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Sprengsätze auf dem Weg zum Frieden

Günter Knabe12. August 2002

Keine guten Nachrichten gibt es aus Kabul: Mordanschläge auf Minister, Raketeneinschläge in der Hauptstadt, Kämpfe in mehreren Provinzen. Der stabile Frieden in Afghanistan ist noch weit entfernt, meint Günter Knabe.

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Die Attentate und Detonationen erschüttern auch den Optimismus, der nach dem Abschluss der Afghanistangespräche auf dem Petersberg bei Bonn entstand und in den westlichen Medien recht voreilig kräftig verbreitet wurde. Einen neuen Schub hatten die Hoffnungen auf ein baldiges gutes Ende der langen blutigen Auseinandersetzung in Afghanistan durch den anscheinend erfolgreichen Abschluss der Loya Jirga, der "Großen Nationalversammlung", in Kabul vor zwei Monaten bekommen - zumindest in den Augen vieler westlicher Beobachter.

Skeptiker und manche Kenner Afghanistans und viele Afghanen selbst hatten jedoch von vornherein Zweifel, ob Lösungen, die in Regierungsbüros in Washington entworfen und an Konferenztischen in Deutschland den Afghanen mit erheblichem Druck abgerungen wurden, halbwegs erfolgreich in die komplizierte und harte afghanische Wirklichkeit umgesetzt werden könnten. Diese Zweifel erscheinen nun allzu berechtigt. Nicht nur im Boden Afghanistans liegen unzählige Sprengkörper, das Land ist auch politisch ein höchst explosives Minenfeld.

Etliche dieser politischen Minen am Hindukusch sind noch keineswegs entschärft. Die gefährlichsten unter ihnen sind die Spannungen zwischen den ethnischen Gruppierungen und Völkerschaften, vor allem zwischen der größten unter ihnen, den Paschtunen und der derzeit mächtigsten, den Tadschiken. Die letzteren hatten in der so genannten Nordallianz, die von Washington und Moskau gleichermaßen unterstützt wurde, den wesentlichen afghanischen Anteil beim Kampf gegen die Taliban geleistet. Deswegen beanspruchen sie jetzt fast alle Machtpositionen und geben nur widerwillig den Paschtunen und Angehörigen anderer Stämme

Posten und Einfluss.

Außerhalb Kabuls ist die Macht der Führer der früheren Mudjaheddin-Bewegungen und deren noch immer voll bewaffneten Milizen ungebrochen. Sie sind mittlerweile zu Provinzfürsten geworden, die freiwillig ihre Herrschaft nicht aufgeben werden. Für die Übergangsregierung in Kabul ist es besonders nachteilig, dass solche Herren gerade in den westlichen und östlichen Grenzregionen herrschen, in denen einträgliche Zölle kassiert werden. Die Provinzfürsten denken gar nicht daran, dieses Geld mit Kabul zu teilen.

Ein explosives Maß hat mittlerweile auch die Enttäuschung vieler Afghanen darüber erreicht, dass der Wiederaufbau des Landes kaum konkrete Fortschritte macht. So kann die Übergangsregierung kaum Ansehen und Autorität gewinnen. Beides braucht sie dringend für den Aufbau eines halbwegs normalen Staatswesens. Besonders Präsident Karzai verliert immer mehr an Ansehen, gerade unter den Paschtunen, zu denen er selbst gehört. Ihm wird von seinen Stammesbrüdern sehr verübelt, dass er den in ihren Augen ungerechtfertigten und viel zu großen Einfluss der Tadschiken nicht eindämmen kann oder will.

Diese Kämpfe bringen die Amerikaner in besondere Schwierigkeiten. Washington muss erkennen, dass es in Afghanistan nicht nur darum gehen kann und darf, die restlichen Kräfte der Taliban und El-Kaida zu bekämpfen, sondern dass es auch Verantwortung dafür hat, den Afghanen die Möglichkeit zu bieten, ihre eigenen politischen Lösungen zu suchen, die alle Stämme und Völkerschaften akzeptieren können.

Es braucht viel Geduld, um die politischen Sprengsätze in Afghanistan zu entschärfen. Aber diese Geduld müssen alle aufbringen; die Amerikaner und auch wir, die Europäer und erst recht die verantwortlichen Afghanen. Sonst explodiert die Vielzahl der politischen Minen in Afghanistan wieder in einem Bürgerkrieg.