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Politik

Milbradt: "Ukraine hat große Erfolge erzielt"

19. August 2017

Den Bürgern mehr Einfluss geben: Die Dezentralisierung der Ukraine nach der Maidan-Revolution war ein richtiger Schritt, sagt Georg Milbradt, der deutsche Sondergesandte für die ukrainische Reformagenda.

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Ukraine Gemeinde Hrabowezka Dezentralisierung
Erfolg der Dezentralisierung: Renovierte Straße in einer ukrainischen GemeindeBild: DW/V. Prychid

DW: Herr Milbradt, welche Kernbotschaft hat ein ehemaliger deutscher Ministerpräsident für das Reformland Ukraine?

Georg Milbradt: Dass es richtig war, als erstes auf Dezentralisierung zu setzen: Das heißt, den Einfluss auf die Gestaltung des täglichen Lebens so weit den Bürgern zurückzugeben, wie es im gesamtstaatlichen Interesse möglich ist. Die Frage von öffentlichen Dienstleistungen kann man am besten unten diskutieren und entscheiden. Die Menschen können das selbst beurteilen. Es ist einfacher, in einer kleinen Gemeinschaft Einfluss zu nehmen als auf nationaler Ebene.

Deutschland ist ein föderaler Staat, gegliedert in Bundesländer - in der Ukraine geht es aber um die Dezentralisierung der Staatsgewalt. Wo liegen die Unterschiede zwischen beiden Konzepten?

Georg Milbradt
Georg Milbradt: Positive Reaktion der BevölkerungBild: DW/C.F.Trippe

Ich rede nur über die kommunale Ebene. In einem föderalen Land gibt es eine mittlere Ebene: Länder oder Bundesstaaten. Darum geht es in der Ukraine nicht. Kommunale Selbstverwaltung gibt es in föderal organisierten Ländern und in typisch zentralstaatlichen Ländern Europas - denken Sie an Polen, Frankreich oder an die skandinavischen Länder. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, es geht hier nur um die untere kommunale Ebene, möglicherweise auch um die Ebene der Kreise. Dort ist der Bürgerwille unmittelbar umsetzbar. In einer Gemeinschaft, in einem Ort von fünf- oder zehntausend Einwohnern macht man anders Politik als in einem Land wie der Ukraine mit 45 Millionen Menschen.

Sie arbeiten hier ja schon seit längerem als Berater und kennen Land und Leute gut. Wo sind denn die größten Widerstände, die größten Kräfte der Beharrung gegenüber der Dezentralisierung?

Ich will anders beginnen: Die Ukraine hat große Erfolge erzielt seit der Maidan-Revolution. Es wurde ja schon vorher über Dezentralisierung geredet, aber erst nach der Maidan-Revolution hat man die Chance ergriffen zu dezentralisieren. Mit einem richtigen und sehr erfolgreichen Schritt: den Landgemeinden, also den kleinsten Gemeinden, die Möglichkeit zu geben, zu fusionieren, ihnen dann mehr Rechte einzuräumen und ihnen auch das entsprechende Geld zu geben, damit sie ihre neuen Aufgaben erfüllen.

Wenn man in die neu geordneten Gemeinden geht, sieht man, dass die Bürgermeister aus dem Geld und ihren neuen Befugnissen etwas gemacht haben. Das zeigen ja auch die Umfrage-Ergebnisse in der Ukraine: Die Dezentralisierung als Projekt wird sehr positiv in der Bevölkerung gesehen, insbesondere auf dem Land. In den großen Städten - so wie Kiew - spürt man davon nichts, weil die Großstadt Kiew von diesen Reformen zur Zeit nicht betroffen ist.

Ukraine, Kiew, Stadtansicht
Ukraines Hauptstadt Kiew selbst ist von der Dezentralisierung nicht betroffenBild: Imago/blickwinkel

Im bewaffneten Konflikt der Ukraine mit Separatisten und ihren russischen Unterstützern im Donbass geht es auch um einen Sonderstatus, vielleicht sogar um eine Teilautonomie für die Gebiete um Donezk und Luhansk. Kann das Konzept Dezentralisierung dabei helfen, einen Ausweg aus diesem Konflikt zu finden?

Nicht im Sinne der Separatisten! Ich würde umgekehrt einen Schuh daraus machen: Wenn es der Ukraine gelingt, durch Dezentralisierung eine positive wirtschaftliche Entwicklung zu nehmen, so wie vor 25 Jahren in Polen, dann wird dies auch auf die Gebiete starken Einfluss ausüben, die im Augenblick nicht unter der Kontrolle der ukrainischen Regierung sind.

Sie sind jetzt Sondergesandter der Bundesregierung für die ukrainische Reformagenda. Dabei stehen Dezentralisierung und gute Regierungsführung im Mittelpunkt. Worauf wird ihr Schwerpunkt liegen?

Ich werde mich zunächst mit der Dezentralisierung beschäftigen, weil sie ein strategisch wichtiger Punkt ist. Damit hat man einen Teil von guter Regierungsführung schon erledigt. Das wird dann der zweite Teil sein, mit dem ich mich beschäftige. Dazu gehört auch die Reform des öffentlichen Dienstes. Da gibt es bereits ein Gesetz, das umgesetzt werden muss, man braucht aber noch ein entsprechendes Gesetz für die Gemeindeebene. Das ist meine zweite Priorität.

Westliche Experten und Beobachter in Kiew haben den Eindruck, dass das Land in den vergangenen Monaten im Kampf gegen die Korruption wieder ziemlich nachgelassen hat. Was sind ihre Pläne, um dem Kampf der Ukraine gegen die Korruption neuen Schwung zu geben?

In der Bitte, die Präsident Poroschenko über die Bundeskanzlerin an die G7-Staaten gerichtet hat, gibt es auch das Aufgabenfeld Korruption. Damit muss sich aber jemand anderes beschäftigen.

Georg Milbradt ist deutscher Sondergesandter für die ukrainische Reformagenda. Er beschäftigt sich besonders mit den Themen gute Regierungsführung und Dezentralisierung. Von 2002 und 2008 war er Ministerpräsident des Freistaates Sachsen.

Das Interview führte Christian F. Trippe.

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Christian Trippe Leiter Hauptabteilung Osteuropa
Christian F. Trippe Leiter der DW-Abteilung Osteuropa