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Spanien läutet die Aufholjagd ein

Stefanie Claudia Müller
15. Juni 2021

Die Hauptstadt hat den Anfang gemacht, jetzt wird die Wirtschaft auch im Rest des Landes wieder komplett hochgefahren. Tourismus, Gastronomie und Veranstaltungs-Branche des hoch verschuldeten Landes starten durch.

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Spanien, Madrid | Nächtliche Ausgangssperre aufgehoben
Bild: Susana Vera/REUTERS

Malgosia Minta liebt es zu essen. Sie ist ein Foodie. Die 46.000 Anhänger auf ihrem Instagram-Account verfolgen jeden Post von schönen Gerichten aus dem Fisch-Restaurant "El Señor Martín" im Madrider Ausgehviertel Tribunal. "Madrid Fusion", das erste Präsenz-Event in der Gastronomie in Europa, konnte sich die junge Bloggerin nicht entgehen lassen. Sie trifft dort auf Kollegen aus aller Welt: "Wir waren ausgehungert. Es ist aufregend zu sehen, wie attraktiv Spanien geworden ist."

Es war Ferran Adrià, der vor mehr als 20 Jahren die Gastronomie-Welt technologisch revolutionierte - und damit den gesamten Nahrungsmittelsektor sowie die spanische Industrie. Die in Burgos ansässige Firma Hiperbaric stellt Maschinen für die Herstellung von Nahrungsmitteln unter Hochdruck her. Sie wirbt damit, dass diese dank des "Hot Isostatic Pressing" dann weniger Bakterien aufweisen und ohne Zusatzstoffe produziert werden können. Ihre Maschinen sind inzwischen führend auf dem Markt. 

Gute Sommerstimmung in Spanien

Der Sommer hat für die Spanier schon im April mit den ersten Gästen auf Mallorca begonnen. Fiel die Saison 2020 ins Wasser, gibt es derzeit Grund zu Optimismus. Denn die OECD sagt für das Land in den kommenden zwei Jahren das stärkste Wirtschaftswachstum der Eurozone voraus. Vergessen scheint, wie düster 2020 mit einer der höchsten Covid-19-Todesraten in der EU war. Masken werden noch überall getragen, der Abstand eingehalten, aber ansonsten herrscht in Spanien "business as usual". 

Infografik Spanien: Stärkstes Wachstum in der Eurozone DE

Weil die Staatsschulden nach offiziellen Angaben inzwischen 119 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreicht haben und die Arbeitslosigkeit nach Ende der Kurzarbeit auf 20 Prozent hochschnellen könnte, muss Spanien jetzt Gas geben. Die konservative Madrider Regional-Präsidentin Isabel Díaz Ayuso setzt schon seit Monaten auf Öffnungen, um ihren anfangs schwachen Start in der Hauptstadt-Politik wieder wettzumachen. Dank offener Theater hat sie in kürzester Zeit die Hauptstadt zu einem internationalen Magneten gemacht und die gerade vorgezogenen Regionalwahlen klar gewonnen.

Erfolg durch Pragmatismus und Risikobereitschaft

"Ich bin seit Anfang des Jahres hier und überrascht von dem hohen Niveau der Veranstaltungen und der professionellen Organisation", sagt Antonia Blau, Direktorin des Goethe-Instituts in Madrid. Die Kunstmesse Arco wird ab dem 7. Juli zusätzlich Tausende von Touristen nach Madrid bringen. Obwohl die Sieben-Tage-Inzidenz in Spanien mit 60 immer noch weitaus höher ist als in Deutschland, sorgt sich die Regierung über die verschiedenen Varianten des Virus wenig, die durch den Tourismus eingeschleppt werden könnten. Der Madrider Flughafen und das Messegelände laufen bereits seit Monaten wieder auf Hochtouren. Barcelona öffnete sich langsamer. Dort wird jetzt aber der Mobile World Congress stattfinden. "Das macht so viel Hoffnung", sagt Blau, die gerade das German Film Festival in Madrid eröffnete.

