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Siegreiche Sozialisten

Carolin Lohrenz18. Juni 2012

Für Frankreichs Sozialisten ist es eine historische Premiere. Die Partei des Präsidenten hält jetzt auch im Parlament die absolute Mehrheit. Die wird François Hollande für sein Reformprogramm auch brauchen.

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Wahlbüro in Frankreich (Foto: AP)
Bild: AP

Der noch neue Präsident im Pariser Elysée-Palast hat am Sonntagabend (17.06.2012) wahrscheinlich tief durchgeatmet. Der Mann, der das Präsidentenamt vor allem der Tatsache verdankt, dass er nicht Nicolas Sarkozy ist, hält nunmehr eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung und damit eine Machtfülle wie kaum einer seiner europäischen Kollegen.

Weder der Wahlverdruss der Franzosen, die nach einem lahmen Wahlkampf den vierten Urnengang in 2 Monaten vielfach verweigerten (56 Prozent Wahlbeteiligung), noch der peinliche "Zickenkrieg" der vergangenen Woche auf Twitter zwischen Hollandes Lebensgefährtin Valérie Trierweiler und ihrer Vorgängerin Ségolène Royal, konnten den Umschwung bremsen.

Konservative nach 10 Jahren erstmals in der Opposition

Hollande hat nun "die breite Mehrheit für den Präsidenten", die er sich von den Franzosen für seine fünfjährige Amtszeit gewünscht hat. Mit 300 gegen 207 Sitze schickten die Sozialisten die ehemalige Regierungspartei UMP von Nicolas Sarkozy auf die Oppositionsbank. Auch die Gefahr von Rechts ist gebannt. Die gefürchteten Rechtsradikalen vom Front National, die im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen noch mit dem Rekord-Ergebnis von 18 Prozent für Aufregung sorgten, scheiterten an Frankreichs Wahlsystem, das kleinen Parteien ohne starken Partner den Weg in die Nationalversammlung schwer macht.

Dennoch triumphierten die FN-Garden: Denn erstmals seit 1987 zieht die Partei mit zwei Abgeordneten wieder ins Parlament ein. Das Familienunternehmen von Jean-Marie Le Pen hievte dabei nicht die charismatische Parteichefin und Gründertocher Marine ins Parlament. Einziehen werden dafür deren Nichte Marion, die mit 22 Jahren jüngste Abgeordnete wird, und der populäre Strafverteidiger Gilbert Collard.

Sitzungssaal der französischen Nationalversammlung (Foto: dpa)
In der Nationalversammlung werden die Sozialisten künftig die meisten Abgeordneten stellenBild: picture-alliance/dpa

Hollande in der Verantwortung

Die Hollandes PS hält jetzt nicht nur das in Frankreich nahezu royale Präsidentenamt und das Unterhaus. Nach den Wahlsiegen der vergangenen fünf Jahre hat sie auch die Mehrheit im Senat, den Regionalregierungen, Kantonen und den wichtigsten Gemeinden des Landes. Dieser Rekord-Erfolg seit dem Wahlsieg von François Mitterrand 1981 birgt aber auch Handlungszwang. Die Franzosen wollen jetzt Taten sehen, betont Renault Dély, Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Nouvel Observateur. "Diese Serie von Wahlniederlagen der Konservativen haben alle Macht an die Sozialisten gegeben. Das ist für die Linke eine Premiere." Für die Regierung und den Präsidenten bedeute das auch, dass François Hollandes jetzt noch mehr in der Verantwortung steht, das Land wirklich zu reformieren, meint Dély. "Wenn er das nicht schafft, dann wird er in fünf Jahren, am Ende seines Mandats, keine Ausrede haben."

Das Reformprogramm kommt dabei einer Generalüberholung des Staates gleich. Frankreich kämpft mit rückläufigem Wachstum, seiner siechenden Industrie, einer explodierenden Arbeitslosigkeit von zehn Prozent und einem riesigen Schuldenberg. Der neue Präsident steht jetzt vor dem Balance-Akt, seine teuren Versprechen aus dem Wahlkampf einzuhalten und trotzdem 2017 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen.

Für Merkel wird es schwieriger

Für die harten Einschnitte, die das nötig macht, wird er ohne Kompromisse mit den Grünen oder der radikalen Linken auskommen. Eine Machtfülle, die manch einem schon Anlass zur Sorge bereitet: "Wo werden in den nächsten Wochen und Jahren die Gegengewichte sein? Wo ist die Opposition?", fragt etwa der Essayist Eric Brunet. "Man darf heute ernsthaft die Frage nach den Gegengewichten stellen. Die Gewerkschaften werden es nicht sein. Und die Presse auch nicht."

Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande (Foto: dapd)
Ein anderes Verhältnis als zu Sarkozy: Merkel und HollandeBild: dapd

Der erste Punkt auf dem Reformplan des Staatschefs wird ihn aber nach Brüssel und Berlin führen. Hollande, der vergangene Woche mit Italiens Ministerpräsident Mario Monti die so getaufte "Wachstumsachse Paris-Rom" gründete, wird sich in der Euro-Krise nun mit neuem Elan zum Wortführer der südlichen Länder aufschwingen. Bundeskanzlerin Angela Merkel darf sich auf mehr Widerstand gegen die Sparpolitik von Deutschlands wichtigsten Partner in Europa gefasst machen. Mehr denn je führt dieser sein Wachstumskonzept im Mund. Einem Zeitungsbericht zufolge will Hollande 120 Milliarden Euro ausgeben, um die Konjunktur in Europa anzukurbeln.

Investiert werden soll in "intelligente Netze", in erneuerbare Energien, in die Nano- und in die Biotechnologie. Auch für eine Finanztransaktionssteuer setzt sich Frankreichs Präsident ein. Finanziert werden solle der Plan durch ungenutzte Hilfsfonds der EU und eine Kapitalerhöhung der Europäischen Investitionsbank. Für den Publizisten François Lenglet wird Frankreichs Präsident hier einen langen Atem brauchen: "Nicolas Sarkozy war Merkels Stellvertreter. Im Gegensatz dazu ist François Hollande der Chef der südlichen Länder, das heißt der Länder mit Finanz- und Wettbewerbsproblemen. Er fängt jetzt ein Kräftemessen mit Angela Merkel an. Und einige Argumente geben ihm auch Recht! Die Deutschen sagen uns nun: Okay, wir machen eine politische Union, aber alle achten auf ihre Haushalte und wir bekommen multilaterale Kontrollmechanismen. Das alles gehört zu den wichtigen Punkten, die der Präsident in den nächsten Wochen beantworten muss."