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Europas Schuldenstaaten

31. Januar 2011

Am 04.02.2011 wird es beim EU-Gipfel voraussichtlich Streit geben, ob der Euro-Rettungsschirm ausgeweitet werden muss. Wie geht es den Euro-Schuldenstaaten überhaupt - ein Jahr nach der Griechenland Pleite?

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Klaus Regling, Chef des Euro-Stabilitätsmechanismus (Foto: dpa)
Klaus Regling ringt für den RettungsschirmBild: picture-alliance/dpa

Vor knapp einem Jahr schlitterte Griechenland in die Schuldenkrise. Im März 2010 schnürten die Länder der Euro-Zone dann ein Rettungspaket für das hochverschuldete Land, zwei Monate später gefolgt vom Europäischen Stabilisierungsmechanismus, der auch als Euro-Rettungsschirm bekannt wurde. Eine Ausweitung des Rettungsschirmes fordern EU-Währungskommissar Olli Rehn und Kommissionspräsident Jose Manuell Barroso.

Sie warnen, dass viele der hochverschuldeten Staaten in diesem Jahr neue Staatsanleihen auf den Markt werfen müssen, weil alte Bonds auslaufen. Vor diesem Hintergrund sei ein starker Rettungsschirm notwendig.

Rettungsschirm sollte Signal an Märkte senden

Jürgen Matthes, Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln, Leiter Internationale Wirtschaftspolitik (Foto: Jürgen Matthes)
Jürgen Matthes warnt, dass die Finanzmärkte auch weiter sehr nervös reagierenBild: Jürgen Matthes

"Die Intention des Rettungsschirmes war, dem Finanzmarkt klarzumachen: 'Hier kommt die große Keule. Es lohnt sich nicht, gegen die Peripherieländer zu spekulieren, weil die Länder nicht in den Staatsbankrott abgleiten werden," erklärt der Euro-Fachmann Jürgen Matthes vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Um dies zu bewirken, müsse der Rettungsschirm groß genug sein. Es gebe aber Zweifel daran, ob der Rettungsschirm für Spanien tatsächlich ein Auffangnetz bieten könne. Dieser sei zwar 750 Milliarden Euro stark, weil aber ein Großteil davon als Garantien hinterlegt werden müsse, seien effektiv nicht einmal 440 Milliarden verfügbar.

Dies sei auch gar nicht nötig, meint hingegen Wolfgang Gerke vom Bayerischen Finanzzentrum in München. Seiner Meinung nach ist es "ganz gefährlich, wenn jetzt, wo der Rettungsschirm noch gar nicht ausgeschöpft wurde, schon öffentlich kundgetan wird, dass er möglicherweise gar nicht ausreicht." Wenn man das große Geld als Rettungsschirm in Aussicht stelle, werde der Druck auf diese Länder geringer werden, sagt Gerke.

Dynamische Volkswirtschaften können Krise verkraften

Prof. Wolfgang Gerke vom Bayerischen Finanzzentrum in München (Foto: DW)
Gerke hält die Finanzmärkte für stark genug

Denn die Lage sei bei weitem nicht so dramatisch, wie einige es darstellten. So müsse zwar Italien in diesem Jahr noch über 270 Milliarden Euro umschulden, allerdings könne das Land dies mit seiner eigenen Dynamik durchaus bewältigen. Italien habe eine Wirtschaft, die "von sehr soliden Banken finanziert wird, an denen die Krise kaum gerüttelt hat", sagt Finanzexperte Gerke. Auch in Spanien habe man zwar "sehr große Probleme bei den Sparkassen mit Immobilienkrediten", aber andere spanische Banken stünden durchaus solide da.

In der Tat sei zwar der Refinanzierungsbedarf von Italien, Spanien, Portugal, Irland und Griechenland 2011 sehr hoch. Aber die Finanzmärkte verfügten über "ungeheuer viel Geld", so Gerke weiter. Dass sie dieses auch einzusetzen bereit sind, zeigte nicht zuletzt die große Nachfrage nach Anleihen, die der Rettungsmechanismus Ende Januar für Irland ausgegeben hatte.

Auch Portugal, das als Schuldnerstaat im Mittelfeld liege, habe noch im Januar erfolgreich Staatsanleihen zu einem akzeptablen Zinssatz herausgegeben, betont Matthes. Allerdings warnt er auch, dass die Märkte sehr sensibel reagieren. Ob die Finanzmärkte gerne auf griechische und spanische Staatsanleihen zu "noch insgesamt erträglichen Zinsbedingungen" zurückgreifen, würde man abwarten müssen. "Da können auch kleine Gerüchte, die oft noch einen Tag vor der Emission aufkommen, plötzlich alles zum Kippen bringen - das ist ein sehr wackliges Geschäft," warnt Matthes.

Nicht alle Regierungskrisen verunsichern Anleger

Bürger protestieren gegen die Unfähigkeit der belgischen Politiker, eine Regierung zu bilden (Foto: dpa)
Nicht nur Belgiens Bürger sind ungeduldig - Druck von der Strasse und Druck der MärkteBild: dpa

Dennoch gebe es insbesondere bei Portugal durchaus positive Signale: "Die Konsolidierung schreitet da doch voran. Die Zahlen sind zum Jahreswechsel besser gewesen, als wir erwartet hatten", sagt Matthes. Auch in der Politik scheine man sich zusammenzufinden, trotz einer Minderheitsregierung, in der das Regieren immer schwierig sei.

Und Regierungskrisen wirken sich auch auf die Kreditwürdigkeit aus. Schlimmer ist deshalb die Lage in Belgien, das schon weit über ein halbes Jahr keine gewählte Regierung mehr hat. Auch in Irland ist die Koalition im Januar zerbrochen. Aber die Stabilität der Regierungen ist nicht alles, worauf Finanzinvestoren achten. Es gebe noch wichtigere Fragen, betont der Wirtschaftsfachmann Wolfgang Gerke: "Wie steht es um die Wirtschaftskraft der betreffenden Länder? Wie steht es um das Kreditwesen dieser Länder?" In Belgien seien die Investoren schon "seit vielen Jahren daran gewöhnt, dass es Regierungskrisen und Streitereien zwischen Flamen und Wallonen gibt", deshalb sei der Markt dort auch großzügiger.

Euro-Fachmann Matthes sieht zudem eine "umgekehrte Wirkung" der belgischen Regierungskrise: Dadurch, dass der Finanzmarkt nervös sei, und "wie ein scheues Reh" reagiere, stiege der Druck, sich politisch zu einigen: "Man wird sehen, ob die Einigungsphase nicht doch etwas beschleunigt wird, wenn die Zinsen steigen." So könne aus der Krise durchaus auch "etwas Positives erwachsen."

Dies könnte auch die Bildung einer stabilen Regierung in Irland beschleunigen und gelte ebenso für Griechenland und Portugal. Das seien Länder, die bisher "in der Wettbewerbsfähigkeit weit zurückgehinkt" hätten. Die Krise sorge dafür, dass in diesen Ländern endlich Reformen angegangen würden, die helfen, Europa insgesamt dynamischer aufzustellen. Deshalb liege "in der Krise durchaus auch eine Chance."

Autor: Fabian Schmidt
Redaktion: Mechthild Brockamp