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Politik

Ablenkungsmanöver: Putins Kandidatur

7. Dezember 2017

Die Bekanntgabe der Präsidentschaftskandidatur in einem Autowerk solle den Russen signalisieren: Putin kümmere sich um alle ihre Probleme. Ein Wandel sei aber nicht zu erwarten, sagt Stefan Meister im DW-Interview.

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Russland Präsident Wladimir Putin
Bild: picture-alliance/dpa/TASS/M. Metze

Deutsche Welle: Die russischen Medien sagen, es sei eine Sensation, dass Putin doch kandidieren wird. Für Sie war es wohl keine Überraschung, oder?

Stefan Meister: Ich glaube, für so gut wie niemanden war es eine Überraschung. Alle haben damit gerechnet, dass Putin wieder antreten wird. Sein Rating ist das höchste, was ein russischer Politiker im Moment erreichen kann. Er ist ja bei fast 90 Prozent. Die ganze Message der russischen Führung ist letztlich, dass es gar keine Alternative zu Putin gibt, dass es keinen echten alternativen Kandidaten gibt, der Putin ersetzen könnte. In der Hinsicht, habe ich damit gerechnet, dass er antreten wird.

Putin hat seine Kandidatur nicht auf einem Parteitag der Partei "Einiges Russland", nicht auf einer Pressekonferenz, sondern irgendwo auf einem Konzert in einem Autowerk in den Ring geworfen. Warum?

Es ist ja nicht irgendein Autowerk, sondern es ist das in Nischni Nowgorod, ehemals Gorki, und es ist sozusagen eines der wichtigsten Automobilwerke der Sowjetunion unter der Arbeiterklasse. Es hat eine enorme Symbolik, auch gerade für Menschen, die sich an die Sowjetunion erinnern. Ich glaube einerseits, dass Putin sich immer von Parteien distanziert hat. Er steht über den Parteien. Er ist sozusagen der nationale Führer, der schon aus seinem Charisma heraus wirkt und keine Parteien braucht. Gleichzeitig zeigt dies, dass Putin sich stärker auch wieder der Innenpolitik zuwendet. Es sind nicht wirklich die außenpolitischen Themen, wie in Sotschi, wo er sich präsentiert, sondern er präsentiert sich im russischen Herzland unter Arbeitern in einem ehemals sowjetischen Werk und er widmet sich sozusagen den russischen Menschen und ihren Problemen. Das ist ein klares Signal auch an die Gesellschaft, dass er ihr Präsident ist und dass er sich auch ihren Problemen widmen wird.

Dr. Stefan Meister
Politologe Stefan Meister: Man versucht Putin als eine unersetzliche Person zu deklarierenBild: DPAG

Damit ist auch die Frage beantwortet, warum Putin als unabhängiger Kandidat antritt und nicht von der Partei "Einiges Russland". Ist das richtig?

Man kann sicher noch hinzufügen, dass Parteien in Russland, so wie die meisten staatlichen Institutionen in Russland, eine ganz niedrige Zustimmungsrate haben, also sehr unbeliebt sind und als unglaubwürdig gelten. Umso wichtiger ist es für den Präsidenten, der über allem steht, dass er eben nicht als Kandidat einer Partei antritt.

Sie glauben, dass Putins Hauptthema im Wahlkampf die Innenpolitik sein wird. Was werden denn dabei die Schwerpunkte sein?

Das ist ehrlich gesagt die Frage, weil es ja kein Programm gibt. Es ist bisher noch unklar, mit welcher Agenda er sich in diesem Wahlkampf stellen wird. Ich befürchte, dass er am Ende gar nicht wirklich ein relevantes Programm haben wird. Er könnte sich natürlich der Demografie widmen, der Wirtschaftssituation, der Bildung, dem Gesundheitswesen. Aber das sind ja alles Bereiche, wo der Staat im Moment sehr wenig tut. In der Hinsicht glaube ich, dass er den Menschen das Gefühl geben wird, deren Probleme zu lösen. Gleichzeitig wird er versuchen, die Russen hinter ihm als Präsidenten zu einigen, gegen innere und äußere Feinde. Ich glaube, dass er eher von den tatsächlichen Problemen in Russland ablenken wird, weil er keine Antworten auf sie hat. Er wird den Menschen aber trotzdem das Gefühl geben, dass er sich darum kümmert, was auch immer es ist.

