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Sind alle "Superfoods" gut?

Stuart Braun2. August 2016

Chia-Samen, Acai-Beeren und Maca haben es aus abgelegenen Ecken Lateinamerikas bis in unseren örtlichen Supermarkt geschafft. Angepriesen als "Superfoods" fliegen sie geradezu aus den Regalen. Aber sind sie rundum gut?

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Chia-Samen in einer Schale
Bild: CC By-2.0/Larry Jacobsen

Heutzutage zucke ich kaum noch, wenn mich meine Partnerin bittet, Chia-Samen, rohen Kakao und Acai-Beeren in ihren morgendlichen Mandelmilch-Smoothie zu mischen. Diese einstmals exotischen Zutaten, die als reich an Antioxidantien und als Schutz gegen das Altern vermarktet werden, haben sich bei einigen von uns ins kulinarische Vokabular geschlichen und wirken inzwischen wie alltägliche Zutaten, ohne die wir nicht leben können.

Verzweifelt darum bemüht ihre Produkte zu differenzieren, haben Lebensmittelvermarkter einfache Körner und Beeren zu Superfoods erhoben. Dabei betonen sie nicht nur ihren hohen Gehalt an Antioxidantien und pflanzlichen Nährstoffen, sondern auch ihren exotischen Ursprung, hoch oben in den Anden oder im Himalaja, wo Menschen ohne Chemikalien auf traditionelle Weise liebevoll per Hand anbauen und ernten.

Selbst in meinem örtlichen berliner Supermarkt gibt es diese Woche eine spezielle Superfoods-Auslage mit immunitätssteigernden Algen, fruchtbarkeitssteigernden Nüssen und energiespendenden Beeren, die zu überhöhten Preisen feilgeboten werden. Beim McDonald's am Ende der Straße bekommt man vegetarische Hamburger aus Quinoa und dazu natürlich einen kleinen Quinoasalat. Die Fastfoodkette bewirbt die 6000 Jahre alten Inka-Wurzeln des Getreides und die Tatsache, dass NASA-Astronauten es im Weltraum essen.

Verschiedenfarbiges Quinoa liegt nebeneinander
Einstmals exotisch ist Quinoa inzwischen in europäischen und amerikanischen Geschäften und Küchen nichts besonderes mehrBild: CC BY-SA 3.0/ Michael Herrmann

Aber ich war diesen Marketinggeschichten gegenüber immer etwas skeptisch. Viele dieser Wohlfühllebensmittel kommen von weit her und haben dadurch eine üble CO2-Bilanz. Sollten wir wirklich so viel von dem Zeug essen, wenn wir es nicht lokal anbauen können? Und ist die massiv angestiegene weltweite Nachfrage nachhaltig, wenn die Pflanzen in erster Linie an den Hängen der Anden wachsen? Werden die Arbeiter vor Ort und ihre Umwelt furchtbar ausgebeutet, um einen unersättlichen Appetit des Westens auf Lebensmittel zu stillen, die diejenigen, die sie anbauen, sich selbst nicht mehr leisten können?

Superfoodies

In Peru, einem Land voller jahrtausendealter Superfoods, die in den Küchen ambitionierter Hobbyköche in aller Welt heiß begehrt sind (Chia, roher Kakao, Maca, Lucuma, Amarant) ist das empfindliche Gleichgewicht von kleinen landwirtschaftlichen Systemen in den letzten Jahren stark durcheinander gekommen - mit positiven und negativen Folgen.

Die größte Veränderung kam durch einen massiven Anstieg der Nachfrage nach Quinoa, einer nährstoffreichen, glutenfreien Pflanze, von der vor 20 Jahren noch niemand gehört hatte und deren Preis sich von 2006 bis 2014 aufgrund steigender Nachfrage im Westen verdreifacht hat - vielleicht auch weil die US-Talkmasterin Oprah Winfrey sie 2008 in ihre Cleansing-Diät aufnahm.

Im kühlen, trockenen Klima der Anden Perus und Boliviens, wo noch immer mehr als 80 Prozent des Quinoas der Welt produziert werden, wird der Boden zunehmend ausgelaugt, weil die Bauern statt traditioneller Fruchtwechsel auf intensiv bewirtschaftete Quinoa-Monokulturen setzen. Sie sind auch weniger bereit, nährstoffarme Böden brach liegen zu lassen.

Bauern dreschen Quinoa in der Nähe von Puno, Peru
Bauern dreschen Quinoa in der Nähe von Puno, Peru. Werden die lokalen Bauern am Ende die Verlierer sein, wenn große internationale Hersteller auf dem Markt aktiv werden?Bild: CC BY-SA 3.0/ Michael Herrmann

Auf Land, wo einstmals Lamas umherzogen und so die Böden auf natürliche Weise düngten, wird nun Quinoa angebaut. Jetzt greifen die Bauern zunehmend auf chemische Dünger zurück. Das wiederum schädigt den Ruf von Quinoa als sauberes, organisches Produkt, ein Ruf, den die peruanische Regierung mit viel Aufwand aufrecht erhalten wollte, als sie 2012 ein 10 Jahre langes Verbot von genetisch veränderten Lebensmitteln beschloss.

In diesem Monat zitierte Alexander Kasterine in der Zeitung "The Guardian" einen Bericht des Inter-American Institute for Cooperation on Agriculture aus dem Jahr 2015 zum Thema Quinoaproduktion in Peru. Dieser bestätigte, dass "hohe Quinoapreise einen Anreiz für die Bauern geschaffen haben, schlechte landwirtschaftliche Praktiken anzuwenden, wie den übermäßigen Einsatz von Pestiziden und die Nichtbeachtung des Fruchtwechsels."

