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Studium als zweite Chance

27. Januar 2012

Sie haben studiert und in einem guten Job gearbeitet, doch in Deutschland keine Chance auf eine Arbeitsstelle. Die Universität Oldenburg bietet Flüchtlingen eine Perspektive - mit einem Studium für Schulsozialarbeit.

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Schüler mit Migrantionshintergrund nehmen in einer Leipziger Schule am Deutschunterricht teil (Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Während die älteren Kinder draußen in der Pausenhalle Plakate basteln, sitzen die kleineren an einem Tisch und machen Deutsch- und Mathematikaufgaben. Karina Ibrahimova hilft, wo die Kinder selbst nicht weiterkommen. Die Sozialarbeiterin an der Grundschule in Winsen an der Aller bei Celle macht ihren neuen Job mit Begeisterung und ist froh, endlich eine Arbeitsstelle zu haben. Der Weg dorthin war weit, denn Karina Ibrahimova kommt aus Aserbaidschan. Vor acht Jahren flüchtete sie mit ihrem Mann und zwei Kindern nach Deutschland und war zunächst arbeitslos.

2009 begann sie schließlich mit dem "Kontaktstudium Schulsozialarbeit" an der Universität Oldenburg, einem Weiterbildungsprogramm speziell für Flüchtlinge, anerkannte Asylbewerber und geduldete Ausländer. Dort lernte Karina Ibrahimova Deutsch, hatte Seminare in politischer Bildung und deutscher Geschichte und erhielt ihre sozialpädagogische Ausbildung. Es sei eine anstrengende Zeit gewesen, erzählt sie. Dreimal die Woche fuhr Karina Ibrahimova mit dem Zug von Winsen an der Aller bei Celle zu den Seminaren nach Hannover. Für die Prüfungen musste sie sogar bis nach Oldenburg fahren, fast vier Stunden dauert das mit dem Zug.

Karina Ibrahimova (Foto: DW / Jessica Holzhausen)
Mit über 30 noch mal an die Uni: Karina IbrahimovaBild: Jessica Holzhausen

Hoch qualifiziert, aber wertlos

"Ohne meinen Mann hätte ich das nicht geschafft", sagt die 35-jährige Sozialarbeiterin. "In der Zeit hatte er keine Arbeit, denn auch sein aserbaidschanischer Studienabschluss als Ingenieur wurde in Deutschland nicht anerkannt." Genausowenig wie Karina Ibrahimovas Studium als Buchhalterin. Ein Problem, das die Koordinatorin des "Kontaktstudiums Schulsozialarbeit", Andrea Hertlein, von vielen Flüchtlingen kennt. Ihre Studenten kommen aus dem Irak und Afghanistan ebenso wie aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, aus dem Kongo oder von der Elfenbeinküste. Einige sind erst ein Jahr in Deutschland, andere schon zehn.

"Eines haben sie alle gemeinsam", erzählt Hertlein, "sie haben die Erfahrung gemacht, dass ihre berufliche Qualifikation hier in Deutschland nichts wert ist." Das "Kontaktstudium Schulsozialarbeit" soll das ändern. Denn obwohl es nicht als offizieller Berufsabschluss anerkannt ist, haben die Absolventen damit recht gute Chancen auf eine Arbeitsstelle, zum Beispiel als Honorarkraft in Schulen und bei Beratungsstellen. Schließlich sind Migranten in der Sozialarbeit gefragt.

Andrea Hertlein (Foto: DW / Jessica Holzhausen)
Andrea Hertlein vom "Kontaktstudium Sozialarbeit"Bild: Privat

Gesucht: Sozialarbeiter mit Migrationshintergrund

"Die Migranten sind auf unterschiedlichen Wegen nach Deutschland gekommen", sagt Studienkoordinatorin Andrea Hertlein, als Familiennachzug oder aus beruflichen Gründen. "Aber wir haben auch ganz viel Migration aufgrund von Verfolgung und Krieg, und viele Migranten haben sehr spezifische Erlebnisse, die es ihnen sehr schwer machen, darüber zu sprechen." Wenn ihnen dann ein Sozialarbeiter begegne, der ihre Situation aus eigenem Erleben kenne, fassten sie viel schneller Vertrauen.

Die Ansprüche an die Studenten sind in Oldenburg hoch. Wer sich bewirbt, muss nicht nur gute Deutschkenntnisse nachweisen, sondern möglichst auch ein Studium oder eine Ausbildung im sozialpädagogischen Bereich. Egal, in welchem Land dieser Abschluss gemacht wurde. Rund fünfzig Prozent der Studenten waren zuvor Lehrer. Wer sich zudem in Deutschland sozial engagiert, hat bessere Chancen angenommen zu werden. Karina Ibrahimova zum Beispiel hat in Winsen einen Frauentreff für Migrantinnen organisiert. Das Kontaktstudium helfe aber nicht nur den Studenten, in Deutschland Fuß zu fassen, sagt Projektkoordinatorin Andrea Hertlein, sondern auch deren Kindern und Familien. Denn zum ersten Mal erlebten auch die Kinder, wie es sei, wenn die Eltern arbeiten gehen. "Sie sind dann sehr stolz", beobachtet Hertlein.

Titel: Kontaktstudium Schulsozialarbeit_ Kontaktstudium Schulsozialarbeit_Karina Ibrahimova mit einer Schülerin Schlagworte: Kontaktstudium Schulsozialarbeit, Universität Oldenburg, Migration Fotograf: Jessica Holzhausen Wann wurde das Bild gemacht?: 13.12.2011 Wo wurde das Bild aufgenommen?: Winsen/Aller Bildbeschreibung: Karina Ibrahimova (rechts), Absolventin des Kontaktstudiums Schulsozialarbeit, hilft einer Schülerin an der Grundschule Winsen/Aller bei ihren Hausaufgaben
Karina Ibrahimova mit einer SchülerinBild: Jessica Holzhausen

Selbstbewusster dank Studium

Das Studium hat auch Karina Ibrahimova verändert. Vor acht Jahren kam sie mit ihrer Familie als Flüchtling nach Deutschland, mit Hilfe von UNICEF, denn einer der beiden Söhne war zu dem Zeitpunkt schwer krank. Anfangs sprach Karina Ibrahimova kein Wort Deutsch und war auf die Hilfe von Nachbarn angewiesen. Heute ist sie nicht nur Sozialarbeiterin in der Grundschule, sondern auch die Integrationsbeauftragte ihrer Gemeinde.

Karina Ibrahimova mit ihren Schülern (Foto: DW / Jessica Holzhausen)
Noch nicht genug vom Studium: Karina IbrahimovaBild: Jessica Holzhausen

Die Sozialarbeiterin möchte ihre eigenen Erfahrungen als Migrantin nutzen, um anderen Einwanderern zu helfen. Viele Kinder in der Grundschule Winsen zum Beispiel hätten selbst einen Migrationshintergrund und bräuchten eine Vertrauensperson, sagt sie. Ab August 2012 will die Schulsozialarbeiterin noch einmal studieren – im Bachelor-Studiengang "Interkulturelle Bildung und Beratung" in Oldenburg.


Autorin: Jessica Holzhausen
Redaktion: Sabine Damaschke