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Souveräner Nachbar

Gérard Foussier7. August 2002

Mit Interesse und einer guten Portion Gelassenheit beobachten die Franzosen den deutschen Wahlkampf. Die Kanzlerfrage ist für sie zwar wichtig, aber das gute Verhältnis der Nachbarländer hängt davon nicht mehr ab.

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Deutsch-französischer Gipfel in SchwerinBild: AP

Mit Umfragen sind die Franzosen sehr vorsichtig geworden. Vor dem ersten Wahlgang zu den Präsidentschaftswahlen am 21. April dieses Jahres galt der amtierende Staatschef Jacques Chirac als der schwächste aller Präsidenten der Fünften Republik. Zwei Wochen später wurde er mit 82% wiedergewählt und am 16. Juni erreichte er und seine Partei auch noch eine satte Mehrheit in der Nationalversammlung, wie sie zuvor noch keine Partei erzielt hatte.

Nachdem die Franzosen ihren eigenen Wahlmarathon absolvierten, beobachten sie nun mit steigendem Interesse die politische Entwicklung im Nachbarland Deutschland. Die deutschen Verhältnisse sind ohnehin ein Rätsel für die Franzosen: Nur ein Wahlgang; zwei Wahlstimmen; ein Kanzler, der vom Bundestag gewählt wird; Koalitionen, die nach Farben zusammengewürfelt werden und ein Bundespräsident, der souverän und ohne Emotion das Ganze verfolgt - von den politischen Systemen her sind Frankreich und Deutschland zwei völlig unterschiedliche Welten.

Traditionsreiche Beziehung

Nicht wie, sondern wer wird nach den Bundestagswahlen am 22. September neuer Bundeskanzler? Das ist für die Franzosen die interessanteste Frage. Denn Frankreich hat seit vier Jahrzehnten gelernt, dass die deutsch-französische Freundschaft durch die persönlichen Beziehungen ihrer Regierenden gekennzeichnet wird: Charles de Gaulle und Konrad Adenauer haben das Versöhnungswerk besiegelt, bei Willy Brandt und Georges Pompidou hielt sich zwar die Euphorie in Grenzen, dafü verbesserte sich die Qualität der Beziehungen mit Valéry Giscard d'Estaing und Helmut Schmidt, bevor sie noch von François Mitterrand und Helmut Kohl übertroffen wurde. Erst mit Jacques Chirac und Gerhard Schröder kam dann erneut die Ernüchterung.

Der Grund? Mal rätselte man an der Seine über den Grund der plötzlich engeren Beziehungen Berlins zu London, mal schob man die Schuld auf die lähmende Kohabitation in Paris. Viele Experten hingegen stellten einfach nur fest, dass die Chemie zwischen den beiden Schröder und Chirac nicht stimmte. Die Hoffnung, das Verhältnis werde sich durch einen Bundeskanzler Stoiber verbessern, wird –wenn überhaupt - von konservativen Parteien, also von Chiracs Freunden, geäußert, ohne dass bereits konkrete Hinweise auf neue Impulse für die bilaterale Freundschaft auszumachen wären.

Nüchtern bis gelassen

Ingesamt ist die Stimmung bezüglich der Bundestagswahl in Frankreich nüchtern bis gelassen. Bislang wurde schon so viel erreicht, heißt es: Egal wer in Paris oder in Berlin regiert - der deutsch-französische Motor läuft ohnehin.