Schräg oder virtuos – Singen macht glücklich
In Deutschland gibt es viele unterschiedliche Chöre – mit und ohne professionellen Anspruch. Ergänzt werden sie durch Singveranstaltungen, die einfach nur Spaß machen sollen. Können ist nicht unbedingt gefragt.
„Drei und ... Gluck, Gluck, Gluck, Fo-relle, Gluck, Gluck, Gluck … Gluck, Gluck, Gluck … wie ein Pfeil. / Ne, zu spät: Wie ein Pfeil, und … / Wie ein Pfeil, Oh Fo-relle. / Nein: Oh Forelle. Und… / Oh Forelle ...“
Der Chor „Songlines Cologne e.V.“ beim gemeinsamen Üben. Jeden Montagabend treffen sich seine Mitglieder* zum Singen im Kölner Stadtteil Ehrenfeld: 17 Männer und 30 Frauen, Bässe Bass, Bässe (m.) hier: ein Sänger mit der tiefsten männlichen Gesangsstimme , Tenöre Tenor, Tenöre (m.) hier: ein Sänger mit einer hohen männlichen Gesangsstimme , Altistinnen Altistin, -nen (f.) eine Sängerin mit einer eher tiefen weiblichen Gesangsstimme und Sopranistinnen Sopranistin, -nen (f.) eine Sängerin mit der höchsten weiblichen Gesangsstimme . Chordirektor Artur Rivo erklärt und korrigiert akribisch akribisch sehr genau; äußerst gründlich , mal nachsichtig, mal streng:
„Von Anfang an bitte! /‚Ein Hoch auf das, was vor uns liegt, dass es das Beste für uns gibt. Ein Hoch auf das, was uns vereint …“
2005 hat sich der Chor „Songlines Cologne“ gegründet, mit zehn Mitgliedern. Damals schon dabei war der heutige Vorsitzende des Chorvorstands, der 70-jährige Wolfgang Ehmer. Über zu wenig Interesse an dem Chor kann er sich nicht beklagen:
„Wir hatten eigentlich nie ’ne Mitgliedsflaute. Es ist jetzt nicht so, dass wir auf ’nen Schlag 45 gekriegt haben. Dann waren es 20. Dann haben wir Konzerte gehabt, wo wir dann nach dem Konzert plötzlich 24 waren, und so weiter. Also, das ist immer gewachsen und ein überwiegend großer Teil ist auch geblieben. Er ist kein klassischer Chor, der sich einer Stilrichtung verpflichtet fühlt. Er ist im Grunde genommen ’n Chor, wie es heute unheimlich viele gibt, die ein wahnsinnig breit aufgestelltes Potpourri haben. Und das Besondere an dem Chor ist vielleicht, dass es tatsächlich gelungen ist, den literarischen Anspruch aufrechtzuerhalten.“
Breit aufgestellt, vielseitig, ist „Songlines Cologne“ gleich doppelt. Die Mitglieder kommen aus mehr als zehn verschiedenen Ländern. Und so international die Zusammensetzung des Chors ist, so verschieden ist auch ihr Repertoire Repertoire, -s (n., aus dem Französischen) eine Sammlung von Texten, Theater- bzw. Musikstücken . Es ist ein Potpourri, eine Mischung, verschiedener musikalischen Stilrichtungen. Entsprechend umfangreich ist auch die Sammlung der Liedtexte, der Literatur. Das stellt, wie Wolfgang Ehmer betont, schon die eine oder andere Herausforderung dar:
„Das bedeutet für die Literatur, internationale Lieder in ihren Originalsprachen auswendig und anspruchsvoll [zu singen] – von Russisch, Spanisch, Portugiesisch, Chinesisch hatten wir auch schon mal, Lettisch.“
Musikalisch wie sprachlich werden hier keine Grenzen gesetzt, und so findet sich im breitgefächerten Repertoire des Chors auch ein „Vater unser“ in der afrikanischen Sprache Kisuaheli:
„Baba yetu, yetu uliye mbinguni yetu, yetu, amina!
Baba yetu, yetu, uliye m-Jina lako e-litukuzwe.
Baba yetu, yetu uliye mbinguni yetu, yetu, amina!
