1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Haitis Fußballchef ignoriert FIFA-Sperre

Jonathan Crane | Pierre Richard Midy
6. Oktober 2020

Offiziell ist Yves Jean-Bart seit Monaten als Chef des haitianischen Fußballverbands suspendiert. Der Vorwurf: sexueller Missbrauch von Spielerinnen. Nach DW-Recherchen zeigt sich der Funktionär wenig beeindruckt.

https://p.dw.com/p/3jWDm
Haiti | Präsident Haitis Fußballföderation Yves Jean-Bart
Bild: Dieu Nalio Chery/AP/picture-alliance

Der Präsident des haitianischen Fußballverbands (FHF), Yves "Dadou" Jean-Bart, scheint nach wie vor in der Verbandsspitze mitzumischen - obwohl er wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs gesperrt wurde. Sprachnachrichten, die der DW zugespielt wurden, sowie Gespräche mit Offiziellen innerhalb der FHF zeigen: Jean-Bart sucht offensichtlich im nationalen Trainingszentrum, dem Schauplatz des Missbrauchsskandals, weiterhin junge Spielerinnen auf. Gleichzeitig versucht er, mit Hilfe seiner Mittelsmänner Spuren zu verwischen. Die Vorwürfe wirken wie eine Verhöhnung der FIFA, die Jean-Bart bis zur Klärung der Missbrauchsvorwürfe suspendiert hatte.

Ein FHF-Funktionär, der aus Angst vor Repressalien anonym bleiben will, sagte der DW, Jean-Bart habe "immer noch großen Einfluss" auf den Verband, mit "vollständiger Kontrolle über alles, was hier geschieht". Jean Bart ignorierte mehrere Interviewanfragen der DW. Über einen Sprecher ließ er jedoch bestreiten, immer noch im Verband aktiv zu sein. Er erwarte, dass die Untersuchung ihn von allen Anschuldigungen entlasten werde, auch von denen des sexuellen Missbrauchs.

Besuche zu später Stunde?

Nach Angaben des FHF-Funktionärs besuchte Jean-Bart auch nach seiner Suspendierung mehrfach spätabends das Trainingszentrum und bot Spielerinnen an, ihnen bei ihrer Karriere und Ausbildung zu helfen. "Er kam und hielt eine Art Treffen mit den jungen Spielerinnen ab", sagte der Offizielle. "Die wenigen Angestellten, die zu dieser Zeit dort waren, gehören zu seinen Verbündeten. Sie öffneten 'Dadou' mehrmals das Tor. Einmal brachte er den Mädchen sogar Essen mit. Mitten in der Nacht war er in ihrem Schlafsaal."

Einige der Mädchen, so der FHF-Funktionär, hätten ihm erzählt, das Jean-Bart ihnen versprochen habe, sie aufs College zu schicken oder auch beim Umzug zu helfen, falls sich Vereine fänden, die sich für sie interessierten: "Damit will er den Mädchen zeigen, dass ihr Erfolg noch immer von ihm abhängt. Er versucht, jene Mädchen abzuschrecken, die gegen ihn aussagen möchten, und auch die, die es bereits getan haben."

Haiti | Protest gegen Präsident Haitis Fußballföderation Yves Jean-Bart
"Wir fordern Gerechtigkeit" - Demonstrantinnen während eines Verhörs von Fußballchef Jean-Bart im Mai in HaitiBild: Dieu Nalio Chery/AP/picture-alliance

Jean-Barts Sprecher, Evan Nierman, wies die Vorwürfe zurück. "Dies ist eine verleumderische Lüge", sagte Nierman. "Seit März hat er [Jean-Bart] das Ausbildungszentrum nicht ein einziges Mal besucht. Seit dem Ausbrauch der COVID-19-Pandemie hat er kaum sein Zuhause verlassen."

Der DW liegt die Sprachnachricht einer WhatsApp-Gruppe aktueller und ehemaliger FHF-Funktionäre vor, zu der der suspendierte Verbandspräsident nicht gehört. In der Nachricht wird behauptet, dass Jean-Bart Mitarbeiter des Ausbildungszentrums dazu brachte, wichtige Dokumente im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen ihn zu verbrennen oder auf andere Weise zu vernichten. Aus diesen Dokumenten soll hervorgegangen sein, welche Spielerinnen das Zentrum außerhalb der normalen Zeiten betreten und verlassen hatten - was vor der Corona-Pandemie regelmäßig vorgekommen war, als Jean-Bart die jungen Fußballerinnen angeblich nachts mitgenommen hatte. Auch hier widerspricht Jean-Barts Sprecher Nierman energisch: "Diese Behauptungen sind vollständig erfunden (...) von politischen Feinden, die vor nichts zurückschrecken werden, um Dr. Jean-Bart zu verleumden und den Verband zu destabilisieren."

FIFA zögert

Die FIFA verlängerte im vergangenen Monat die Suspendierung Jean-Barts für alle Fußballaktivitäten. Bislang hat sich der Weltverband allerdings noch davor gescheut, für Haiti ein so genanntes "Normalisation Committee" (Normalisierungskomitee) einzusetzen - um die gesamte Führung der FHF abzulösen. Ein solches Komitee könnte die Kontrolle über das Tagesgeschäft des haitianischen Verbands übernehmen, bis die Vorwürfe geklärt sind und die FHF aus Sicht der FIFA wieder ordnungsgemäß funktionieren kann.

