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Sexuelle Gewalt beim Fußball existiert

Felix Tamsut
19. Juli 2020

Sexistische Äußerungen, Belästigungen und sogar Vergewaltigungen: Ein Netzwerk weiblicher Fans berichtet von leidvollen Erfahrungen von Frauen bei Bundesligaspielen. Nun wollen sie stärker sensibilisieren.

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Freiburger Fans halten ein Transparent mit der Aufschrift "Love Football" und "Hate Sexism" hoch
Bild: picture-alliance/dpa/P. Seeger

Lena besucht seit Jahren Fußballspiele. An einem Samstag, als sie sich mit einer Gruppe von Freunden auf ihrem Platz auf der Tribüne eingefunden hatte, an ihrem Bier nippte und sich unterhielt, fühlte sie, wie sie jemand von hinten anfasste. Zuerst dachte sie, es sei Zufall gewesen. "Ich dachte, jemand hätte wahrscheinlich nur die falsche Bewegung gemacht."

Aber dann wurde sie ein zweites Mal betatscht. Und ein drittes Mal. Es war nicht mehr zu verkennen, was geschehen war. "Ich war mir nicht sicher, wer es war, aber ich schrie in Richtung einer Gruppe männlicher Zuschauer, dass sie aufhören sollten", sagt sie.

Einer von ihnen verspottete sie, weil sie "eine Szene machte". Andere schauten in ihre Richtung - und blieben passiv. Außer ihren Freunden setzte sich niemand für sie ein, obwohl sie lautstark auf die Belästigung aufmerksam gemacht hatte. Einige zeigten sogar mit dem Finger auf sie und lachten.

"Es war schwierig", sagt Lena, deren Name auf ihre Bitte hin geändert wurde. "Ich hatte das Gefühl, im Rampenlicht zu stehen. Ich fühlte mich wütend und verletzt." Nach dem Spiel schrieb Lena im Internet darüber, was ihr passiert war. Sie erinnert sich, dass die überwiegende Mehrheit der Antworten zwar wohlwollend war, es aber auch andere Reaktionen gab. "Einige stellten sich die Frage, ob das wirklich passiert ist. Übertreibt sie?"

Keine offiziellen Zahlen

Nach der Häufigkeit solcher Vorkommnisse bei Fußballspielen befragt, zeichnet Lena ein vernichtendes Bild von der Situation in den deutschen Fußballstadien. "Ich kann nur für meinen Freundeskreis sprechen, nicht für alle Frauen. Aber jede einzelne Frau in meinem Fußball-Bekanntenkreis hat in irgendeiner Form schon einmal Sexismus erlebt", erzählt sie der DW. 

Offizielle Zahlen zu sexueller Gewalt im Zusammenhang mit Fußball in Deutschland gibt es nicht. Das für die Erfassung von Straftaten im Zusammenhang mit Fußball zuständige deutsche Polizeipräsidium für Sportbetrieb (ZiS) veröffentlicht einen Jahresbericht, der ein breites Spektrum an Straftaten von Körperverletzung über Vandalismus bis hin zum Einsatz von Pyrotechnik umfasst. Sexuelle Gewalt steht jedoch nicht auf der Liste.

Werder-Bremens Ultras halten Schilder mit der Aufschrift " Sexismus Raus aus den Köpfen" hoch
Werder-Bremens Ultras sind aktiv im Kampf gegen Sexismus im FußballBild: picture-alliance/dpa/Herbertz/MaBoSport

Antje Grabenhorst ist Mitglied im Netzwerk gegen Sexismus und sexuelle Gewalt, einem Kollektiv weiblicher Fans und Mitarbeiterinnen für bundesweite pädagogische Fanprojekte. "Die allgemeine Statistik, wie oft Frauen Sexismus oder sexuelle Gewalt erleben, lässt vermuten, dass es Sexismus und sexuelle Gewalt auch im Fußball gibt", sagt sie der DW. Die Statistik der Bundesregierung besagt, dass jede dritte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben eine körperliche oder sexuelle Gewalterfahrung macht.

Fußball sei ein "geschlossenes System", in dem "eine klassische Form der Männlichkeit" im Spiel sei, so die Werder-Bremen-Anhängerin Grabenhorst. Umso ernster müsse sexuelle Gewalt in den Stadien genommen werden. "Auch ich habe sie erlebt und viele Geschichten gehört", sagt sie und fügt hinzu, dass sexuelle Gewalt und Sexismus in verschiedenen Formen "von der Überschreitung physischer Grenzen bis hin zur tatsächlichen Vergewaltigung" zum Ausdruck kommen.

Gerichtsurteil "demotiviert" die Frauen 

Einen besonders eklatanten Vorfall gab es im April 2018. Ein Sonderzug für die Fans von Borussia Mönchengladbach fuhr an einem Wochenende nach einem Auswärtsspiel gegen den FC Bayern von München zurück - mit 750 Menschen an Bord.

