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Die deutschen Steuergesetze füllen reihenweise Bücher

15. Oktober 2009

Allein 254 Din-A4-Seiten füllt das aktuelle deutsche Einkommensteuergesetz und ständig kommen weitere hinzu. Das deutsche Steuerrecht ist um ein Vielfaches umfassender als die Bibel. Aber ist es auch segensreicher?

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Ein Glas auf einem Bierdeckel auf dem eine Steuererklärung steht
Wunschvorstellung: Eine einfache Steuererklärung, die auf einen Bierdeckel passtBild: dpa

Der Sinn und Zweck von Steuern ist so einfach wie selbstverständlich: Sie sollen den Staat mit ausreichend Einnahmen versorgen, damit er die ihm übertragenen Aufgaben erfüllen kann. Um die Last möglichst gerecht auf alle Schultern zu verteilen, gibt es Gesetze. Nur in Deutschland gibt es davon weit mehr als im Rest der Welt. Angeblich stammen rund zwei Drittel der weltweiten Steuergesetze- und Vorschriften aus Deutschland und gehören damit zu den größten Textsammlungen der Menschheitsgeschichte. Als das Genfer World Economic Forum im Herbst 2003 die Effizienz der Steuersysteme von 102 Nationen untersuchte, landete die Bundesrepublik doch tatsächlich auf dem letzten Platz.

Reizthema Ausnahmeregelung

Grund: Das deutsche Steuerrecht ist einfach zu kompliziert, um noch effizient zu sein, da sind sich fast alle Experten einig. Mit dem seit Jahrzehnten andauernden Versuch, das Steuersystem bis in die kleinsten Verzweigungen hinein "gerecht“ zu machen, habe Deutschland sich letztlich einen Bärendienst erwiesen. Nicht mehr, sondern weniger Gerechtigkeit sei das Ergebnis. Ausnahmeregelung lautet das Reizwort in diesem Zusammenhang. Soll heißen, wer sich teure Berater leisten kann, kann jede Menge Steuern sparen. Die breite Masse bleibt jedoch auf der Strecke und die Akzeptanz für das Steuerrecht geht - wen wundert es - gegen Null.

Nach Berechnungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung verlieren die Steuerzahler allein durch den Paragraphendschungel rund 14 Milliarden Euro jährlich. Verantwortlich dafür sind die so genannten Befolgungskosten, also Geld, das allein dafür draufgeht, das Paragraphenchaos - man könnte auch sagen den Papierkram - zu befolgen.

Die Bierdeckeltheorie

Der CDU-Politiker Friedrich Merz (AP Photo/Frank Augstein)
Der CDU-Politiker Friedrich Merz gilt als Vorreiter in Sachen SteuerreformBild: AP

Nicht erst seit der Forderung des CDU-Finanzexperten Friedrich Merz, eine Steuererklärung müsse auf einen Bierdeckel passen, häufen sich die Rufe aus den Parteien, das deutsche Steuerrecht müsse endlich einfacher, transparenter und gerechter werden.

Doch Steuervereinfachung darf nicht automatisch mit weniger Paragraphen gleichgesetzt werden, warnen einige Experten. Zwar sei die Steuererklärung auf einem Bierdeckel eine nette Idee und könnte bei Einzelpersonen vielleicht sogar funktionieren. Fakt sei aber auch, dass die wirtschaftlichen Vorgänge in der globalisierten Unternehmenswelt nun einmal zu komplex seien, um in einer zweispaltigen Tabelle zusammengefasst werden zu können.

Hoffnung für Privathaushalte

Doch zumindest für die Millionen Privathaushalte in Deutschland könnte der Paragraphendschungel entwirrt werden, ohne das große Leitmotiv aus den Augen zu verlieren, das da lautet: "Wer mehr verdient, muss auch mehr Steuern zahlen!" Der Stärkere, so der Gedanke, kann auch stärker belastet werden.

Genau dieses ehrgeizige Ziel hat sich die zukünftige schwarz-gelbe Regierung auf die Fahnen geschrieben. Besonders FDP-Chef Guido Westerwelle hat eine radikale Vereinfachung des Steuerrechts zum "Casus Belli" der Koalitionsverhandlungen erklärt. Mittelfristig wollen seine Liberalen nur noch drei Besteuerungsstufen: Für Einkommen bis 15.000 Euro soll ein Steuersatz von zehn Prozent gelten, in zwei weiteren Schritten würden zwischen 25 und maximal 35 Prozent ab 40.000 Euro fällig. Auf Ausnahmen und Sonderregeln soll verzichtet werden. Summa Summarum sollen die Vorschläge der Liberalen allein die Bürger um 25 Milliarden entlasten. Derzeit gilt ein gleitend ansteigender Steuertarif von 14 bis maximal 45 Prozent für sehr hohe Einkommen, allerdings mit einer Vielzahl von Sonderregelungen. Erst wenn die aus der deutschen Steuergesetzgebung verschwinden, wird eine der größten Textsammlungen der Menschheitsgeschichte tatsächlich schrumpfen.

Autor: Frank Gazon

Redaktion: Martin Schrader