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Canyoning

31. August 2010

Die Sportart Canyoning ist noch jung. Doch immer mehr Abenteuerlustige durchsteigen die Schluchten, um sich dort neu zu erfahren. Doch bei allem Spaß kann Canyoning - wie jede Extremsportart - lebensgefährlich sein.

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Canyoning - Schneller Abseiler neben dem Wasserfall im Ravin du Riou (Moustiers Ste. Marie, Gorges du Verdon, Südfrankreich), /(Foto: S.Wünsch/DW)
Bild: DW
Eingang Peira Alpes Maritimes Südfrankreich: Manche Schluchten erreicht man erst nach langen und mühseligen Fußmärschen (Foto: S. Wünsch/DW)
Aufstieg beendet: Gleich geht's los!Bild: DW/S.Wünsch

Ein strahlender Tag in den südfranzösischen Seealpen. Eine Gruppe von Menschen kraxelt einen schmalen Pfad hoch durch den Wald. Sie tragen bunte Rucksäcke, haben Helme auf dem Kopf, manche von ihnen haben lange Seile über die Schultern gelegt. Die Gruppe ist auf dem Weg in die Peira – das ist eine Schlucht, die für normale Wanderer unbegehbar ist.

Als die Gruppe den Wasserlauf erreicht, werden die Rucksäcke ausgepackt. Neoprenanzüge kommen zum Vorschein, Klettergurte mit Karabinern, Schlingen und Abseilgeräten. Die Leute zwängen sich in die Anzüge, legen Gurte und Helme an, verstauen ihre Wertsachen in wasserdichten Tonnen, die Seile werden in die Rucksäcke gestopft. Alle klatschen sich nochmal ab: Die Canyoning-Tour kann beginnen.

Unberührte Natur

Konzentration vor dem höchsten Abseiler der Peira-Schlucht (Alpes Maritimes, Südfrankreich) Foto: S. Wünsch
Konzentration vor dem AbseilenBild: DW/S.Wünsch

Die Teilnehmer schwimmen und waten durchs Wasser, umklettern Felsbrocken und springen in natürliche Wasserbecken. Nichts deutet darauf hin, dass vor ihnen schon mal ein Mensch dort war – so unberührt scheint die Natur. Bis sich die Schluchtwände öffnen und ein mehr als 50 Meter tiefer Abgrund vor ihnen liegt.

Hier gibt es nun doch einen kleinen, aber sichtbaren und lebenswichtigen Eingriff in die Natur: In die Felswand sind kräftige Ösen gebohrt worden. Sie sind mit einer schweren Kette verbunden. Es heißt, die Dinger seien so sicher, dass man daran einen Kleinbus hängen könnte. Trotzdem hat man immer wieder größten Respekt, wenn man mit einer Schlinge in der Kette hängt und in die Tiefe blickt. An solchen Stellen überprüft man lieber einmal mehr, ob alle Knoten richtig geknüpft sind, ob alle Handgriffe hundertprozentig sitzen.

Schluchtrausch!

Der Führer der Gruppe fädelt das Seil durch die Öse und macht zur Sicherheit noch zusätzliche Spezialknoten. Der Rest der Gruppe kann sich nun einer nach dem anderen ins Seil einbinden und ablassen. Manche rauschen in einer halsbrecherischen Geschwindigkeit hinunter. Andere genießen das Naturschauspiel, die grandiose Aussicht. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn man sich neben oder gar in einem Wasserfall abseilt. Näher kann man der Natur kaum sein – weil man ihre Kraft unmittelbar spüren kann.

Canyoning - besondere Felsformationen im Furco-Canyon (Ordesa Nationalpark, Huesca, Spanien), Foto: S. Wünsch/DW)
Bild: DW/S.Wünsch

Die Ursprünge des Canyonings liegen schon Jahrhunderte zurück. Leicht begehbare Schluchten wurden vor allem von Jägern und Anglern zur ungestörten Jagd genutzt. Außerdem konnte man durch die Wasserläufe Holz transportieren, das man flussaufwärts im Wald geschlagen hatte.

Vor etwa hundert Jahren begannen wissbegierige Wanderer und Pioniere, die schier unüberwindlichen Schluchten und Klammen der Alpen genauer zu erforschen. Als Ausrüstung dienten einfache Hanfseile, gegen das kalte Wasser schützte man sich mit dicken Wollpullovern. Was die Abenteurer in die Schluchten trieb, war die Faszination an der Natur, das Geheimnisvolle und Mystische, das sich zwischen den tiefen Felswänden verbarg. Die meisten Canyons wurden anfangs in den Seealpen um Nizza und in den Pyrenäen erschlossen. Die Schluchten wurden "eingerichtet", das heißt mit Bohrhaken und Ketten versehen, kartographiert und aufgelistet.