Die Polizei erhielt dann aus dem Zug eine Meldung über ein mutmaßliches Sexualdelikt. Die Bahn wurde in der Kleinstadt Flörsheim angehalten, wo der Beschuldigte von der Polizei festgenommen wurde. Zeugen sagten aus, dass  eine 19 Jahre alte Frau vor einer der Zugtoiletten stand und am ganzen Körper zitterte. Ein weiterer Zeuge beobachtete, dass die Frau nicht einmal mehr richtig gehen konnte. "Ich wurde vergewaltigt", habe sie gesagt.

Vor Gericht kam heraus, dass sowohl die Frau als auch der 31 Jahre alte Mann, der der Vergewaltigung beschuldigt wurde, Alkohol getrunken hatten, wobei die Frau "viel" getrunken haben soll.

Freiburg-Fans mit Fan-Schals vor einem Spiel im Stadion
Der SC Freiburg engagiert sich im Kampf gegen den Sexismus im FußballBild: Reuters/K. Pfaffenbach

Vor Gericht wurde deutlich, dass sich das Paar erst geküsst hatte und dann gemeinsam zur Toilette gegangen war. Die Frau sagte, dass sie den ersten Kontakt mit dem Mann hergestellt habe. Sie sei aber nicht damit einverstanden gewesen, Sex mit ihm zu haben. 

Der Beschuldigte wurde daraufhin sowohl der Vergewaltigung als auch der schweren Körperverletzung an einem anderen Fan im Zug für schuldig befunden. Er wurde zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Im Berufungsverfahren wurde das Urteil aber geändert: Der Beschuldigte wurde dort von der Vergewaltigung freigesprochen. "Es war nicht offensichtlich, dass die Frau keinen Sex mit ihm haben wollte", befand das Gericht.

Grabenhorst sagt, das Urteil trage zu dem Gefühl der "Demotivation und mangelnden Sicherheit" für Opfer sexueller Gewalt bei. Viele von sexueller Gewalt Betroffene glauben ohnehin nicht, dass ein Gang zur Polizei etwas bewirken würde.

"Dieses Urteil ist für die Betroffenen schwierig. Sie ging den ganzen Weg. Sie sagte der Polizei, dass sie nein gesagt habe. Und das Gericht stimmte ihr sogar in erster Instanz zu", sagt Grabenhorst und fügt hinzu, dass der Fall einer der Gründe sei, warum das Netzwerk gegen Sexismus und sexuelle Gewalt aktiver geworden sei.

Konzept gegen sexuelle Gewalt im Fußball

Im November 2019 veröffentlichte das Netzwerk Richtlinien für den Umgang mit sexueller Gewalt im Kontext des Fußballs. Das Konzept, das sich um die Unterstützung von Betroffenen dreht, schlägt vor, wie Vereine, Verbände, Behörden und Fans mit solchen Fällen umgehen sollen.

"Unser Konzept orientiert sich stark an den Betroffenen, ihren Bedürfnissen und Wünschen", erklärt Grabenhorst die Kernbotschaft: "Wir glauben ihnen."

"Oft ist es so, dass von sexueller Gewalt betroffene Menschen nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen, wer sie unterstützen und ihnen helfen kann", sagt sie und fügt hinzu, dass es "wichtig ist, offen über das Thema zu sprechen, statt es zu tabuisieren".

Mehrere deutsche Vereine haben bereits begonnen, Maßnahmen zu ergreifen. So kündigte Fortuna Düsseldorf im Januar 2019 eine spezielle Hotline für Frauen an, auch die Fanabteilung des Zweitligisten Darmstadt 98 bietet eine Anlaufstelle für weibliche Fans.

Mehr Kommunikation nötig 

Unter dem Decknamen "Panama" will zudem Borussia Dortmund einen Schutzraum für Menschen einrichten, die sich "bedroht oder belästigt fühlen". Der Raum soll unter der Südtribüne des BVB-Stadions liegen und auf dem gesamten Gelände kenntlich gemacht werden.

Grabenhorst räumt jedoch ein, dass im Umgang mit sexueller Gewalt im Fußball noch ein langer Weg zurückzulegen ist. Auch die betroffene Lena stimmt dem zu. "Wenn man sich ansieht, wie Frauen, die sich zu Wort melden, in den sozialen Medien angegriffen werden und wie viele sexistische Kommentare sie erhalten, ist das meiner Meinung nach ein Zeichen dafür, dass das Thema immer noch nicht ernst genommen wird", sagt sie.

"Die Dinge werden sich nur dann ändern, wenn alle über diese Themen sprechen, nicht nur die Betroffenen", sagt Grabenhorst.