Was ist mit der Außenpolitik, mit "dem bösen Westen", mit der Festung Russland, die von der NATO umzingelt wird? Müssen sich alle um den Präsidenten scharen um dagegenzusteuern?

Das meine ich mit den inneren und äußeren Feinden. Das ist natürlich ein Paradigma, das weiterhin da sein wird. Aber wir sehen auch in Umfragen, dass die Russen von der Ukraine-Krise müde sind. Sie wollen nichts mehr von Syrien hören. Sie wollen die ganzen außenpolitischen Themen in der Form nicht mehr hören. Aber dieses Feindbild aufbauen, diese Festung Russland, dieses Umzingeltsein und Zusammenrücken in dieser Krisensituation - das ist natürlich ein Paradigma, das von den russischen Medien und Politikern weiter gepflegt und geführt wird.

Zum Problem seiner Wahlkampagne kann die Wahlbeteiligung werden. Die Russen sind der Politik müde. Wie kann Putin die Menschen motivieren, zur Wahl zu gehen?

Ich sehe nicht, dass die Kreml-Administration darauf eine Antwort gefunden hat. Ich glaube auch nicht, dass Xenia Sobtschak es schaffen wird, die Massen an die Wahlurne zu bringen. Ich glaube, versucht wird eine Art Deklaration über Putin als unersetzliche Person. Und wenn man Patriot ist und gegen die Feinde Russlands kämpfen will, dann muss man Putin unterstützen. Also, eine versuchte Motivation über die Person. Ob das gelingen wird, da bin ich ehrlich gesagt sehr skeptisch.

TV-Star Xenia Sobtschak fordert Putin heraus

Was haben Deutschland und die EU von der jetzt vierten Präsidentschaft Putins zu erwarten?

Keinen Wandel. Ich glaube, dass diese Politik so weitergehen wird. Ich sehe nicht das Bedürfnis und auch nicht den Druck auf die russischen Eliten, dass sie ihre Politik verändern müssen. Im Gegenteil. Sie haben das Gefühl, dass sie im Moment in den internationalen Beziehungen auf der Gewinnerseite sind, dass sie aus der Isolation wieder heraus sind, in die sie durch die Ukraine-Krise gekommen sind. Es sind auch die Signale von deutscher Seite, zum Beispiel von Herrn Gabriel, dass man mit Russland irgendwie sprechen muss. Solche Signale kommen ja. Ich glaube, in der Hinsicht wird Putin sich weiter durchwurschteln und für Kontinuität stehen.

Sie haben also eine eher pessimistische Prognose für die nächsten sechs Jahre?

In sechs Jahren kann viel passieren. Vieles wird auch von der Wirtschaftsentwicklung Russlands und dem Sicherheitsumfeld abhängen. Aber ich bin sehr pessimistisch, dass diese Eliten im Moment in Russland, auch dieser Präsident, tatsächlich bereit sind, die Probleme des Landes anzugehen und seine Positionen auch zu verändern. Wir haben in Russland im Moment wirklich diese Wagenburg-Mentalität.

Stefan Meister leitet das Robert Bosch-Zentrum für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Seine Fachgebiete sind unter anderem die russische Außen- und Sicherheitspolitik, die EU-Russland-Beziehungen, die russische Energie-, Wirtschafts- und Bildungspolitik und die Östliche Partnerschaft der EU.

Das Gespräch führte Nikita Jolkver.