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Politik

Soleimani-Tötung spaltet den Irak

8. Januar 2020

Mit dem Luftschlag gegen den iranischen General Soleimani hat die US-Regierung nicht nur weite Teile der iranischen Bevölkerung gegen sich aufgebracht. Auch im Irak hat sich die Stimmung geändert - zugunsten Teherans.

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Iran Trauerzeremonie für getöteten General Soleimani in Teheran
Trauerzeremonie für den getöteten General Soleimani in TeheranBild: AFP/A. Kenare

Die gezielte Tötung von Ghassem Soleimani galt der politischen Führung des Iran. Im Irak zeigen sich jetzt seine Auswirkungen. Dort spaltet er die Gesellschaft - so tief, dass es erste Tote zu beklagen gibt. In der Provinz Dhi Kar im Süden des Landes protestierten am Sonntag mehrere Menschen gegen eine symbolische Beerdigung des iranischen Militärführers. Als sie ihrem Unmut Ausdruck verliehen, schossen Bewaffnete in die Gruppe und töteten zwei von ihnen, berichtet ein Augenzeuge, der anonym bleiben wollte, dem Internet-Magazin "Al-Monitor". Im Gegenzug brannten die Demonstranten ihrerseits das Hauptquartier der Volksmobilisierungseinheiten nieder, die der Regierung des Iran nahestehen.

Auch in Basra demonstrierten Bürger gegen eine symbolische Beerdigung. Sie gehörten zu einem Protestcamp, dessen Bewohner in den letzten Wochen gegen den Einfluss aus Teheran auf die irakische Politik auf die Straße gegangen waren. Daraufhin setzten Teilnehmer eines Trauerzugs für Soleimani die Zelte der Gegner in Brand.

Irankritische Proteste gehören der Vergangenheit an

Die Situation im Irak hat sich massiv verschärft, sagt Tim Petschulat, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Amman. Vor allem hätten sie die seit Oktober 2019 anhaltenden Proteste gegen den Einfluss des Iran nahezu vollständig zum Verstummen gebracht, ebenso wie die Forderung nach einer Reform des politischen Systems im Irak. "Die Straßenproteste im Irak sind seit dem Drohnenanschlag praktisch tot. Sie gehören der Vergangenheit an."

Irak Proteste
Für einen geeinten Irak: Proteste in Bagdad im November 2019Bild: picture-alliance/AP Photo/K. Mohammed

Der Protest der vergangenen Monate hatte seinen Ausgang in den schiitisch dominierten Landesteilen genommen. Die Demonstranten waren für die nationale Einheit des Landes sowie eine einige irakische Gesellschaft über konfessionelle Grenzen hinaus eingetreten. Im Iran hatte man diese Entwicklung mit Sorge verfolgt. Bei den Unruhen waren landesweit über 350 Menschen getötet und 15.000 verletzt worden. Viele Iraker machten pro-iranische Milizen für die Toten verantwortlich.

Der Irak als Schauplatz internationaler Rivalitäten

"Der Irak ist seit 2003 der Hauptschauplatz der iranisch-amerikanischen Rivalität im Nahen Osten", sagte der Nahostexperte Wilfried Buchta im Deutschlandfunk. "Nach dem Sturz des Regimes durch die US-Invasion 2003 haben die Amerikaner dort einen Versuch unternommen, ein von ihrer Besatzungsmacht bestimmtes demokratisches System zu installieren. Das ging auf und ab, es wurden demokratische freie Wahlen durchgeführt, demokratische Institutionen installiert", so der Nahostexperte. "Aber nach etwa acht Jahren zogen die US-Truppen wieder ab, was zu einem Machtverlust der Amerikaner beigetragen hat. In dem gleichen Maße wie die Amerikaner abzogen, hat der Einfluss des Nachbarstaates Iran auf den Irak massiv zugenommen."

Irak Parlament in Bagdad
Antrittsrede der 2014 gewählten Regierung vor den Abgeordneten des irakischen Parlaments Bild: picture-alliance/AA/Stringer

Nun sei aber an Kritik am Einfluss des Iran kaum mehr zu denken, so Petschulat. Der Anschlag auf Soleimani habe die Stimmung in weiten Teilen der schiitischen Bevölkerung des Irak gedreht. "Zumindest in den schiitisch dominierten Landesteilen kann niemand mehr den Iran kritisieren und für eine Reduzierung seines Einflusses eintreten, ohne sich in Gefahr zu bringen", so Petschulat. "Unter denen, die den Einfluss des Iran weiterhin für zu groß halten, hat sich Angst verbreitet."

So scheint es, als nütze der Anschlag auf Soleimani vor allem iranischen Interessen. In Teheran gelten die USA als großer Rivale, der es bislang verhindert habe, dass sich sämtliche Schiiten hinter dem Iran vereint hätten. Der Anschlag auf Soleimani habe bei vielen Schiiten das Gefühl hervorgerufen, nicht nur der Iran, sondern auch der Irak sei getroffen worden. Dieser Eindruck gehe ganz wesentlich darauf zurück, dass bei dem Angriff auch ein irakischer Kommandeur, Abu Mahdis al-Muhandis, der Führer der schiitischen Volksmobilisierungseinheiten, getötet worden war. Zudem empfänden viele Iraker den Anschlag nahe des Flughafens von Bagdad als Verletzung der nationalen Souveränität.

Protest gegen den Iran nicht erloschen

Ganz erloschen ist der Protest an der Regierung in Bagdad nicht. Unter dem Hashtag "Iraqi Parliament doesn't represent me" äußern viele Iraker weiterhin ihre Kritik.

Andere erklärten, auch weiterhin auf die Präsenz der USA im Irak zu hoffen.

Eint der Anschlag die irakischen Schiiten?

Doch solche Positionen hätten nach dem Anschlag einen schweren Stand, sagt Tim Petschulat. Das habe sich etwa am 5. Januar gezeigt, als das Parlaments die Regierung aufforderte, alle ausländischen Truppen des Landes zu verweisen. Teilgenommen hatten an dieser Abstimmung 172 von insgesamt 329 Abgeordneten - nahezu ausschließlich Angehörige schiitischer Parteien. Die Kurden und die allermeisten Sunniten blieben der Abstimmung fern. Dies habe konkrete Gründe gehabt, so Petschulat. Von der irakischen Hisbollah habe es Morddrohungen gegen alle Parlamentsabgeordneten gegeben, die gegen diese Resolution stimmen wollten. 

Der Anschlag und die Reaktionen wirkten in Richtung einer neuen Geschlossenheit der schiitischen Bevölkerung im Irak, meint Petschulat. "Diese war bislang in zwei konkurrierende Lager - Anhänger und Kritiker des Iran - zerteilt. Diese Spaltung wurde jetzt überwunden, weil der Angriff, wenn man so will, als einer auf die schiitische Internationale gedeutet wurde."

Iran-kritische Stimmen gibt es zwar weiterhin unter den irakischen Schiiten. Doch angesichts des enormen politischen Drucks drohen sie zu verstummen. 

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika