Sprach- und Integrationsmittler
Wer in ein fremdes Land kommt, muss mit einer anderen Sprache und Kultur klarkommen. Missverständnisse sind vorprogrammiert. In vielen deutschen Städten helfen sogenannte Sprachmittler den Migranten.
Viele Migranten in Deutschland haben Probleme, wenn sie zum Arzt, zu Behörden oder auch zu einem Elterngespräch in die Schule kommen. Sie sind unsicher, verängstigt und wissen nicht, wie sie sich ausdrücken sollen. In einer für sie fremden Sprache und Kultur sind Missverständnisse und Ärger vorprogrammiert. Damit die Verständigung sprachlich und kulturell besser klappt, bieten in vielen Bundesländern sogenannte Sprach- und Integrationsmittler ihre Dienste an. Mit Erfolg: Krankenhäuser, Behörden und Bildungseinrichtungen engagieren die Dolmetscher. So wie in Wuppertal in Nordrhein-Westfalen. Hier ist der Dolmetscherdienst „SprIntpool“, die Abkürzung für „Sprach- und Integrationspool“, aktiv. Die Nachfrage nach den Dienstleistungen ist groß. Den türkischen Sprachmittler Servet wundert das nicht. Er hat selbst erfahren, was es bedeutet, vor deutschen Sachbearbeitern zu sitzen und kein Wort zu verstehen. Anderen Migranten will er das ersparen. Denn verstanden zu werden, ist seiner Meinung nach auch wichtig für das Selbstwertgefühl:
„Als ich nach Deutschland kam, gab es so eine Möglichkeit nicht. Ich musste entweder jemanden selber finden, einen Freund, Bekannte, der für mich dolmetschen konnte. Und jetzt haben die anderen die Möglichkeit, sich auszudrücken. Man will ja im Leben verstanden werden.“
Servet, der früher als Journalist arbeitete, hat bei der Diakonie, dem kirchlichen Sozialdienst, in Wuppertal seine Ausbildung zum Sprach- und Integrationsmittler gemacht. Die Ausbildung dauert 18 Monate. Schon seit 2002 bildet die Diakonie Dolmetscher aus. Viele sind ehemalige Flüchtlinge, die heute bei verschiedenen Behörden arbeiten. Im Januar 2011 hat die Diakonie den Dolmetscherpool gestartet. Die Kunden kommen, so Projektleiterin Heike Timmen, aus verschiedenen Bereichen – der Arbeitsagentur mit ihren Jobcentern, die Arbeitssuchende vermitteln, aber auch aus dem Bereich des Gesundheitswesens mit Krankenhäusern, Versicherungen, Gesundheitsämtern:
„Wir haben relativ viele Einsätze im Bereich Jobcenter, Jugendamt und verschiedene Beratungsstellen, wo des Öfteren angefragt wird. Gesundheitswesen steht an zweiter Stelle. Das ist tatsächlich so. Ich glaub’, da gibt‘s auch ‘nen großen Bedarf. Der Bereich der Bildung, glaub’ ich, wäre insgesamt auch sehr hoch. Aber da ist einfach die Frage letztendlich: Wie finanzieren wir das Ganze?“
Auch im Bereich von Schulen, Universitäten ist der Bedarf an interkulturellen Dolmetscherdiensten groß. Doch stellt sich da verstärkt die Frage nach der Finanzierung. In einigen deutschen Städten gibt es bereits ein Budget für diese Dolmetscherdienste. Ansonsten aber sind in Deutschland weder die Finanzierung noch die Ausbildung, noch das Berufsbild des Sprach- und Integrationsmittlers an sich klar geregelt. In den Niederlanden und der Schweiz sieht das anders aus. Dort übernimmt der Staat die Kosten; überregionale Zentren koordinieren die Einsätze der Sprach- und Integrationsmittler. In Großbritannien ist es sogar ein anerkannter Beruf wie Arzt oder Lehrer. Heike Timmen wünscht sich das auch für Deutschland:
