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Sprachenstreit in der Ukraine

18. Mai 2006

Stadt- und Gebietsräte im Osten und Süden der Ukraine haben dem Russischen unter Berufung auf die Europäische Charta den Status einer Regionalsprache verliehen. Das Justizministerium sieht darin einen Verfassungsbruch.

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Staatsflagge vor dem Regierungsgebäude in Kiew. Einige Regionen stehen mit der Zentralmacht im Konflikt.Bild: Markian Ostaptschuk

Das Justizministerium der Ukraine hat die Beschlüsse der Stadträte in Charkiw und Sewastopol, sowie der Räte der Gebiete Luhansk und Donezk, die dem Russischen den Status einer Regionalsprache verliehen haben, als verfassungs- und gesetzwidrig bezeichnet sowie Beschwerde gegen diese Beschlüsse bei der Generalstaatsanwaltschaft eingelegt. Daraufhin teilte der Rat des Gebiets Luhansk mit, er werde gegen den Beschluss des Justizministeriums der Ukraine vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Die Staatsanwaltschaft in Charkiw lehnte es ab, gegen den Beschluss des Rats der Stadt Charkiw Beschwerde einzulegen.

Partei der Regionen will Russisch

In den Räten der Städte Charkiw und Sewastopol, sowie in den Räten der Gebiete Luhansk und Donezk verfügt seit den Wahlen im März dieses Jahres die Partei der Regionen über eine Mehrheit. Abgeordnete dieser Räte erklärten, die Reaktion des Justizministeriums sei für sie keine Überraschung gewesen. Unter anderem sagte die Abgeordnete des Gebietsrats Luhansk, Iryna Sajzewa, die ukrainische Gesetzesgrundlage sei diesbezüglich unzureichend. Ferner gab sie zu, dass in den ukrainischen Gesetzen der Begriff einer Regionalsprache nicht existiere.

Wählerinteresse und Europäische Charta

Im Unterschied zu Iryna Sajzewa ist der Bürgermeister der Stadt Charkiw, Ihor Schurma, überzeugt, dass der Rat der Stadt Charkiw absolut im Einklang mit den Gesetzen gehandelt habe. Der Rat habe die Lage in der Stadt mit der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen in Einklang gebracht, die vom ukrainischen Parlament bereits vor drei Jahren verabschiedet worden sei. "65 Prozent der Menschen, die in Charkiw leben, betrachten Russisch als ihre Muttersprache", unterstrich Schurma. Er sagte weiter: "Der Stadtrat verteidigt lediglich die Interessen seiner Wähler. Derzeit ist Ukrainisch Geschäftssprache im Rat der Stadt Charkiw. Ich möchte außerdem darauf hinweisen, dass während der Beschlussfassung der Staatsanwalt der Stadt anwesend war und gegenüber den Abgeordneten diesbezüglich keine Einwände geäußert hatte."

Kiew: Terminologie falsch

Der ukrainische Justizminister Serhij Holowatyj teilte unterdessen mit, der Text des Gesetzes über die Ratifizierung der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen weise eine Reihe von Ungenauigkeiten und Kuriositäten auf, die es nicht zulassen würden, das Gesetz heute anzuwenden. Holowatyj sagte: "Als der Oberste Rat die Charta ratifizierte, griff er zu einer falschen Terminologie und setzte Russisch auf die Liste der Sprachen, die als aussterbende Sprachen besonderen Anwendungsregelungen unterliegen. Dazu ist es gekommen, weil die Abgeordneten eine offizielle russische Übersetzung der Charta verwendet hatten, die in Moskau noch vor der Unabhängigkeit der Ukraine angefertigt wurde. Das neue Parlament muss die rechtlichen und terminologischen Fehler im Gesetz über die Ratifizierung der Europäischen Charta korrigieren, was völlig andere politische und rechtliche Auswirkungen auf die Ukraine haben wird."

Referendum angestrebt

Aufgrund der Bewertung des Justizministeriums muss die Generalstaatsanwaltschaft die Umsetzung jener Beschlüsse der Stadt- und Gebietsräte unterbinden und sie vor Gericht anfechten. Unterdessen haben die Abgeordneten des Rats des Gebiets Charkiw einen ähnlichen Beschluss auf ihre Tagesordnung gesetzt, mit dem der russischen Sprache ein regionaler Status verliehen werden soll. Und in Sewastopol werden inzwischen Unterschriften für ein Referendum gesammelt, bei dem über den Status der russischen Sprache abgestimmt werden soll.

Oleksandr Sawyzkyj, Kiew
DW-RADIO/Russisch, 18.5.2006, Fokus Ost-Südost