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Politik

Seehofer will wieder nach Syrien abschieben

27. November 2020

Das generelle Verbot, Menschen ins Bürgerkriegsland Syrien abzuschieben, sollte nach Ansicht einiger Unionspolitiker nicht mehr dauerhaft für alle Syrer gelten. Dieser Meinung ist inzwischen auch Innenminister Seehofer.

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Deustchland Berlin | Vorstellung Lagebericht zu rechtsextremistischen Verdachtsfällen | Horst Seehofer
Er sieht Handlungsbedarf: Bundesinnenminister Horst SeehoferBild: Wolfgang Kumm/dpa/picture-alliance

Der generelle Abschiebestopp für Syrien sollte nach Auffassung von Bundesinnenminister Horst Seehofer nicht über den 31. Dezember hinaus verlängert werden. "Ich werde bei der Innenministerkonferenz dafür eintreten, dass wir anstelle eines generellen Abschiebestopps künftig zumindest für Straftäter und Gefährder wieder in jedem Einzelfall prüfen, ob Abschiebungen nach Syrien möglich sind", sagte Seehofer der Deutschen Presse-Agentur. Der generelle Abschiebestopp für Syrien war 2012 erstmals beschlossen und seither mehrfach verlängert worden.

Der 2011 ausgebrochene Bürgerkrieg ist in den meisten Gebieten des Landes vorbei. In diesen Krieg haben im Laufe der Jahre mehrere internationale Akteure eingriffen - zuletzt vor allem Russland und die Türkei. Wer als Gegner der Familie Assad wahrgenommen wird, die in dem arabischen Land seit 50 Jahren herrscht, dem drohen aber nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen nach wie vor Folter und Tod. In den wenigen Gebieten, die noch von Islamisten oder anderen Rebellen kontrolliert werden, gibt es auch Risiken für Anhänger von Präsident Baschar al-Assad.

In einem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom Mai hieß es: "Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, besteht weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden. Dies gilt auch für vermeintlich friedlichere Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie die Hauptstadt Damaskus."

Unionspolitiker machen Druck

Nach der Messerattacke eines Islamisten in Sachsen hatten mehrere Unionspolitiker den kategorischen Abschiebestopp nach Syrien infrage gestellt. Am 4. Oktober waren in Dresden zwei Männer Opfer einer Messerattacke geworden. Ein 55-Jähriger aus Krefeld starb, ein 53 Jahre alter Mann aus Köln überlebte schwer verletzt. Festgenommen wurde ein vorbestrafter 20-jähriger Tatverdächtiger, der aus Syrien stammen soll.

Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl sagte nach dieser Attacke: "Wenn es in Syrien vergleichsweise sichere Gebiete gibt, sollten wir zumindest Gefährder und Straftäter, die schwere und schwerste Straftaten begangen haben, oder solche, die das Assad-Regime unterstützen, nach Syrien abschieben können." Der CDU-Politiker forderte die Bundesregierung auf, das Lagebild für Syrien zu aktualisieren. Angesichts der verabscheuungswürdigen Tat in Dresden könne er "niemandem erklären, dass selbst Verbrecher, die furchtbare Straftaten begangen haben, nicht nach Syrien abgeschoben werden können". Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries verlangte: "Der Abschiebestopp gehört schleunigst aufgehoben. Der Schutzanspruch von Flüchtlingen endet dort, wo der Schutz der eigenen Bevölkerung nicht mehr gewährleistet ist."

Dagegen wandte der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius damals ein: "Es gibt aktuell de facto keine Möglichkeit, abschiebepflichtige Gefährder und schwere Straftäter nach Syrien zu bringen, dort herrscht immer noch Bürgerkrieg, es gibt auch keine zuständigen und ansprechbaren Behörden." Die "reflexhaften Rufe" einzelner Politiker danach, wieder nach Syrien abschieben zu dürfen, hielten der Realität und den Fakten nicht stand.

Noch immer Gefahr für Rückkehrer

Nach dem Angriff in Dresden sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes, die Lage in Syrien sei "weiterhin sehr komplex". Rückkehrern drohten Gefahren aus unterschiedlichen Richtungen, "auch vom Regime selbst". Auch praktisch dürften Abschiebungen schwierig sein, da Deutschland keine diplomatischen Beziehungen zu Syrien unterhält.

Integrieren oder abschieben?

Aus Sachsen war dem Vernehmen nach kürzlich der Vorschlag gekommen, das Bundesinnenministerium könne doch zur Innenministerkonferenz, die am 9. Dezember beginnt, einen eigenen Bericht zur Lage in Syrien verfassen. Hier stellt sich allerdings die Frage, auf Grundlage welcher Erkenntnisse das geschehen könnte. Denn eigene Informationsquellen hat das Innenministerium wohl zurzeit in Syrien nicht. Seehofer zeigt bislang auch keine Neigung, in seinem Haus einen solchen Bericht in Auftrag zu geben. Er sagt: "Die gesamte Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass Straftäter und Gefährder unser Land verlassen." Als "Gefährder" bezeichnet die Polizei Menschen, denen sie eine politisch motivierte Straftat von erheblicher Bedeutung zutraut - etwa einen Terroranschlag.

Chancen für Kriegsdienstverweigerer

Der Europäische Gerichtshof hatte in der vergangenen Woche entschieden, dass Wehrdienstverweigerer aus Syrien gute Aussichten auf die Anerkennung als Flüchtling in der EU haben. In vielen Fällen sei die Verweigerung Ausdruck politischer oder religiöser Überzeugung oder habe ihren Grund in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, befanden die Richter.

Hintergrund war der Fall eines Syrers, der nach eigenen Angaben nach Deutschland geflohen war, um den Dienst nicht antreten zu müssen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gewährte ihm jedoch nur subsidiären Schutz - und keinen Flüchtlingsstatus. Für subsidiär Schutzberechtigte ist etwa die Möglichkeit des Familiennachzugs begrenzt.

kle/ack (dpa, kna, afp)