fischburgern über gebratenes Hähnchen mit eingelegtem Gemüse, Ananasscheiben und Sahne mit japanischem Pfeffer, bis hin zu Pissadiere, einem pizzaähnlichen Gericht aus Südfrankreich mit westafrikanischem Yassa.

Den Sprung gewagt

Sacko hat über Weihnachten zum ersten Mal den Sprung gewagt und ein vollwertiges Menü zum Mitnehmen für 85 Euro angeboten - komplett mit Vorspeisen, einem ganzen gebratenen Huhn, Stopfleber mit einem afrikanisch-japanischen Touch und einem Weihnachtskuchen mit exotischen Früchten.

"Es ist eine echte Herausforderung, unsere Kreationen in eine Schachtel zu packen und gleichzeitig die Gefühle zu bewahren, die mit dieser Art von Essen einhergehen", sagte Sacko. "Aber wir sind an Herausforderungen gewöhnt. Die letzten Monate waren voll von ihnen."

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Mory Sackos Restaurant liegt im Süden von ParisBild: Sonia Phalnikar/DW

Obwohl es turbulente Zeiten für die Restaurantbranche sind, kürt der Michelin-Führer auch in diesem Jahr die besten Restaurants der Spitzengastronomie. Wer sich mit einem oder mehreren der heiß begehrten Michelin-Sternen schmücken darf, wird im Januar bekannt gegeben. 

Das große Ziel: Ein Michelin-Stern

Die Edelrestaurants in Frankreich durften in diesem Jahr nur etwa vier Monate lang öffnen. Das ist lang genug, damit die Michelin-Inspektoren, die für ihre hohen Standards bekannt sind, heimlich Besuche machen konnten.

Viktor Merciers ist deswegen schon ganz aufgeregt. "Ich will einen Michelin-Stern. Das ist mein Ziel. Ich habe das Gefühl, dass wir das Zeug dazu haben", sagte er. "Aber ich bin auch nervös. Ich bin nicht sicher, ob die Inspektoren überhaupt Zeit hatten, uns zu besuchen. Das alles trägt nur zur Ungewissheit in diesem Jahr bei."

Adaption: Mirjam Benecke

Kreativ durch die Corona-Krise