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Software-Firmen fürchten Patente

Kerstin Hilt6. Dezember 2004

Den virtuellen Einkaufskorb darf jeder Online-Shop anbieten - noch. Denn die EU will nun auf Programmiertes Patente vergeben. Jetzt zittern kleine Software-Firmen: Sie glauben, dass IT-Riesen die Rechte an sich reißen.

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Nullen und Einsen unter EU-Schutz:<br>Konflikte sind programmiertBild: AP

Johannes Sommer leitet eine kleine Software-Schmiede in Hamburg. Noch im Sommer 2004 hat er für den Füller-Hersteller Montblanc eine Computer-Datenbank geschrieben. Doch in letzter Zeit befällt ihn beim Programmieren immer häufiger die Angst: Nach einer geplanten EU-Richtlinie könnten bald viele seiner einzelnen Programmierschritte patentgeschützt sein - nur nicht von ihm, sondern von finanzkräftigeren Mitbewerbern. Sommer befürchtet dann teure Lizenzforderungen und um Schadensersatz: "Es geht um sehr hohe Streitwerte."

Was jeder braucht, wäre plötzlich geschützt

Über 30.000 Software-Patente gibt es bereits in der EU; mehr als zwei Drittel davon gehören Großkonzernen aus den USA und Japan. Einklagbar wären sie allerdings erst mit der geplanten Richtlinie.

Das Problem dabei: Viele dieser Patente sind so trivial, dass sie sich fast überall wiederfinden - etwa der elektronische Einkaufskorb im Internet-Versandhandel, der Fortschrittsbalken, der bei langwierigen Ladevorgängen anzeigt, wie lange man noch warten muss, oder das Abspeichern mit Datumsanzeige.

Erfindungen sollen belohnt werden

Screenshot computergenerierte Pflanze
Ein undatiertes Bildschirmfoto einer 'computergenerierten Pflanze'.Bild: AP

Käme die Patentrichtlinie durch, müsse er seinen Job an den Nagel hängen, sagt Sommer. "Wie soll man um eine Funktion wie die Abspeicherung von Daten bei Angabe eines Datums herumprogrammieren? Es ist faktisch nicht

möglich. Es gibt bestimmte Prinzipien, die heute jeder benutzt, um die man einfach nicht herumkommt."

Befürworter von Patenten sagen allerdings, Programmierer müssten doch für ihre bahnbrechenden Einfälle auch belohnt werden. Eine solche Belohnung gibt es aber bereits - in Gestalt des Urheberrechts.

Schutz schafft schon das Urheberrecht

Mit dem Urheberrecht werden konkrete Programme geschützt, und zwar als Ganzes: zum Beispiel Installationsprogramme, die aus Programmier-Elementen wie dem Fortschrittsbalken auch tatsächlich etwas gemacht haben.

Patente aber schützen allgemeine Ideen. Und entsprechend leicht kann man mit ihnen in Konflikt kommen, erklärt Oliver Lorenz, der das Berliner Software-Unternehmen Magix als Jurist berät. "Nehmen wir das Beispiel des Rades: Während Sie beim Urheberrecht konkret sagen müssen, wie Sie es bauen wollen - mit Nabe, mit Speichen und so weiter -, können Sie beim Patent sagen: Ich habe das Rad erfunden. Dann muss jeder ein Nutzungsrecht bei Ihnen einholen, wenn er irgendwo ein Rad verwendet."

Macht für die Großen - Chance für die Kleinen?

Europäisches Patentamt Logo
Das Logo des Europäischen Patentamts

Für Lorenz ist klar: Die neue Patentrichtlinie würde eher den Giganten der IT-Branche nutzen - etwa Samsung, Sony oder Microsoft. Großkonzerne würden womöglich umfangreiche Patent-Portfolios erwerben und mit Klagen oder allein schon mit Klagedrohungen kleinere Wettbewerber aus dem Markt drängen. Und tatsächlich: In den USA, wo Patente sehr freigiebig vergeben werden, gibt es kaum noch Software-Unternehmen aus dem Mittelstand.

Leopold Baumann von der Initiative "Patents for Innovation" hält dagegen: Gerade für kleinere Firmen böten Patente viele Möglichkeiten. "Sie haben die Chance, Geld zu verdienen, indem sie Lizenzen weitergeben an größere Unternehmen. Und sie haben die Chance, Kapital zu beschaffen, weil sie durch ein Patent zeigen können, welcher Wert im Unternehmen verborgen ist."

Patent-Recherche kostet Zeit

Allerdings vertritt Baumanns Initiative vor allem die Großen der Branche. Johannes Sommer dagegen sieht sich von der geplanten Richtlinie klar benachteiligt: "Das würde bedeuten, dass wir vor jeder Entwicklung sehr aufwändig recherchieren müssen, welche Patente es überhaupt gibt", klagt er. Damit würde kleinen Unternehmen ihr Zeitvorteil gegenüber den Großen verloren gehen.

Immerhin ist das letzte Wort im Patentstreit noch nicht gesprochen. Erst kürzlich hat Polen seine Zustimmung zu der Richtlinie zurückgezogen; die Mehrheit im europäischen Rat beginnt damit zu bröckeln.