1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Das Europa von morgen bauen

Friederike Wintgens21. Januar 2013

Zur Feier des Elysée-Vertrags treffen sich in Berlin Jugendliche aus ganz Europa. Sie diskutieren über die Zukunft Europas und die deutsch-französischen Beziehungen. Ihre Botschaft an die Politik: Mehr Europa wagen!

https://p.dw.com/p/17OMk
Jugendliche diskutieren auf dem Deutsch-Französischen Jugendforum in Berlin (Foto: David Ausserhofer) zugeliefert von: Friederike Wintgens
Bild: David Ausserhofer

"Bruder Jakob, Bruder Jakob, schläfst Du noch, schläfst Du noch?" 150 Jugendliche sitzen im großen Saal des früheren Staatsratsgebäudes der DDR in Berlin Mitte und singen aus vollem Halse den wohl bekanntesten Kanon Europas. Zunächst auf Deutsch, dann auf Französisch "Frère Jacques". Es folgen die kroatische, mazedonische und schließlich sogar die arabische Version, ein Diaprojektor wirft den Text in der jeweiligen Sprache an die Wand. Aus ganz Europa stammen die Teilnehmer des deutsch-französischen Jugendforums, das zum 50. Jubiläum des Elysée-Vertrags, des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags, in Berlin stattfindet.

Sie sind Schüler und Studierende, zwischen 18 und 25 Jahre alt, die meisten sprechen fließend Deutsch und Französisch. Sie haben sich übers Internet beworben und mussten einen Wissenstest absolvieren. Die Nachfrage übertraf die Anzahl der freien Plätze um ein Vielfaches. Vier Tage lang diskutieren sie über europäische Geschichte und Politik und entwerfen gemeinsam Ideen, wie Europa in Zukunft noch enger zusammenwachsen könnte. Das Jugendforum wird vom Deutsch-Französischen Jugendwerk ausgerichtet. Die Organisation vergibt Stipendien für Studienaufenthalte im Nachbarland und richtet Seminare und Tagungen aus.

Jugendforum
Philippe Meistermann und Alexander Hempfing beim Twittern (Foto: DW)Bild: DW/F. Wintgens

Zum ersten Mal sind beim Jugendforum auch 50 Jugendliche aus anderen Ländern dabei. Die 23-jährige Politikstudentin Kosovare Miftani stammt aus dem Kosovo, sie wünscht sich ein solches Treffen für Jugendliche in ihrer Heimat: "Es ist nun 14 Jahre her, dass im Kosovo Krieg herrschte mit den serbischen Nachbarn. Vielleicht können wir uns ein Beispiel nehmen, dass man auch bei uns eines Tages das 50. Jubiläum einer Freundschaft mit einem Nachbarn feiert, zu dem man heute noch ein sehr angespanntes Verhältnis hat."

Auf der Suche nach europäischem Lebensgefühl

Morgens und nachmittags kommen die Teilnehmer im Plenum zusammen. Jeder, der möchte, kann dann Workshops zu unterschiedlichen Themen vorschlagen. In kleinen Gruppen werden dann konkrete Thesen erarbeitet, die dann wiederum dem Plenum vorgestellt werden. Vor der Bühne hat sich eine kleine Schlange gebildet. Die Vorschläge reichen von "Frauenquote in Europa, pro und contra" bis hin zu "Welche Rolle spielt der Sport bei der europäischen Einigung?" Philippe Meistermann, 21, Jurastudent aus Paris, ergreift das Mikrofon. "Wir alle hier gehören zu einer sehr privilegierten Bevölkerungsgruppe, wir leben in einer Blase", sagt er ans Publikum gerichtet. "Ich möchte deshalb einen Workshop vorschlagen, in dem wir uns damit beschäftigen, wie man eine breite Bevölkerungsschicht für Europa begeistern kann."

Philippe Meistermann ist zufrieden. 20 Teilnehmer haben sich für sein Thema gemeldet. Die Gruppe geht in einen separaten Tagungsraum, setzt sich im Kreis zusammen. Fünf von ihnen klappen ihre Laptops auf, melden sich bei den sozialen Netzwerken an, um die zentralen Fragen und Thesen gleich posten zu können. "Wer von Euch fühlt sich als Europäer?" twittert der Erste. Unter der Kennung "#elysee50" können auch Interessierte von außerhalb den Debatten folgen. "Können alle Französisch, und steht die Internetverbindung?" Alle nicken, die Diskussion kann beginnen.

Ein Teilnehmer des Deutsch-Französischen Jugendforums am Computer (Foto: David Ausserhofer, DFJW)
Immer online: Teilnehmer des JugendforumsBild: David Ausserhofer

Nils Nüßle, Abiturient aus Deutschland, meldet sich als Erster zu Wort: "Ich glaube, man sollte vor allem am Geschichtsverständnis arbeiten. Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass ich in meiner Schulzeit sehr viel über den Zweiten Weltkrieg, aber sehr wenig über den Frieden gelernt habe. Das muss sich ändern, wenn man Menschen für Europa begeistern will." Antoine Chevrant-Breton, der in Frankreich Ingenieurswissenschaften studiert, pflichtet ihm bei. "Wir brauchen außerdem besseren Sprachunterricht, damit die jungen Leute gern die andere Sprache lernen", sagt er in fehlerfreiem Deutsch mit leichtem Akzent.

Mut zu "Mehr Europa"

Im Nachbarraum wird unterdessen über gemeinsame europäische Werte diskutiert. "Ist es überhaupt realistisch, über Werte zu reden, wenn die deutsche Bundesregierung sowieso schon immer überlegt, wie sie Griechenland aus der Eurozone befördern kann?", fragt eine Politikstudentin aus Frankreich. Doch schnell ist sich die Gruppe einig, dass in Europa im Gegensatz zu den USA Konsens darüber besteht, dass die Menschenrechte auch soziale Rechte umfassen und eine Diskussion über gemeinsame Werte dringend notwendig ist.

Drei junge Frauen unterhalten sich beim Deutsch-Französischen Jugendforum in Berlin (Foto: David Ausserhofer, DFJW) zugeliefert von: Friederike Wintgens
Interkultureller Austausch im FoyerBild: David Ausserhofer

Zwei Stunden später hat jede Gruppe ein Thesenpapier mit konkreten Vorschlägen verfasst. Philippe Meistermann klappt seinen Laptop zu, nickt zufrieden. "Wir haben den Vorschlag, dass wir eine europäische Zentrale für Bildung gründen, dass man in Schulen geht und auch verstärkt bildungsfernere Schichten anspricht."

Antoine Chevrant-Breton ist schon auf dem Weg zum nächsten Workshop. Er zeigt sich begeistert von dem Treffen: "Ich glaube, dieses Jubiläum und unser Treffen kommen zu einem entscheidenden Zeitpunkt inmitten dieser europäischen Finanzkrise. Das ist eine schöne Gelegenheit in diesem ganzen Durcheinander ein Zeichen für mehr Europa zu setzen."

Die gesammelten Thesenpapiere der Jugendlichen sind am Montag (21.01.2013) Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident François Hollande bei einem Treffen im Bundeskanzleramt in Berlin überreicht worden.