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Interview

30. September 2010

Um Lösungsansätze für globale Probleme ist es auf dem Global Economic Symposium in Istanbul gegangen. Mit dabei war Wolfgang Schüssel, Bundeskanzler a.D. Österreichs. DW-WORLD.DE hat mit gesprochen.

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Wolfgang Schüssel (Foto: dpa)
Wolfgang SchüsselBild: picture-alliance/ dpa

DW-WORLD.DE: Herr Schüssel, 2050 werden knapp neun Milliarden Menschen auf der Erde leben. Doch bereits jetzt, mit sechs Milliarden Bewohnern, drohen die Probleme aus den Fugen zu geraten – ich nenne nur den Klimawandel, den Hunger und die Wasserknappheit. Wie wird es denn 2050 aussehen? Wäre die Erde noch lebenswert?

Wolfgang Schüssel: Das wird davon abhängen, wie wir die Zukunft gestalten. Wir haben es in der Hand. Und es gibt wie immer im Leben zwei Möglichkeiten: Die eine ist möglichst zu versuchen, alles zu stabilisieren, zu behalten, was wir erworben haben, weiter zu konsumieren. Oder in die Zukunft zu blicken, um zu sehen, was auf uns zukommt, um uns darauf einzustellen.

Was wird die größte Herausforderung sein?

Die Änderung der Einstellung. Wir verwenden derzeit in unserer Politik, aber auch in unserer allgemeinen Diskussion viel zu viel Zeit, um zurückzublicken. Wir müssen aber nach vorne blicken und dürfen uns von kurzfristigen Entwicklungen nicht überrollen lassen. Wir müssen in Generationen denken: Was ist für unsere Kinder und Enkelkinder bedeutsam?

Wir leben doch bereits auf Kosten zukünftiger Generationen.

Natürlich. Deswegen ist es jetzt höchste Zeit, dass wir uns viel stärker in eine innovative und zukunftsorientierte Gesellschaft umwandeln. Da ist es mir gar nicht bange. Ich habe das Gefühl, dass viele Entwicklungen derzeit unterwegs sind, die vielleicht noch nicht überall so begriffen werden. Die entstehen an der Basis, in den Betrieben, bei den Erfindern, an den Universitäten. Natürlich auch in den politischen Parteien, in den politischen Bewegungen, Bürgerbewegungen. Ich habe das Gefühl, dass da eine positive Revolution kommen kann. In den letzten 25 Jahren gab es schon viele Veränderungen. Ich glaube, die nächsten 25 Jahre werden noch spannender und interessanter.

Meinen Sie damit die Innovationen?

Ja, absolut. In der Medizin, in der Energie. Denken Sie nur daran, was jetzt alles in der Energiepolitik investiert wird, was übrigens die deutsche Bundesregierung sehr ambitioniert umsetzt. Es gibt eine ganze Fülle von hochinteressanten Entwicklungen, die durchaus Hoffnung machen können.

Dennoch nimmt die Bevölkerung zu, und damit steigen die Bedürfnisse nach limitierten natürlichen Ressourcen. Welche Art von Global Governance brauchen wir, um auf diese Herausforderungen eine adäquate Antwort zu finden?

Zu allererst brauchen wir ein globales Bewusstsein. Früher war es so, dass man lokale Probleme exportiert hat auf die globale Ebene. Jetzt muss man globale Probleme lokalisieren. Es ist wichtig, dass jeder versteht, dass letztlich der Klimawandel oder die Armut in vielen Teilen der Welt Auswirkungen auf ihn selber hat, weil sich das Wetter ändert, weil es Flüchtlingsströme gibt. Also die globalen Probleme herunter brechen auf die regionale und lokale Ebene. Das halte ich für ganz wichtig.

Das heißt, die Global Governance soll Ihrer Meinung nach von unten nach oben vorankommen?

Auf beiden Ebenen. Natürlich war es in der Finanz- und Wirtschaftskrise wichtig, dass sich die G20 zusammengesetzt hat, dass dort ein Programm für die Bewältigung der Krise geschnürt wurde. Aber für andere Bereiche genügt es nicht, dass etwa bei einem UNO-Gipfel Angela Merkel, Sarkozy, Obama und die Chinesen sagen, wir sind für die Bekämpfung des Klimawandels, wir sind für die Einhaltung der Milleniumsziele. Sondern das muss auch übersetzt werden auf die lokale und individuelle Ebene. Auf dieser Konferenz war zum Beispiel der Vertreter eines Bündnisses von 40 großen Städten der Welt, die sich zusammengefunden haben, um bestimmte Ziele für klimaneutrale Politik und Energiepolitik zu erreichen. Und die leben das wirklich. Wir wissen, dass in Deutschland oder in meinem Heimatland Österreich viele kleine und mittlere Gemeinden versuchen, etwas für die Bewältigung von globalen Problemen zu unternehmen. Es muss beides funktionieren: Die große Ebene, die Leader dieser Welt müssen zusammenkommen und eine Agenda bestimmen und die müssen umgesetzt werden bis zu jedem Einzelnen.

Sind die Menschen denn überhaupt in der Lage, die Global Governance zu organisieren? Wenn man den Prozess der Welthandelsrunde oder der Klimaverhandlungen sieht, hat man nicht gerade den Eindruck, dass es klappt.

Wenn man es kurzfristig sieht, dann haben Sie schon recht. Es gibt viele Konferenzen, die daneben gehen oder mit faulen Kompromissen enden. Das mag schon stimmen. Aber wenn man längerfristig die Dinge sieht, dann geht eigentlich sehr viel weiter in der internationalen Zusammenarbeit. Denken Sie nur an Europa, was in einem unglaublichen Tempo und Zeitraffer in den letzten 20 Jahren an inneren Reformen, an Vertiefung und Erweiterung geschehen ist. Ähnliches ist auch auf der Ebene der Vereinten Nationen. Vor zehn Jahren hat niemand über den Klimawandel diskutiert. Pascal Lamy, Chef der Welthandelsorganisation, war zehn Jahre lang der wichtigste Mitarbeiter des französischen Präsidenten Mitterand. Er hat mir mal erzählt, dass er damals immer wieder versucht hat, die Regulierungen der Finanzsysteme zu thematisieren. Er wurde immer abgelehnt. Heute ist es das Thema. Manchmal braucht es eine Krise, um uns weiter voranzubringen.

Wolfgang Schüssel ist Jurist und gehört seit 1989 der österreichischen Bundesregierung an. Er war von 1995 bis 2007 Bundesparteiobmann der ÖVP. Von Februar 2000 bis Januar 2007 war Schüssel österreichischer Bundeskanzler. Seit Oktober 2006 ist er wieder Abgeordneter zum Nationalrat.

Das Interview führte Zhang Danhong

Redaktion Henrik Böhme