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Spirale der Ignoranz - Hungerkrise in Niger

3. Juni 2010

Vor fünf Jahren hatten Heuschrecken die Ernte weggefressen, dieses Mal macht die Dürre den Bauern im Niger zu schaffen. Wieder droht eine Hungerkrise. Schuld ist auch das schlechte Krisenmanagement der Regierung.

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Besucher eines Marktes in Niamey, einem Dorf im Niger (Foto: AP)
Die letzten Hirse-Reserven sind inzwischen aufgebrauchtBild: AP

Tillabéri, ein Lehmhüttendorf im Nordosten des Niger. Normalerweise stampfen die Frauen hier Hirse für die Mahlzeiten des Tages. Doch schon seit ein paar Wochen gibt es keine Hirse mehr, die letzten Reserven sind aufgebraucht, und deswegen müssen sich die Menschen von den bitteren Blättern des Doubagara-Baumes ernähren. Auch wenn sie die eigentlich nur an ihr Vieh verfüttern. Für die Mahlzeiten werden die Blätter des Baumes gekocht und dann mit Weizenkleie gemischt, erzählt eine Bäuerin: "Von diesem Brei versuchen wir dann, irgendwie satt zu werden. Aber hier haben wir alle Hunger!"

Fast jeder Zweite leidet Hunger

Eine junge Familie an einem fast leeren Kornspeicher in dem Dorf Tamou´ (Foto: AP)
Die Felder sind ausgedörrt und die Getreidespeicher leerBild: AP

Tillabéri ist überall: Die Felder im Niger sind völlig ausgedörrt, seit Monaten hat es keinen Tropfen mehr geregnet, die Ernten sind schon seit einem Jahr ausgefallen, die Getreidespeicher leer. Viele Bauern haben ihr Vieh verkauft und verzweifelt ihre Dörfer verlassen, um anderswo Arbeit zu finden. Die Lage spitzt sich immer weiter zu: Im Niger trifft der Hunger derzeit fast jeden zweiten der rund 14 Millionen Menschen. Die Internationale Hilfe ist inzwischen in einigen Landesteilen mit mehreren Tonnen Getreide angelaufen, aber Fatouma Said von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen schlägt trotzdem Alarm: Die drohende Krise könne noch schlimmere Folgen haben als die letzte große Hungersnot vor fünf Jahren.

"Wir konnten zwar schon vielen Menschen helfen, aber das Geld, das die Internationale Gemeinschaft uns bisher zur Verfügung gestellt hat, reicht hinten und vorne nicht", berichtet die Entwicklungshelferin. Nicht einmal die Hälfte der Betroffenen könne derzeit mit Nahrungsmitteln versorgt werden.

Offene Bitte um Hilfe

Nigers Ex-Präsident Mamadou Tandja (Foto: AP)
Tabu-Thema Hunger: Nigers Ex-Präsident TandjaBild: AP

Jahrzehntelang war das Thema Hunger im Niger absolut tabu. Für den mittlerweile von einer Militärjunta weggeputschten Dauerpräsidenten Mamadou Tandja war es etwas Ehrenrühriges, Nahrungsmittelkrisen in seinem Land zugeben zu müssen – für Tandja fand Hunger einfach nicht statt. Nigers neue Führung dagegen nennt das Problem beim Namen. Und der neue Premierminister Mamadou Danda bittet die Weltgemeinschaft sogar offen und ganz konkret um Hilfe – in Höhe von mehr als 120 Millionen Dollar.

Natürlich kann Nigers neue Regierung keine Wunder vollbringen und aus dem trockenen Sahelstaat ein grünes Paradies machen. Aber sie steht unter massivem Druck, politisch kämpft sie ums Überleben. Sie wird daran gemessen, wie sie mit der drohenden Hungersnot umgeht. Doch Harouna Sidiku, Soziologe an der Universität von Niamey, gefällt es gar nicht, dass der neue Premier sich bei der Weltgemeinschaft gleich zum Bettler macht. Dass sein Land sich weiter von einer Hungerkrise zur nächsten schleppt – und am Tropf der Nothilfe auch noch sein trübes Image als Katastrophenland pflegt.

Fehlende Strategien für die Landwirtschaft

Der Wissenschaftler fürchtet, dass die vielen Hilfsmillionen buchstäblich verdampfen, weil wieder nur die Symptome des Hungers bekämpft würden, nicht aber die Ursachen. "Immer die gleichen landwirtschaftlichen Methoden – wie im Mittelalter!", schimpft er. Hinzu kämen das Bevölkerungswachstum und die Wüstenbildung wegen der massenhaft abgeholzten Bäume. "Dieses Land hätte die Chance und auch die Mittel, etwas zu ändern. Und das ist es was mich so ärgert: Es geht alle Jahre wieder von vorne los, und dabei müsste man doch langsam mal die Konsequenzen aus einer so dramatischen wie bekannten Situation ziehen", ärgert sich der Soziologe.

Eine Familie kocht in ihrem Dorf unter freiem Himmel (Foto: AP)
"Irgendwie satt werden" - Fast jeder zweite in Niger leidet HungerBild: AP

Im Niger, einem der unwirtlichsten Länder der Welt, müsse man eben alle fünf Jahre mit einer Nahrungsmittelkrise rechnen – alle wüssten das, nur hätten sich bisher weder die Politik, noch die Hilfsorganisationen oder die Bevölkerung darauf eingestellt, erklärt Sidiku weiter. Noch immer gebe es keine echte Landwirtschaftspolitik, keine Investitionen in Agrartechnik, in erneuerbare Energien oder in die Ausbildung von Ingenieuren. Dabei seien das die wahren strategischen Waffen im Kampf gegen den Hunger. Und eben nicht die Scheckbücher.

Autor: Alexander Göbel

Redaktion: Stephanie Gebert

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