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"Spielmacher": Der blinde Fleck im Weltfußball

Alexander Keßel
16. April 2018

Betrug, Erpressung und Gewalt: Der Kinofilm "Spielmacher" mit Frederick Lau legt den Finger in die Wunde von Fußballromantikern. Wird der Sport von der Wettmafia kontrolliert?

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Ivo, gespielt von Frederick Lau, sitzt in einer Szene aus dem Film "Spielmacher" mit Dejan (Oliver Masucci) an einem Tisch. Darauf liegt eine große Summe an Bargeld. Dejan zählt die Scheine während Ivo ihn beobachtet.
Bild: Warner Brothers/Gordon Timpen/SMPSP

Fußball ist die schönste Nebensache der Welt. Das ist zugegebenermaßen eine abgedroschene Floskel. Die wird jedoch durch Millionen von Fußballfans rund um den Globus seit Jahrzehnten mit Leben gefüllt. Es sind die besonderen Momente, bei denen die Emotionen im Stadion überkochen können: der strittige Platzverweis, der verweigerte Elfmeter oder der Treffer in der letzten Sekunde. Doch was wäre, wenn all das nur ein Fake wäre? Wenn nicht nur Fifa-Funktionäre sondern auch Spieler und Schiedsrichter im großen Stil gekauft wären und Ergebnisse dadurch manipuliert würden?

Wettmafia auf der Leinwand

Um das Thema Spielmanipulation, auf Neudeutsch Matchfixing, geht es in dem Film "Spielmacher". Der feierte am vergangenen Mittwoch (11.04.2018) seine Weltpremiere in der Essener "Lichtburg", Deutschlands größtem Kinosaal. Der Film handelt von Ex-Fußballer Ivo (Frederick Lau), der nach der Verstrickung in eine Spielmanipulation eine Haftstrafe verbüßen musste. Da er nach seiner Entlassung aus dem Knast beruflich nicht auf die Beine kommt, zieht es Ivo in Wettbuden. Zuerst mit Erfolg. Doch dann gerät er ins Visier des Wettpaten Dejan (Oliver Masucci), bei dem er sich mit einer risikoreichen Wette hoch verschuldet. Um die zu begleichen, driftet Ivo immer weiter in den Sumpf der weltweit operierenden Wettmafia. Er erpresst Spieler, schiebt Geld zu Kontaktmännern, die es weiter zu chinesischen Syndikaten leiten. Die wiederum setzen das Geld auf die lokal manipulierten Spiele bei illegalen Buchmachern. Im Gegensatz zu Deutschland kann dort sogar auf Jugendspiele gewettet werden.

"Spielmacher": Kinofiktion oder Realität?

Mit "Spielmacher" hat sich Timon Modersohn ein undurchsichtiges Milieu für sein Regiedebüt ausgesucht. Der Film ist düster und voller Gewalt. Wer nicht nach der Pfeife der Wettmafia tanzt, stirbt. Mit Glück kommt man mit einem gebrochenen Bein davon. Die Botschaft an den Zuschauer: Hier geht es nicht um Kleinganoven, sondern um organisierte Kriminalität. Auf die Frage wie nah die Handlung der Realität komme, antwortete der Regisseur auf dem roten Teppich in Essen: "Sehr nah. Mit dem Thema beschäftige ich mich bereits seit Robert Hoyzer." Die Manipulationsskandal um den damaligen deutschen Profi-Schiedsrichter erschütterte im Jahr 2005 die Fußballwelt.

Filmpremiere Spielmacher
Oliver Masucci (l) und Frederick Lau bei der Weltpremiere des Films "Spielmacher" in Essen.Bild: picture-alliance/dpa/C.Seidel

Zur Vorbereitung auf ihre Rollen zog es die Schauspieler Frederick Lau und Oliver Masucci gemeinsam in die Welt der Spielunken und dubiosen Wettbuden. "Um so eine Rolle zu spielen, musst du ja wissen wie solche Leute ticken", begründet Lau. Sein Schauspielerkollege Masucci weiß: "In Deutschland wird auf Jugendspiele und Drittligaspiele gewettet, wo du noch nah an die Spieler herankommst. Denen wird im Spiel per Augenkontakt signalisiert: Jetzt foulen." Aber wie geraten die Spieler in solche Abhängigkeitsverhältnisse? "Da brauchst du das Vertrauen der Akteure oder Druckmittel. Oft sind das Schulden. Und dann hast du die Spieler oder Schiedsrichter in der Hand", erklärt Timon Modersohn.

