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Schach-WM: Die Suche nach der entscheidenden Lücke

Holger Hank
29. November 2021

Bei der Schach-WM in Dubai geht es nicht nur um die beiden Spieler auf der großen Bühne. Im Hintergrund treten auch zwei Trainer-Teams gegeneinander an - und tüfteln Tag und Nacht an neuen Zugfolgen.

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Schachbrett in Ausgangsstellung (WM 2018)
Die Recherche vor dem Sturm: bei einer Schach-WM spielen Sekundanten eine wichtige RolleBild: Imago/Action Plus/S. West

Wie die Stimmung beim Start einer Schach-WM ist, weiß Rustam Kasimjanov ganz genau: "Die Spieler sollten ruhig sein, aber die Sekundanten sind nervös." Kasimjanov war schon öfter nervös. Mehrmals unterstützte er schon den früheren Weltmeister Viswanathan Anand aus Indien. Vor drei Jahren war er der Cheftrainer von Herausforderer Fabiano Caruana aus den USA.  Der usbekische Großmeister, früher selbst einmal ein Top-Profi, gilt als einer der besten Schach-Sekundanten der Welt: "Es geht immer darum, mit Hilfe der Computer möglichst viel zu analysieren und neue Möglichkeiten zu finden", beschreibt der 41-jährige seine Aufgabe.

Rossolimo, Sweschnikow oder Caro-Kann?

Fest steht: Schach-Weltmeister wird man nicht als Einzelkämpfer. Vielmehr treten bei einer Schach-WM zwei hochkarätige Teams gegeneinander an. Schach-Profis, ausgestattet mit der neusten Computertechnik, bereiten die beiden Finalisten auf den Wettkampf vor und versuchen, ihnen während des Matches noch entscheidende Tipps zu geben. Monate vor dem WM-Kampf startet die Vorbereitung, berichtet Kasimjanov: "Am Anfang trifft sich immer ein Gruppe Großmeister irgendwo in einem Hotelzimmer. Wir stellen uns die Frage, was können wir anders machen?".

Rustam Kasimjanov spielt Schach
Rustam Kasimjanov (r.): Gute Züge sucht der Top-Trainer nicht nur für sich selbstBild: Oli Scarff/Getty Images

Im Spitzenschach, besonders aber bei WM-Duellen, sind die Eröffnungszüge von großer Bedeutung. Von den ersten Zügen hängt ab, wie sich die Partie entwickelt. Schafft es Weiß mit Raumvorteil aus der Eröffnungsphase herauszukommen? Kann Schwarz schnell ausgleichen und ein sicheres Remis ansteuern? Rossolimo, Sweschnikow oder Caro-Kann? Es gibt viele Arten, eine Schachpartie zu beginnen - und Spitzenkönner wie Magnus Carlsen oder Ian Nepomniatchthi kennen sich bei den Systemen mit den oft kuriosen Namen bestens aus. Doch in einem WM-Finale geht es um Feinheiten nach 15 oder zwanzig Zügen. Kasimjanov: "Unser Traum ist, eine Stellung zu finden, die wir kennen, aber unser Gegner nicht." 

Nächtliche Suche nach der entscheidenden Lücke

Dabei ist die Arbeit der Sekundanten nicht getan, wenn der WM-Kampf beginnt. Im Gegenteil: Carlsens langjähriger Chef-Trainer Peter Heine Nielsen und sein russischer Gegenspieler Vladimir Potkin haben während der vierzehn Runden dieser WM Tag und Nacht zu tun. Denn mit jeder Partie offenbaren die Spieler Teile ihrer Vorbereitung. Den Sekundanten-Teams in den Hotelzimmern bietet das die Chance, doch noch eine Lücke im Variantenportfolio des Gegners zu finden. Dass dies nur selten gelingt bei einer WM, ist einer der Gründe, warum die meisten WM-Partien mit einem Unentschieden ausgehen.