Haiti | Präsident Haitis Jovenel Moise erhält Fußball von Yves "Dadou" Jean-Bart
Jean-Bart mit Haitis Präsident Jovenel Moise (l.) bei einer Veranstaltung im Jahr 2017Bild: Dieu Nalio Chery/AP/picture-alliance

Die DW hat bei der FIFA angefragt, warum der Weltverband bisher auf diesen rigorosen Schritt verzichtet habe, obwohl es Hinweise darauf gebe, dass Jean-Bart weiterhin in der FHF aktiv sei. Ein FIFA-Sprecher verwies in seiner Antwort lediglich auf die FIFA-Statuten, ohne näher darauf einzugehen. Der Weltverband nehme "jeden Vorwurf eines ihr gemeldeten Fehlverhaltens äußerst ernst", so der Sprecher. Die FIFA werde weiterhin mit den zuständigen nationalen und internationalen Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten - "bei jeder vertraulichen Anzeige an die FIFA über Missbrauch oder Fehlverhalten im Fußball, damit jeder, der den Fußball korrumpiert und missbraucht, vor Gericht kommt".

Marionetten im Verband

Die FHF wird derzeit von Joseph Varieno Saint-Fleur geführt, einem der Vizepräsidenten des Verbands. Er übernahm im Mai vorübergehend die Amtsgeschäfte. Auch bei dieser Personalie soll der suspendierte Jean-Bart seine Finger im Spiel gehabt haben. Aus einer der DW zugespielten Sprachnachricht, die nicht von ihm selbst stammt, geht hervor, dass Jean-Bart ein Einwegtelefon benutzt haben soll, um Mitglieder des FHF-Exekutivkomitee unter Druck zu setzen, damit sie seinen Wunschkandidaten Saint-Fleur unterstützten.

"Es ist 'Dadou', der alles leitet", sagte ein weiterer FHF-Funktionär, der ebenfalls nicht namentlich genannt werden will. "Er hat alles dafür getan, dass Saint-Fleur eingesetzt wurde, denn der hat keine Ahnung von Management. Es war von Anfang an alles so geplant, damit 'Dadou' weiterhin so verfahren konnte wie bisher."

Antoine Doret, bis 2014 zwölf Jahre lang Direktor des nationalen Ausbildungszentrums, weiß um die Abläufe innerhalb des Verbands. Doret hatte bei der FIFA gegen Jean-Bart ausgesagt. Seit der Missbrauchsskandal im April öffentlich wurde, haben Doret und andere Kritiker Jean-Barts nach eigenen Angaben Morddrohungen erhalten. Einige berichteten, auch körperlich angegriffen worden zu sein. Die Drohungen, behauptet Doret, gingen weiter und kämen von Leuten, die aus dem haitianischen Verband heraus Geld erhielten.

"Als Saint-Fleur zum Übergangspräsidenten ernannt wurde, hatte er noch nicht das Recht, offizielle Dokumente zu unterzeichnen. Inzwischen aber kann er alles abzeichnen", sagte Doret. "Er stellt die Schecks für 'Dadou' aus, der mit diesem Geld seine Gefolgsleute bezahlt, um die Menschen zu terrorisieren."

Haiti Nationales Trainingszentrum des Fußballverbandes | Spielerinnen
Spielerinnen im nationalen Trainingszentrum des haitianischen Fußballverbands in Croix-des-BouquetsBild: Pierre M. Jean/AFP/Getty Images

Die DW hat bei Saint-Fleur nachgefragt. "Ich spreche nicht gern über mich selbst", antwortete der Interimschef des haitianischen Verbands, "und erst recht nicht, um mich gegen diese falschen und betrügerischen Anschuldigungen zu verteidigen." Jean-Barts Sprecher Nierman bezeichnete Dorets Aussage als "fernab jeder Realität". "Eine noch lächerlichere Lüge" nannte er die Behauptung, der suspendierte FHF-Präsident habe Pässe verschwinden lassen.

US-Visa als Druckmittel

Jean-Bart soll die Pässe von 17 Spielerinnen einkassiert haben, die er verdächtigte, in dem Skandal gegen ihn aussagen zu wollen. Angeblich warten einige Spielerinnen immer noch auf die Rückgabe ihrer Pässe, die teilweise auch Visa für die USA enthalten. Nach Angaben eines FHF-Offiziellen hatten Vertraute Jean-Barts nach dessen Suspendierung Zugang zu dem Büro, in dem die Pässe der Spielerinnen aufbewahrt wurden. Der Weltverband sei darüber informiert worden, dass die Pässe illegal eingezogen worden seien.

"Die FIFA weiß alles", bestätigte Antoine Doret, der frühere Chef des Ausbildungszentrums. "In Haiti ist ein Visum für die USA eine große Sache." Jean-Bart nutze die einbehaltenen Pässe als Druckmittel, um die Spielerinnen sexuell zu missbrauchen: "[Er sagt:] 'Ich gebe dir den Pass mit dem Visum, und du musst mit mir schlafen.' So läuft das." Yves Jean-Bart sei zwar offiziell nicht mehr im Amt, mache aber weiter wie bisher, so Doret: "Es geht ihm darum, weiter mit den Spielerinnen zu feilschen, sie zu erpressen. Das ist eine ernste Angelegenheit. Und ich weiß nicht, wie dieses Problem enden wird."

Adaption: Stefan Nestler