Soko "Flankengott" spürt Wettpaten auf

Der bis dato größte Wettskandal im europäischen Fußball aus dem Jahr 2009 zeigt, dass all das keine Fiktion ist. Damals bestachen Ante Sapina und Marijo Cvrtak Spieler, Funktionäre und Schiedsrichter, um sie zur Spielmanipulation zu bewegen. Auch die Champions League und die WM-Qualifikation waren betroffen. Damit kassierten die Wettpaten Millionensummen. Aufgedeckt wurde der Betrug durch die mittlerweile wieder aufgelöste Sonderkommission (Soko) "Flankengott" bei der Bochumer Polizei. Kriminalhauptkommissar Michael Bahrs (46) war Teil der Soko. "Aufgrund unserer Ermittlungen wurden über 100 Jahre Haftstrafen ausgesprochen", sagt Bahrs. Doch das sei nur die Spitze des Eisbergs gewesen. "Bis heute werden jedes Wochenende überall auf der Welt, auch in deutschen Ligen, Spiele verschoben", so der Kriminalhauptkommissar. Der 46-Jährige gilt seit dem Ermittlungserfolg der Soko als einer der größten Experten im Bereich Matchfixing, hält polizeiinterne Vorträge, wird aber auch als Gastsprecher von Fußballverbänden, wie dem Deutschen Fußballbund (DFB), gebucht. Er ist gut vernetzt. Noch immer bekomme er Hinweise von seinen Informanten zugesteckt. Die leite er dann mangels Zuständigkeit an andere Behörden weiter. Häufig fehle es da aber an der nötigen Erfahrung oder an Ressourcen. Viele Spuren zu organisierten Syndikaten auf der ganzen Welt verliefen deshalb im Sand, bedauert Bahrs.

Ante Sapina bei einer Verhandlung im Bochumer Landgericht Ende des Jahres 2013.
Ante Sapina musste sich vor dem Bochumer Landgericht verantwortenBild: picture-alliance/dpa

Vorwurf an den DFB und die Vereine: "Es fehlt an Präventionsarbeit"

Und auch die Verbände schenken dem Thema Matchfixing nach Ansicht des Kriminalhauptkommissars zu wenig bis gar keine Beachtung. Dabei seien die Maschen der Wettmafia weitgehend bekannt. "Das sind eloquente Leute, gut gekleidet, die gut reden können. Die wissen genau, in welchen Etablissements sich vor allem die jungen Spieler in der Freizeit tummeln", weiß Bahrs nach zahlreichen Verhören in den letzten Jahren. Vor allem Nachwuchsspieler der Bundesligavereine seien im Fokus der Wettmafia. Ob sie später den Durchbruch in den Profibereich schaffen, sei zunächst nebensächlich, da auch auf unterklassige Ligen gewettet werden kann. "Die Spieler ködern sie erst mit ihrer lockeren Art und holen sie mit dicken Karren vom Training ab - ganz im Lifestyle der großen Profis." Wenn das Vertrauen aufgebaut ist, locken sie später mit sicheren Wetten. Wer verliert, hat plötzlich Schulden. Um die zu tilgen, erwarten die Hintermänner Gefälligkeiten. Lassen sich die Spieler auf eine Manipulation ein, sind sie gefangen. Wer aussteigen will, wird erpresst. Denn wenn das Matchfixing auffliegt, sind die Spieler nicht mehr tragbar. So oder ähnlich banal laufen viele Anwerbeversuche ab, so Bahrs. "Viele der Spieler merken nicht, mit wem sie es da zu tun haben. Plötzlich sind ihre Karrieren zerstört", sagt der Kriminalhauptkommissar.

Kriminalhauptkommissar Michael Bahrs steht  in ziviler Kleidung am Ufer eines Gewässers.
Kriminalhauptkommissar Michael Bahrs deckte zusammen mit der Soko "Flankengott" den größten Wettskandal der europäischen Fußballgeschichte aufBild: Michael Bahrs

Blinder Fleck bei der Bewertung der Gefahr?

Für ihn ist es unverständlich, warum Vereine und DFB auf diesem Auge blind zu sein scheinen. "Die Nachwuchsspieler sollten in den Jugendakademien und DFB-Stützpunkten von den Anwerbetaktiken dieser Leute und den Konsequenzen erfahren." Auf Nachfrage wollte sich der DFB zum Themenkomplex Matchfixing und Präventionsarbeit gegenüber der Deutschen Welle nicht äußern.

Oliver Bierhoff schießt im Finale der Europameisterschaft 1996 aus etwa 15 Metern mit dem linken Fuß auf das tschechische Tor. Mit dem Schuss entscheidet der deutsche Nationalspieler das Spiel.
Oliver Bierhoff entscheidet das Europameisterschaftsfinale 1996 durch ein Golden Goal für Deutschland gegen die Tschechische RepublikBild: AP

Dass das Thema weit oben auf der Agenda sein müsste, belegen Zahlen. Allein bei deutschen Wettanbietern wurden nach Angaben des Deutschen Sportwettenverbands im Jahr 2016 sechs Milliarden Euro (2014: 4,5 Miliarden Euro) umgesetzt. Der Bund soll dadurch im Übrigen laut Sportwettenverband 307 Millionen Euro an Steuern eingenommen haben, allein im Jahr 2016. Eine Studie der Pariser Sorbonne-Universität hat ergeben, dass weltweit jährlich bis zu 500 Milliarden Euro in den Sportwettenmarkt fließen, teilte Stuart Page vom katarischen Internationalen Zentrum für Sportsicherheit (ICSS) der spanischen Sportzeitung "Marca" mit. Erschreckende 80 Prozent der Wetten würden illegal abgewickelt, bei nicht registrierten Buchmachern.

"Die Spieler gewinnen, wir gewinnen, die Chinesen gewinnen", sagt Dejan in "Spielmacher". Der eindeutige Verlierer ist der Zuschauer, der sich auf einen fairen Wettkampf freut. Denn was wäre das "Golden Goal" von Oliver Bierhoff bei der WM 1996 wert, was der Nachspielzeit-Doppelpack von Borussia Dortmund gegen den FC Malaga 2013, wenn alles geschoben wäre? Wenn alles vorherbestimmt ist, wo liegt dann noch der Reiz für die Fans?