Magnus Carlsen (l.) und Fabiano Caruana (r.) sitzen sich am Schachbrett gegenüber
WM 2018: Magnus Carlsen gegen Fabiano Caruana Bild: Reuters/P. Childs

So war es bei der letzten Schach-WM 2018 in London: Rustam Kasimjanov hatte seinen Schützling Caruana bestens auf Carlsens Angriffsversuche  vorbereitet. Umgekehrt überraschte der Weltmeister mit seinem starken Schwarz-Repertoire. Beide Teams fanden während der WM keinen entscheidenden Durchbruch. Der Kampf endete nach zwölf Remispartien im Gleichstand. Magnus Carlsen schaffte erst im Schnellschach-Stichkampf die Titelverteidigung.

"Der Druck ist zu groß"

Bei dieser WM ist Rustam Kasimjanov, der mit seiner Frau und zwei Kindern in Deutschland, in der Nähe von Bonn wohnt, nur Zuschauer. Für ein Schachportal kommentiert er die WM-Partien live im Internet. Kasimjanov, der im Oktober 2021 mit der OSG Baden-Baden noch die Schach-Bundesliga gewonnen hat, war 2004 selbst sogar einmal kurz der offizielle Weltmeister - allerdings kam es nie zu dem angestrebten Wettkampf gegen den damals mit dem Weltschachverband zerstrittenen Superstar Garri Kasparow. Eine Enttäuschung für Kasimjanov. Inzwischen ist er zwar immer noch einer der besten 100 Spieler der Welt, aber nicht mehr so oft am Brett zu sehen:  "Das klassische Schach macht mir keinen Spaß mehr - es ist einfach zu anstrengend und der Druck ist zu groß. Ich brauche das nicht mehr", erzählt der 41-Jährige und nennt noch einen weiteren Grund:  "Man kann als Trainer oder Sekundant oft besser vom Schach leben als als Spieler."

Schachspieler Rustam Kasimjanov sitzt bei einer Partie am Brett
Schach ist Sport: Rustam Kasimjanov bei den Asienspielen 2010Bild: imago sportfotodienst

Der Otto Rehhagel des deutschen Schachs

Als Trainer führt ihn der Weg regelmäßig  zurück in seine Heimat Usbekistan. Seine Erfolge vor 15 Jahren haben dort einen regelrechten Schach-Boom ausgelöst, erzählt Kasimjanov. "Die jungen Talente dort sind richtig, richtig stark", so der Erfolgstrainer freudestrahlend. Auch den Schachsport in Deutschland hat er natürlich im Blick. Derzeit ruhen hierzulande große Hoffnungen auf dem 17-jährigen Vincent Keymer, der inzwischen die deutsche Schach-Rangliste anführt. "In dieser Altersgruppe gibt es international sehr viele starke Spieler", meint der Elite-Trainer zurückhaltend: "Es ist noch nicht klar, wer es in die Top-10 schafft." Bei der Förderung von Top-Schachspielern im Junioren-Bereich habe seine Wahlheimat Deutschland noch Luft nach oben, findet Kasimjanov: "Das macht manchmal einen sporadischen Eindruck." 

Dabei hat der Trainer auch schon für den Deutschen Schachbund gearbeitet - und das mit Erfolg. 2011 gewann die deutsche Schach-Nationalmannschaft der Männer völlig überraschend die Europameisterschaft. Für die Eröffnungsvorbereitung der deutschen Spieler zeichnete Kasimjanov verantwortlich. Er machte das so gut, dass Deutschland in der Abschlusstabelle vor den führenden Schach-Nationen wie Russland, Armenien oder Aserbaidschan  landete. "Das zählt immer noch zu meinen Lieblingsgeschichten", erinnert sich der Trainer: "Das war etwas Besonderes - so ähnlich wie bei Otto Rehhagel und dem Gewinn der Fußball-EM mit der griechischen Fußball-Nationalmannschaft."