Ein neuer Sport entsteht

Richtig populär wurde das Canyoning allerdings erst in den 1980er Jahren. Man entdeckte die Neoprenanzüge aus dem Tauch- oder Surfsport für sich, man setzte Klettergurte ein, die für die Canyoning-Technik umgerüstet wurden und nutzte die Abseil- und Sicherungstechniken, die aus dem Berg- und Klettersport bekannt waren. Plötzlich konnte jeder in die Canyons, der sportlich fit und frei von Höhenangst war - vorausgesetzt, man hatte jemanden dabei, der Erfahrung hatte.

Erfahrung ist lebenswichtig

Vorsichtiger Abstieg ins Weißwasser - wenn man nicht erkennen kann, wie hoch der Wasserpegel ist, ist Vorsicht geboten (Foto: S. Wünsch/DW)
Erst mal checken, wie tief das Wasser ist!Bild: DW/S.Wünsch

So dauerte es nicht lange, dass spezielle Ausbildungen für Canyoning-Führer angeboten wurden. Und schließlich organisierten sich die Profis auch in einem Verband: 1995 trafen sich in dem kleinen südfranzösischen Dorf La Palud sur Verdon Canyoning-Spezialisten aus ganz Europa und gründeten die Europäische Canyon-Commission - eine Organisation, die sich, ähnlich wie der Deutsche Alpenverein, für einheitliche Regelungen einsetzt, die Informationen und Ausbildungen für interessierte Canyonsportler anbietet und vor allem den Naturschutz ganz oben auf der Fahne stehen hat.

Adrenalin-Kick

Immer mehr erfahrene Canyoning-Guides gibt es mittlerweile, und so können auch immer mehr Touristen-Touren angeboten werden. Jeder Urlauber in einem Canyongebiet, der einmal etwas ganz Besonderes erleben will, kann einen Abenteuertag buchen. Man wird vollständig ausgestattet und geht in die schönsten Schluchten. Die meisten nehmen die besten Erinnerungen an spaßige Sprünge, rasante Wasserrutschen und ein intensives Naturerlebnis mit nach Hause.

Beherzter Sprung im Boggera-Canyon im schweizerischen Tessin, Foto: S. Wünsch/DW
Und Hopp!Bild: DW/S.Wünsch

Wer sich vorher nicht traute, vom Dreimeterbrett im Schwimmbad zu hüpfen, entwickelt im Caynon plötzlich den Schneid, mit Anlauf von einer fünf, sechs Meter hohen Felsnase ins klare, tiefblaue Wasser zu springen. Die Dusche im Wasserfall, die Naturrutschen, die Sprünge und Abseiler vergisst man nicht so schnell. Dazu kommt das Bewusstsein, dass man mit dem Wasser den Weg gegangen ist, den der Fluss in Millionen Jahren in den Fels gegraben hat.

Nie die Gefahr vergessen!

Canyoning ist ein Sport, bei dem man weder sich noch die äußeren Umstände falsch einschätzen sollte. Geht man auf eigene Faust los, muss man unbedingt die Canyoning- und Rettungstechniken beherrschen. Man muss bestens ausgerüstet sein und sich mit Wetter- und Wasserkunde auskennen. Denn schnell kann einen im Gebirge ein Unwetter überraschen - und das kann in engen Schluchten dazu führen, dass der Wasserpegel so schnell steigt, dass man weggerissen wird und ertrinkt.

Doch auch wenn man noch so gut vorbereitet ist, es bleibt immer noch ein Restrisiko: Im Juni 2008 wurde eine Canyoninggruppe in Südfrankreich in einem kurzen und leicht begehbaren Canyon von einer Flutwelle überrascht. Durch einen Dammbruch kilometerweit flussaufwärts schoss ohne Vorwarnung innerhalb von Sekunden eine tödliche Wasserwelle durch die Schlucht. Der Guide und zwei weitere Teilnehmerinnen hatten keine Chance.

An diesem Canyon und an vielen anderen Orten auf der ganzen Welt, wo Menschen bei Extremsportarten zu Tode gekommen sind, haben Freunde und Angehörige Tafeln angebracht. Die sollen nicht nur an die Opfer erinnern, sondern auch jedem, der sich diesen gefährlichen Sportarten aussetzt, ins Gewissen rufen, dass man bei aller Freude, bei allem Spaß und bei allem Kick nie vergessen darf, dass die Natur eben doch nicht gänzlich bezwingbar ist.

Autor: Silke Wünsch
Redaktion: Stefan Nestler