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PolitikAsien

Steinmeier in Singapur: Gegen das "Recht des Stärkeren"

15. Juni 2022

Gestörte Lieferketten, explodierende Lebensmittelpreise: Singapur spürt die Folgen der Pandemie und des Ukraine-Krieges. Bundespräsident Steinmeier sucht Partner für freien Handel und verbindliche internationale Regeln.

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Bundespräsident Steinmeier in Singapur
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (rechts) mit Tan Chong Meng, Chef des Hafens von SingapurBild: picture alliance/dpa

Frische Hähnchen sind derzeit Mangelware in Singapur. Das Lieblingsfleisch der Menschen in dem reichen Inselstaat wird streng rationiert. "Wir müssen das halbe Hähnchen von der Speisekarte streichen", sagt Tanja Jesemann. Sie ist Geschäftsführerin des Brauhauses Paulaner, das seit 25 Jahren in Singapurs Prachtlage deutsches Traditionsessen anbietet. Der Toplieferant, Nachbar Malaysia, hat ein Ausfuhrverbot verhängt. 

Nicht nur das: In Singapur schießen die Preise für Lebensmittel durch die Decke. "Für uns wird es schwieriger und schwieriger, überhaupt Lieferungen zu bekommen", sagt Jesemann. Zum Beispiel Hopfen und Malz, das per Schiff aus Deutschland angeliefert wird. Die Pandemie und der russische Krieg machten alles komplizierter. "Wir müssen für alle Lebensmittellieferungen jetzt viel vorausschauender planen, weil wir eben nicht wissen, wann wir das nächste Mal wieder was bekommen und dann wie viel."

Singapur-Malaysia - Huhn-Wirtschaft
Immer teurer: Hühnchen an einem Verkaufsstand in SingapurBild: Roslan Rahman/AFP

Globale Lieferketten in Zeiten der Krise: sie sind das bestimmende Thema der Asien-Reise des Bundespräsidenten. Frank-Walter Steinmeier steht auf der Terrasse im 19. Stock des Hafenbetreibers von Singapur, PSA International. Von hier aus hat er einen beeindruckenden Rundblick auf den Hafen von Singapur - der zweitgrößte Containerhafen der Welt. In langer Linie warten die Frachtschiffe auf Löschung. 

Steinmeier besucht mit Singapur einen Partner, der wie kaum ein anderes Land der Welt von freiem Handel und offenen Grenzen abhängt.

Zusammenrücken in Zeiten weltweiter Erschütterungen 

"Was die Weltlage insgesamt angeht, so ist man in Singapur natürlich weiter weg vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Aber man spürt die Folgen auch hier", sagt das deutsche Staatsoberhaupt. Die Globalisierung ist ins Stocken geraten: Länder schotten sich ab, verhängen wie Malaysia Ausfuhrverbote auf Hähnchen, besinnen sich auf Eigenproduktion. Weltweite Lieferketten sind unterbrochen.

Als eines von nur drei Ländern Asiens hat sich Singapur schnell den Sanktionen des Westens gegen Russland angeschlossen. "Singapur hat Russlands Einmarsch in die Ukraine so klar verurteilt, weil das ein ungeheuerlicher Verstoß gegen das Völkerrecht war", sagt die Expertin für Sicherheit im Asien-Pazifik-Raum, Lynn Kuok. "Das ist eine Botschaft, die Singapur nicht nur an Russland richtet, sondern auch an andere Länder, die solche Entscheidungen treffen könnten."

Regelbasierte Ordnung

Der russische Krieg in der Ukraine führt Singapur vor Augen, wie verwundbar kleine Staaten sind -

+ wenn das Recht des Stärkeren gilt und wenn der internationale Handel gestört wird. "Singapur legt immens großen Wert darauf, dass die auf Regeln basierte Ordnung und das internationale Recht eingehalten werden", so Hunter S. Marston, Südostasien-Experte an der Australian National University in Canberra.

Bundespräsident Steinmeier in Singapur
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier trifft Halimah Yacob, Präsidentin von SingapurBild: picture alliance/dpa

Genau das betont der Bundespräsident auf seiner Asienreise, die ihn von Singapur aus auch nach Indonesien führt: "Wir brauchen Kooperation zwischen Ländern, die - wie hier viele in Südostasien - ein Interesse daran haben, dass wir eine regelbasierte internationale Ordnung haben, dass wir eine Rechtsprechung im Lande haben, die verlässlich ist, dass wir sichere Investitionsbedingungen haben", so Steinmeier. 

Lokal oder global?

"Singapur ist das am stärksten globalisierte Land der Welt", betont Kishore Mahbubani, ehemaliger UN-Botschafter Singapurs und nun Politikprofessor, der Deutschen Welle. Doch das Wirtschaftswachstum ist eingebrochen. In diesem Jahr wird nur noch ein Plus von 3,5 Prozent erwartet, nach 7,6 Prozent im letzten Jahr. "Unser Gesamthandel ist etwa 3,2 mal so groß wie unser Bruttosozialprodukt. Daher wird Singapur die Globalisierung gemeinsam mit der Mehrheit der asiatischen Länder weiterhin unterstützen", so Kishore Mahbubani. 

Singapur Merlion Park & Business district
Singapur ist vom internationalen Handel abhängigBild: Yeen Ling Chong/AP Photo/picture-alliance

Doch auch Singapur will eigene Abhängigkeiten verringern: Bis zum Jahr 2030 will die kleine Insel 30 Prozent der Nahrungsmittel lokal produzieren. Derzeit muss das Land noch 90 Prozent seiner Lebensmittel importieren. Wie verletzlich das macht, führt der Mangel an frischem Hähnchenfleisch den 5,4 Millionen Einwohnern gerade deutlich vor Augen. 

Mit künstlicher Intelligenz und vertikalem Anbau

Allerdings hat das sehr kleine Land nur wenig Fläche für landwirtschaftlichen Anbau. Deshalb wird in "Vertical Farming" investiert - Pflanzen werden auf Gebäuden angebaut und geerntet - und mit Hilfe von künstlicher Intelligenz werden Garnelen aufgezogen. Frank-Walter Steinmeier besuchte eine solche nachhaltige Garnelenzucht mitten in Singapur. Computer überwachen dort Temperatur, Wasserqualität und weitere Parameter und entscheiden etwa, welche Futtermenge nötig ist.

Im Brauhaus Paulaner musste Tanja Jesesmann die Preise auf der Speisekarte anheben - je nach Gericht um 15 bis 25 Prozent. "Noch überwiegt bei den Menschen die Euphorie, sich nach der Pandemie endlich wieder zu treffen und ausgehen zu können." Dennoch spürt die Wirtin vor allem bei den jungen Menschen große Sorgen. "Sie sind in einer global vernetzten Welt aufgewachsen und sehen jetzt, wie fragil das Weltwirtschaftssystem ist." Und dann zitiert sie noch das Sprichwort: "Der Flügelschlag eines Schmetterlings kann am anderen Ende der Welt einen Orkan auslösen."