Im "Jahr des Quinoa" (2013) behaupteten Journalisten wie Joanna Blythman in ihrem Guardian-Artikel "Können Veganer die ungenießbare Wahrheit über Quinoa verdauen?", dass das Superfood in Peru teurer als Hühnchen geworden sei und dass die Menschen vor Ort deshalb auf billigeres Junk Food ausweichen würden.

"Der Handel mit Quinoa ist noch ein weiteres beunruhigendes Beispiel für den schädlichen Nord-Süd-Austausch, in dem Konsumenten mit guten Absichten und auf der Suche nach gesunden und ethisch vertretbaren Lebensmitteln unabsichtlich die Armut auf der anderen Seite der Welt steigern", schrieb Blythman.

Und auch die Frage nach dem relativen Nutzen von Quinoa wird lauter. Tom Philpott behauptete 2013 in der Zeitschrift "Mother Jones", dass Quinoa "vielleicht den kompletten Eiweißbedarf abdecken mag und alle Aminosäuren liefert, die man braucht und das in einer kompakten Form, aber Reis und Bohnen zusammen tun das Gleiche und besser … Das einzige Problem ist, dass ihnen die exotische Hintergrundgeschichte fehlt und Lebensmittelvermarkter für diese Grundnahrungsmittel deshalb nicht so einen hohen Aufpreis verlangen können."

Das war einer von einer ganzen Flut von Artikeln, die mich persönlich dazu bewogen, fürs Erste auf Quinoa zu verzichten. Aber in letzter Zeit sind die Neuigkeiten über Quinoa besser geworden und das Quinoa-Pilz-Risotto, das ich kürzlich zubereitet habe, war ausgesprochen lecker.

Freihandel

In den letzten paar Monaten sind eine Menge Experten auf den Plan getreten, um die sich globalisierende Quinoaindustrie in Schutz zu nehmen. Sie behaupten, diese habe positive Auswirkungen für die Bauern in den Anden. Durch den starken Anstieg der Quinoapreise hat sich der Lebensstandard der Bauern, denen es wirtschaftlich lange Zeit schlecht ging, verbessert, und sie können es sich jetzt leisten, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Im Juli präsentierte Alexander Kasterine vom International Centre for Trade einen neuen Bericht: "Quinoa-Handel: Auswirkungen auf den Wohlstand von peruanischen Gemeinden" und behauptete, dass der Anstieg des Quinoapreises tatsächlich die Versorgungssicherheit der örtlichen Bevölkerung mit Lebensmitteln verbessert habe.

Dieses Argument wurde zusätzlich durch die Tatsache gestärkt, dass die Regierungen sowohl in Peru als auch in Bolivien in den vergangenen Jahren Quinoarationen an Schulkinder und schwangere Frauen verteilt haben. Boliviens sozialistischer Präsident Evo Morales, der als Sonderbotschafter für das internationale Jahr der Quinoa fungierte und selbst einmal Quinoabauer war, bestreitet, dass die Preisanstiege den lokalen Konsum reduzieren - selbst wenn er, einem AP-Bericht zufolge, Bauern dafür rügte, Quinoa auf Land anzubauen, wo einstmals Lamas grasten.

Ein pinker Smoothie auf dem Tisch mit ein paar Zitronen im Hintergrund
Roher Kakao, Acai-Beeren oder Chia-Samen - was kommt in Deinen Frühstücks Smoothie?Bild: CC BY 2.0/Vanessa Porter

Aber selbst wenn die Preisanstiege von 2013 nicht so schlimm waren, dann stellte doch der Einbruch der Preise 2014-15 aufgrund eines weltweiten starken Anstiegs der Produktion eine neue Herausforderung dar. Dieses Mal, räumt Kasterine ein, seien Quinoa-Kleinbauern, die weniger Gewinn machten, wirklich gezwungen gewesen, weniger Quinoa auf den heimischen Essenstisch zu stellen und stattdessen weniger nahrhafte Lebensmittel wie Kartoffeln zu essen - also Dinge, von denen westliche Konsumenten dank Quinoa inzwischen weniger essen. Bauern verkaufen auch Vieh, um zu überleben und horten das Getreide in der Hoffnung, dass die Preise wieder anziehen werden. Der Economist schrieb im Mai diesen Jahres, dass der momentane Marktpreis für Quinoa bei etwa 2 Dollar (1,82 Euro) liegt, was unterhalb des "Fairtrade"-Preises von 2,60 Dollar (2,36 Euro) pro Kilogramm liegt. Mit anderen Worten: "den Andenbauern geht es jetzt schon schlecht."

Selbst wenn viele aus der relativen Armut entkommen sind, sind jetzt insbesondere Bauern, die seit Langem Quinoa für den lokalen Markt angebaut und dafür traditionelle Techniken verwendet haben, den Launen der internationalen Märkte ausgesetzt. Internationale Landwirtschaftsunternehmen aus der Schweiz, den USA und selbst aus Großbritannien steigen in den Markt ein, und Quinoabauern in den Anden, die all ihre Ressourcen in den Anbau einer einzigen Nutzpflanze gesteckt haben, werden unausweichlich Marktanteile an ausländische Wettbewerber verlieren, die den Vorteil modernster Landwirtschaftsmaschinen haben. Und wenn Profite und die Bodenqualität schlechter werden, glaube ich nicht, dass der freie Markt diese Bauern entschädigen wird.

Die sich schnell entwickelnden Superfoodmärkte stecken noch in den Kinderschuhen, aber all ihre guten Eigenschaften haben sicherlich einen Preis, der nicht auf dem Preisschild im Laden steht.