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Bloggen in Kuba

19. Oktober 2009

Die kubanische Bloggerin Yoani Sánchez hat gelernt, zu improvisieren. Wie sie die offizielle Zensur umgeht und warum sie nicht älter als 60 Jahre werden will – darüber sprach sie im Interview mit DW-WORLD.DE

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Bekommt keine Ausreisegenehmigung - Yoani Sànchez, bekannteste kubanische BloggerinBild: picture-alliance/ dpa
DW-WORLD.DE: Frau Sánchez, ihr Blog "Generación Y“, den es seit April 2007 gibt, ist weltberühmt geworden, hat zahlreiche Preise gewonnen, unter anderen den renommierten spanischen Journalistenpreis José Ortega y Gasset, den DW BlogAward BOB's, den Maria-Moors-Cabot-Preis der Colombia University – wofür steht eigentlich der Name "Generation Y“?

Yoani Sánchez: "Generation Y“, das ist für mich eine Generation, die dazwischen steht: Wir Kubaner zwischen 25 und 35 Jahren haben in dieser Gesellschaft eigentlich keine Stimme. Wir haben das Kindesalter verlassen, aber gehören auch nicht zu der Generation, die die Anfangsjahre der Revolution miterlebte. Wir gehören zu einer Generation, die entscheiden kann zwischen Schweigen oder Exil. Aber ich glaube, es gibt viele, die ihren Frustrationen, ihren Gedanken über den ganz normalen und schwierigen Alltag Ausdruck verleihen wollen und sich in den offiziellen Medien überhaupt nicht wieder finden. Und das gab bei mir den Ausschlag diesen Blog anzufangen, einfach zu sagen, ich suche alternative Wege, den Mund aufzumachen, und das Bloggen schien mir und scheint mir dazu der perfekte Weg.

Aber sicher kein einfacher Weg, immerhin hatten Kubaner bis Mai 2008 keine Möglichkeit, ins Internet zu gehen...

Ja, das war ein Desaster und ist es immer noch. Ich sage immer: wenn ich irgendetwas bin, dann eine Spezialistin im Bloggen unter widrigen Umständen. In den ersten Monaten gab ich mich als deutsche Touristin aus. Da ich zwei Jahre in der Schweiz gelebt habe, kann ich ein paar Sätze deutsch sprechen. Damit habe ich mich in die Hotels geschmuggelt, von wo aus ich meine Texte hochgeladen habe, die ich vorher auf einem USB-Stick gespeichert hatte. Damals war alles noch sehr rudimentär, ich hatte keine adäquaten Programme, keine Internetkenntnis, nichts. Mein Deutsch half mir dann aber auch, das Ganze zu finanzieren: Ich habe meine Arbeit im Staatsdienst gekündigt, denn damit kann man keine Familie ernähren. Also bot ich deutschen Touristen unter der Hand Spanischkurse an, mit dem Erlös finanzierte ich mir unter anderem die sehr teuren Internetkarten, die etwa sechs Dollar pro Stunde kosten.

Wie hat denn der kubanische Staat reagiert, ließ er Sie einfach so bloggen?

Am Anfang ja, denn er hatte das Phänomen Blog unterschätzt respektive nicht mitbekommen. Ich war ja selbst erstaunt, über das große Interesse an meinem Blog, das – nachdem Reuters eine Nachricht über mich brachte – nochmals explodierte. Dann begannen die Behörden, meine Domain zu sperren, ein Freund in Spanien half mir, eine zweite Domain aufzubauen. Und er half, meine alte Seite mit meinen Texten zu bestücken, die ich ihm per Mail schickte und er schickte mir, die Kommentare meiner Leser zurück. Erst kürzlich wurde dann unsere neue Seite vocescubanas.com im Inland auch gesperrt. Ich bin praktisch so etwas wie eine gefangene, blinde Bloggerin.

Aber genau diese Beschränkungen haben ihren Blog ja eher noch populärer gemacht...

Das stimmt, ich habe heute mehr Leser als zuvor. Was verboten ist, das muss interessant sein, haben sich wohl viele gedacht. Ich verteile meine Texte per CD und USB-Stick auf Konzerten, in Kulturzentren und auf der Straße. Aber was mich besonders freut, es gibt auch immer mehr Blogger in Kuba: Ich gebe Workshops in den Provinzen, wo das Bloggen wegen der schlechten Internetverbindung noch schwerer ist und ich nehme Texte von Kollegen aus den Provinzen per Telefon auf und publiziere sie. Dazu treffen wir Blogger uns regelmäßig, diskutieren und geben uns Know-How, Software und Texte weiter.

Außer Ihnen gibt es, auf Ihrer und anderen Websites, heute über ein Dutzend alternative Blogger aus Kuba. Und das, obwohl der Zugang zum Internet sehr limitiert ist - was macht ihre Texte so attraktiv?

Ich glaube, am Anfang war es das Erstaunen darüber, dass da jemand von der Insel selbst, also nicht aus dem Ausland, etwas Neues angestoßen hat. Und dann gerade einen Blog, in dem Land, in dem weltweit wahrscheinlich mit am wenigsten Menschen Zugang zum Netz haben. Dazu bin ich eine Frau und es haben sich andere Frauen angeschlossen. Das ist schon etwas besonderes, wenn man bedenkt, wie machistisch unsere Kultur ist. Die Symbolik der Castros, das ist immer auch eine machistische Symbolik, in der das Feminine wenig Platz hat.

