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Schwach im Bund, stark in den Ländern

Nina Werkhäuser21. November 2014

In den Bundesländern sind die Grünen erfolgreich, in Berlin geben sie ein schwaches Bild ab. Auf dem Bundesparteitag demonstriert die Partei Geschlossenheit - trotz interner Differenzen über den künftigen Kurs.

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Stimmkarten auf dem Bundesparteitag der Grünen in Hamburg, Foto: dpa
Bild: picture-alliance/dpa/Heimken

Das Jahr 2014 geht für die Grünen deutlich besser zu Ende, als es begonnen hat: Herrschte zu Jahresbeginn noch Katzenjammer über die Stimmenverluste bei der Bundestagswahl, so hat sich die Partei inzwischen wieder aufgerappelt. "Die Phase der Trauerarbeit ist abgeschlossen", sagte der Vorsitzende Cem Özdemir zum Auftakt des dreitägigen Parteitags in Hamburg. Vor allem an ihren Erfolgen in den Bundesländern richten sich die Grünen wieder auf: Zu den bisher sieben Regierungsbeteiligungen kommt in Thüringen nun voraussichtlich eine achte hinzu - die erste rot-rot-grüne Koalition unter einem linken Ministerpräsidenten. "Unser Ziel ist es, auch im Bund wieder an diese Wahlergebnisse anzuknüpfen", sagte Özdemir, der seine Partei vor zu viel Selbstkritik warnte: "Lasst uns gelassen bleiben."

In seiner Rede kritisierte Özdemir die Klimapolitik der Bundesregierung scharf: Deren Nein zum Abschalten der "Dreckschleudern", also alter Kohlekraftwerke, sei "eine Sabotage der deutschen Klimaziele". Der ausgeglichene Haushalt von Finanzminister Wolfgang Schäuble sei "keine schwarze Null, sondern ein schwarzes Loch". Unter anderem investiere die Bundesregierung zu wenig in den Erhalt von Straßen, Schiene und Brücken. Drei Tage lang debattieren die 800 Delegierten über Themen wie den Klima- und Tierschutz, eine humane Flüchtlingspolitik und die außenpolitischen Krisen in der Ukraine, in Syrien und im Irak. Als Gäste haben sie den Vorsitzenden des Zentralrats der Jesiden, Telim Tolan, und die indische Globalisierungskritikerin Vandana Shiva eingeladen.

Windräder und ein Kohlekraftwerk, Foto: Reuters
Die Atomkraft wollen die Grünen mit erneuerbaren Energien ersetzen, nicht mit KohlekraftwerkenBild: Reuters

Schüsse auf das eigene Tor

Anders als in den Ländern macht die Partei, die 2013 magere 8,4 Prozent der Stimmen bekam, keine gute Figur. Sie ist die kleinste Oppositionspartei. Im Schatten einer übermächtigen Regierungskoalition, die wenig Angriffsfläche bietet, sind die grünen Abgeordneten nur begrenzt wahrnehmbar. Doch das alleine ist nicht das Problem: Häufig beschäftigt sich die Partei mit sich selbst anstatt mit ihren Kernthemen Umwelt, Klima und Menschrechte. Weil sie sich persönlich profilieren wollen, widersprechen sich grüne Spitzenpolitiker gerne mal öffentlich.

Den beiden Parteivorsitzenden, Cem Özdemir und Simone Peter, wird ein schlechtes Verhältnis nachgesagt. Ganz generell zweifelt die Basis an der Führungskraft ihres Spitzenpersonals, das vor einem Jahr neu gewählt wurde. Und auch inhaltlich gibt es immer wieder Differenzen, sei es beim Thema Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga im Nordirak oder bei der Verschärfung des Asylrechts, dem das grün-rot regierte Baden-Württemberg zum Entsetzen vieler Grüner zugestimmt hat.

Der Parteivorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, redet auf dem Bundesparteitag in Hamburg, Foto: dpa
Kämpferisch: Der Parteivorsitzende der Grünen, Cem ÖzdemirBild: picture-alliance/dpa/Büttner

Gute Ratschläge für die Wähler

Die mangelnde Geschlossenheit ist die Achillesferse der Partei. Dabei hatten sich die Grünen nach der Wahl geschworen, sich nicht mehr angreifbar zu machen. Auslöser dieser Selbsterkenntnis war die missglückte Kampagne für den "Veggie Day", für einen fleischfreien Tag in der Woche. Den hätten die Grünen landauf, landab gerne angeordnet - bis die Wähler entnervt zurückmeldeten, sie würden doch gerne selbst entscheiden, ob sie lieber in eine Salami-Pizza beißen oder in eine mit Gemüse.

Reumütig räumte die Parteiführung später ein, sie habe die Menschen bevormundet und nicht nur mit dem Veggie-Day verschreckt, sondern auch mit ihrer Forderung nach drastischen Steuererhöhungen. Erst habe man den Menschen die Butter vom Brot nehmen wollen und dann auch noch die Wurst, fasste ein führender Grüner das Desaster zusammen. Noch immer kämpfen die Grünen gegen das Image der penetranten Besserwisser-Partei, die zu allen Lebensthemen die richtigen Rezepte parat hat.

Überzeugen, nicht bekehren

Dies zeigt ein Antrag, der vor dem Parteitag heiß diskutiert wurde: Die Grünen seien in der Mitte der Gesellschaft angekommen, formuliert darin der hessische Fraktionsvorsitzende Mathias Wagner, aber vor diesem Zustand fürchteten sie sich anscheinend. "Mancher scheint regelrecht Angst davor zu haben, mit den eigenen Positionen in der Gesellschaft mehrheitsfähig zu sein", schreibt Wagner, in dessen Bundesland die Grünen zusammen mit der konservativen CDU regieren. Auch auf Bundesebene müsse das Ziel für die Grünen wieder eine Regierungsbeteiligung sein. Die Partei müsse aus dem "Kampfmodus gegen die Gesellschaft" herauskommen, denn die Bürger wollten "überzeugt, aber nicht bekehrt" werden.

Der Antrag gefiel dem Bundesvorstand so wenig, dass er einen Gegenantrag formulieren ließ. Auch hier wurde das Ziel genannt, 2017 im Bund wieder mitzuregieren, eine Neubestimmung des Kurses sei aber nicht nötig. "Wir brauchen keine Nabelschau und keine gegenseitigen Ermahnungen", hieß es darin. Zu Beginn des Bundesparteitages wurden beide Anträge zu einem verschmolzen. Damit wollten beide Seiten verhindern, dass der Streit über den Kurs der Grünen den Parteitag überschattet.