Auch das Nachtleben dreht wieder auf in Marbella, Madrid und Barcelona, wo die Touristen auch zur Freude von Lufthansa und Tui regelrecht einfallen. Der spanischen Gesundheitsministerin ist nicht wohl dabei, aber was Isabel Ayuso mit ihrer pragmatischen und für manche leichtsinnigen Öffnungsstrategie in Madrid seit Anfang des Jahres losgetreten hat, überrollt nun das ganze Land.

Spanien Essen l Koch im Madrider Restaurant Señor Martín
Carlos Urrutikoetxea kocht im Madrider Restaurant El Señor MartínBild: Restaurante El Sr. Martín

Spanien hat am Anfang der Pandemie viele Fehler gemacht, aber jetzt ist nach offiziellen Angaben bereits fast die Hälfte der Bevölkerung geimpft. Alles läuft digital übers Handy, streng nach Altersgruppen. Spanien hat beim Restart den Vorteil, dass es wenig Impfgegner oder "Querdenker" gibt: "Alle haben Lust auf Freizeit", sagt der Baske Carlos Urrutikoetxea, der seit einem Jahr im "El Señor Martín" in der Küche das Sagen hat und sich freut, dass er in diesen Tagen so viele internationale Gäste hat. Um das Restaurant zu betreten, sind keine Tests notwendig und auch kein Eintragen in eine Liste.

Malgosia Minta musste noch einen PCR-Test machen, um nach Spanien einzureisen, obwohl sie geimpft ist. Ab Anfang Juni fällt auch das weg, was der Tourismusindustrie nochmal einen enormen Schub geben wird. Ohne Test werden jetzt auch Kinder unter 12 Jahren bei der Einreise durchgewinkt. Für nicht Geimpfte oder Genesene ist statt einem negativen PCR- jetzt auch ein Schnell-Test möglich. Trotz allem Enthusiasmus rechnet der spanische Staatssekretär für Tourismus, Fernando Valdés, zwischen Juli und September nur mit maximal 15,5 Millionen Touristen. Das entspricht gerade einmal 40 Prozent der Zahlen von 2019, wäre aber doppelt so viel wie 2020.

Der Run der Investmentfonds auf Spanien

"Wir haben es geschafft, aus einer sehr komplizierten Situation das Beste zu machen und über unseren Gastronomie-Sektor, der besonders betroffen war, wird heute mehr gesprochen als je zuvor", freut sich Benjamin Lana, Veranstalter von "Madrid Fusion" und einer der weltweit führenden Experten im Food-Bereich.

Spanien Essen l Madrid Fusion - Organisator Benjamin Lana
Madrid Fusion-Chef Lana: Über Spaniens Gastronomie wird mehr gesprochen als je zuvorBild: privat

Das Interesse der Fonds an der heimischen Wirtschaft ist gestiegen. Gastronomie und Tourismus sind das Hauptziel der Gelder. Der Branchenverband ASCRI berichtet im ersten Quartal 2021 von einem Anstieg der Fonds-Investitionen in die spanische Wirtschaft im Vergleich zum Vorjahr von 84 Prozent auf 1,12 Milliarden Euro. Von Zahlen hat Minta keine Ahnung, aber von gutem Essen. Von Madrid fuhr sie nach Sevilla: "Das positive Ambiente hier tut nach dem Lockdown gut".

Aber einer hat ihr gefehlt: Starkoch Adrià. "Madrid Fusión"-Organisator Lana kündigt eine fulminante Rückkehr des Kochs an: "Ferran wird schon bald wieder kommen mit einem interessanten Projekt, das viele überraschen wird." Er ist stolz, wie Spanien in den vergangenen Wochen gastronomisch aufgedreht hat, aber gibt zu verstehen, dass ihn seine Kultur zur Bescheidenheit zwingt: "Wären wir Franzosen würden wir sagen, wir sind die besten."