Unsere Art des Schreibens ist anders, sie setzt sich ab von dieser Propagandasprache der offiziellen Medien, sie hat nicht dieses triumphalistische, diese extensiven „Wir-Sind-die-Größten“ Metaphern. In unserem Blog geht es um Alltagsbeobachtungen, geschrieben in der Sprache, die man auch auf der Straße hört. Ich glaube, das Authentische ist es, was die Leute hier finden, weil sie es in den offiziellen Medien so vermissen.

Ich bin Philologin und dieses Schreiben, das Journalismus und Literatur mischt, beschreibt die Realität vielleicht viel authentischer, weil ich schreibe, was ich sehe.

Nun ist Kuba nicht gerade berühmt für seine Toleranz gegenüber alternativen Meinungen – im Gegenteil, erst im "schwarzen Frühling" 2003 wurden 75 regimekritische Journalisten verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Haben Sie keine Probleme mit der Zensur?

In Kuba gibt es keine Pressefreiheit, die drei Zeitungen – Granma, Juventud Rebelde und Trabajadores – sind gleichgeschaltet unter der Kontrolle der Regierung, genauso wie das Radio und das Fernsehen. Alles, was alternativ ist und nicht durch die Regierung kontrolliert werden kann, läuft sofort Gefahr der "feindlichen Propaganda" verdächtigt zu werden. Ich habe den großen Vorteil, dass meine Internet-Seite und ich, als Person, inzwischen international bekannt sind. Das schützt mich – wie lange allerdings, weiß ich nicht. Ich werde bewacht und abgehört, meinen Freunden wird gesagt, dass sie mich meiden sollen, von anderen werde ich behandelt, als sei ich radioaktiv. Fidel Castro höchstpersönlich hat mich öffentlich zur persona non grata erklärt, das kommt einer Vertuteilung als Vogelfreie gleich. Ich denke, die Regierung sammelt Beweise und irgendwann wird sie mich verhaften.

Nimmt Ihnen das nicht den Mut – die ständige Angst verhaftet zu werden, nie ausreisen zu dürfen, um Preise entgegen zunehmen?

Nein, ich habe mich nun mal dafür entschieden, den Mund aufzumachen, und jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich bin kein Opfer, sondern trage die Verantwortung für meine Entscheidung und deswegen möchte ich auch nicht jammern. Ich gehe ohnehin nicht davon aus, älter als 60 Jahre alt zu werden, wozu die Jahre verschwenden, die ich habe? Und dazu habe ich jetzt die Möglichkeiten, etwas zu tun. Der Ortega-y-Gasset-Preis hat mir eine Finanzspritze gegeben, mit der ich viele Projekte, von denen ich träumte, beginnen konnte. Der Preis der Deutschen Welle, ein eigenes Laptop, gibt mit die Möglichkeit, mich per Wireless Lan einzuloggen und zudem vor dem Argument der Regierung gefeit zu sein, ich würde mein Laptop und meine Bloggertätigkeit durch die CIA oder Kuba feindliche Gruppen finanzieren. Nein, ich habe ein legales Laptop, was kaum einer in Kuba hat. Denn Computer und Laptops kann man hier erst seit kurzem und dann nur zu überhöhten Preisen kaufen, so dass fast alle elektronischen Geräte vom Schwarzmarkt kommen. Und so ist das mit allem – auch mit Filmen, verbotenen Büchern, ausländischen Zeitungen. Man findet schon einen Weg, daran zu kommen. Neben dem offiziellen Kuba, in dem alles kontrolliert wird, gibt es immer auch das inoffizielle, das illegale, das Underground-Kuba.

Das klingt nach einer lebendigen, alternativen Szene – verspüren Sie so etwas wie eine Aufbruchsstimmung bei der jungen Generation? Raúl Castro hatte bei Amtsantritt ja auch Reformen versprochen und große Hoffnungen geweckt.

Oh, ich würde mich freuen, wenn der Wandel dort um die Ecke wartet, aber so ist es nicht. Wenn es einen Wandel gibt, dann wird er ganz langsam kommen, denn die Leute, die hier an der Macht sind werden versuchen, diese Macht so lange wie möglich zu halten und den alten Machtapparat zu konsolidieren. Und unsere Gesellschaft, ist über die Jahre so apathisch geworden, vor allem die jungen Leute. Man macht irgendwie mit und denkt dabei ans Auswandern, Interesse an Politik ist kaum mehr vorhanden, wozu auch? Aber irgendwann wird das hier auch zu Ende gehen, ich hoffe, dass meine Enkelkinder ein Kuba vorfinden werden, in dem sie ihre Träume leben können. Und wer weiß, vielleicht wird ja gerade irgendwo im Land der Samen für ein anderes Kuba gesät - nur bekommt es noch niemand mit. Denn, wie gesagt, alternative Information muss sich ihre Wege in Kuba mühsam suchen.

Das Gespräch führte Lena Fabian

Redaktion: Sven Töniges