„Der Bedarf letztendlich, so etwas anzubieten, ist unheimlich groß. Aber die Frage ist einfach, warum man nicht da sagt– wie es in anderen Berufen auch der Fall ist – warum letztendlich kein einheitliches Berufsbild, wie das zum Beispiel in der Schweiz der Fall ist? Oder halt zum Beispiel in Großbritannien, wo es ‘n Studium ist und wo es auch ‘n anerkannter Beruf ist.“
In Deutschland darf jeder dolmetschen – egal, ob es sich dabei um Verwandte der Migranten oder Reinigungskräfte aus demselben Herkunftsland handelt. Auch die Tamilin Kirija hat ihre Landsleute aus Sri Lanka oft bei Behördengängen begleitet. Sicher ist ein Verwandter als Dolmetscher besser, als gar keinen Übersetzer an seiner Seite zu haben. Die Gefahr ist jedoch, dass dieser dann eher die Interessen des Verwandten vertritt. Er ist nicht mehr unparteiisch und baut schon mal Sachen ein, die nicht stimmen. Er übersetzt also etwas, was gar nicht gesagt wurde, um dem Verwandten einen Vorteil zu verschaffen. Kirja hat das anfangs auch gemacht. Aber seit sie eine Ausbildung zur Sprach- und Integrationsmittlerin gemacht hat, übersetzt sie anders:
„Ich sag’ das nur, was ich höre. Früher hab’ ich geguckt, wie kann ich diesem Klienten oder diesem Menschen irgendwie Vorteil bringen. Das war früher wichtig. Ich bin hier, ich muss meinen Landsleuten helfen, das ist mein Job, hab’ ich gedacht. Und ich habe auch manchmal Sachen eingebaut, ehrlich muss ich zugeben. Ich habe gesagt: ‚In Deutschland funktioniert [das] so‘, also die muss so und so sagen. Oder früher habe ich schon Rat gegeben: Frag’ mal das und jenes oder sag’ mal das und jenes.“
Als Sprach- und Integrationsmittlerin sorgt Kirija nicht nur sprachlich für gegenseitiges Verständnis. Sie hilft beiden Gesprächspartnern, Verhaltens- und Denkweisen besser zu verstehen, indem sie über kulturelle Unterschiede aufklärt. Etwa, wenn Tamilen ihre Wohnung oder ihren Job nicht schriftlich gekündigt haben, weil sie das aus Sri Lanka nicht kannten. Oder wenn Frauen sich schämen, einer Sozialarbeiterin von ihren Eheproblemen zu erzählen. Denn das ist in Sri Lanka absolute Privatsache. Den Tamilen muss sie wiederum erklären, dass die Sozialarbeiterin diese Information braucht, weil sie sie dokumentieren muss. Ein weiteres Problem sind die Unterschiede in der Körpersprache. In Sri Lanka signalisiert ein Kopfschütteln zum Beispiel Zustimmung, in Deutschland ein
„Nein“. Sprachmittler Servet empfiehlt, nur eine Fachkraft zu Gesprächen mitzunehmen, selbst wenn man denkt, dass es sich um einfache, simple, Themen handelt:
„Deswegen rate ich keinem, dass sie einen Leihdolmetscher für Themen mitnehmen, die sie für simpel halten und sagen: ‚Ja, es geht ja nur um das Sprachliche‘. Sprache ist ein Machtfaktor. Es geht nie um die Sprache.“
Servet ist überzeugt, dass – egal um welches Thema es sich handelt – ein Sprach- und Integrationsmittler Fingerspitzengefühl braucht. Sich richtig ausdrücken zu können sei wichtig, da Sprache auch ein Machtfaktor sei. Die Sprach- und Integrationsmittler sorgten dafür, dass ein Gespräch offen, engagiert und freundlich verlaufe und ein ‚Ja‘ auch ehrlich gemeint sei.
Arbeitsauftrag
Servet ist der Meinung, dass „Sprache ein Machtfaktor“ ist. Analysiert schriftlich, was er genau damit meint. Und welche Erfahrungen habt ihr selbst gemacht? Wo entstanden Missverständnisse wegen kultureller und sprachlicher Unterschiede? Ergänzt die Analyse um diese Erfahrungen.