Baba yetu, yetu, uliye m-Jina lako e-litukuzwe ...“
Wer in den Chor eintritt, dem muss klar sein, dass es hier nicht um eine reine Zweckgemeinschaft Zweckgemeinschaft, -en (f.) eine Gruppe, die aus rein praktischen Gründen gebildet wird bzw. besteht geht. Hier soll jeder von der Persönlichkeit und der Lebenserfahrung der anderen profitieren. Deshalb treffen sich die Mitglieder, wie Wolfgang Ehmer erzählt, auch nicht nur zum Singen:
„Wir feiern miteinander, wir feiern Geburtstage, jedes Geburtstagskind kann sich ein Lied wünschen, dann stehen wir zusammen und essen und trinken. Oder wir fahren zusammen auf Reisen, sind schon in Holland, in Belgien, in Frankreich, in Süddeutschland aufgetreten. Und wir machen Wochenenden zusammen, wenn wir uns auf Konzerte vorbereiten, oder wir feiern Weihnachten zusammen oder gehen zusammen grillen.“
Rein statistisch hat die Zahl der Sängerinnen und Sänger in Amateur Amateur, -e / Amateurin, -nen jemand, der etwas nicht beruflich und ohne Fachwissen macht chören in Deutschland seit Ende der 1990er Jahre abgenommen. Nach Einschätzung der Bundesvereinigung Deutscher Chorverbände, BDC, ist dieses Bild aber falsch. Die Chorlandschaft Chorlandschaft, -en (f.) die Gesamtheit aller Chöre sei einfach deutlich bunter bunt hier: vielfältig geworden. Nicht alle die singen, wollten sich irgendwo registrieren jemanden registrieren hier: jemanden in eine offizielle Liste eintragen lassen. In Chorverbänden, kirchlichen wie weltlichen, sind heute etwa 1,5 Millionen Deutsche organisiert. Amateursänger aber gebe es mehr als zwei Millionen in der Bundesrepublik, so der BDC. Dieses Bild kann die Kölner Sängerin und Gesangslehrerin Alexandra Gauger nur bestätigen:
„Es gibt auch ganz viele, ganz unterschiedliche Tendenzen, also so ’n Chor, der dann Leistungssingen macht zum Beispiel oder beim deutschen Chorwettbewerb mitmacht. Und dann gibt’s auch Chöre, die sich ganz bewusst dagegen entscheiden, also die überhaupt keinen Bock haben, aufzutreten, gerade wenn die jünger sind, die überhaupt keinen Bock auf so ’n Vereinsding haben. Die wollen einfach gar nicht in so ’nem großen Verband drin sein. Die wollen das machen, worauf sie selber Bock haben."
In einem als Verein organisierten Chor mitzusingen, darauf haben vor allem jüngere Deutsche keinen Bock. Sie haben keine Lust dazu. Ein Grund ist, wie Alexandra Gauger sagt, dass die jungen Leute die Freiheit haben wollen, ‚ihr eigenes Ding zu machen‘, das zu singen, was ihnen selbst Spaß macht. Das kann dann auch schon mal die Teilnahme am sogenannten „Rudelsingen“ sein. Man trifft sich, um gemeinsam Lieder zu schmettern schmettern hier: sehr laut singen , ganz ohne Anspruch an Klangqualität und genauen Text. Häufig werden solche Veranstaltungen auch professionell organisiert und müssen bezahlt werden. Berühmtestes Beispiel: die Events der Musikpädagogin Katrin Höpker. Mehrere hundert Teilnehmer kommen zu ihren stets ausverkauften Mitsingkonzerten und alle schwärmen (von etwas) schwärmen (von etwas) sehr begeistert sein , so wie Ilse aus Aachen:
„Also Frau Höpker ist ’ne ganz charismatische Frau, die einen mitzureißen versteht. Sie spielt wunderbar Klavier und sie trifft immer den Nerv der Leute, was die grade hören wollen. Und sie kann sich auch sehr nett so ’n bisschen lustig machen drüber. Weil, die Texte sind ja meistens grottig, aber es ist wunderbar, die zu singen. Und jeder fühlt sich wie ’n Star. Meine Freundin, mit der ich da öfter hingehe, sagt von sich, sie könnte nicht singen. Ich muss es bestätigen, sie kann wirklich nicht singen, aber sie singt mit voller Freude laut und fühlt sich richtig gut. Und wann kann man das sonst schon mal machen, außer unter der Dusche oder in der Badewanne?“
Ilse ist begeistert von der persönlichen Ausstrahlung Katrin Höpkers, ihrem Charisma. Sie schafft es auch, Menschen zu begeistern, sie mitzureißen, die nicht singen können oder sich nicht trauen. Sie weiß, welche Musikstücke sie anstimmen muss, um das zu erreichen. Sie trifft den Nerv der Leute. Manche Texte sind so schlecht, grottig, dass sich die Musikpädagogin darüber lustig macht, darüber Witze macht. Profisängerin Alexandra Gauger sieht in den Mitsingkonzerten eine Art erweitertes Karaoke Karaoke (n., nur Singular) eine Veranstaltung, bei der bekannte Stücke (von nicht ausgebildeten Sängern) zu Instrumentalmusik vor Publikum gesungen werden . Ihrer Meinung nach bereichert Katrin Höpker die deutsche Gesangsszene um eine weitere Facette Facette, -n (f.) hier: eine Eigenschaft; ein Merkmal :
„Rudelsingen kann jeder hinkommen, und zwar ist das so einfach gehalten, dass jeder, der Spaß hat am Singen, ob der jetzt singen kann oder nicht, mitsingen kann. Es ist alles einstimmig. Es ist für Begleitung gesorgt, die einfach ist, der Text steht irgendwo oben. Und das ist wie so Skifahren-Hüttenzauber, gemeinschaftliches Feiererlebnis. Im Chor wurde halt schon eigentlich immer gesungen oder im Gesangsverein. Das ist ja noch für die heutige Zeit ’n viel interessanteres Format, weil man sich ja nicht verpflichten muss. Man kann dafür bezahlen, dass man jetzt irgendwie zwei Stunden singt, aber du gehst nicht in dieser Gruppe ’ne soziale Bindung ein, sondern du gehst dahin, wie in ’ner Disco, anstatt zu zappeln, singste halt.“
Die Gruppenerfahrung ist auch beim Rudelsingen wichtig, vergleichbar mit dem Hüttenzauber beim Skiurlaub. Dort trifft man sich in der Skihütte abends, wenn es draußen kalt ist, trinkt, isst und singt manchmal auch. Aber es ist unverbindlich. So wie man in eine Diskothek geht, um Musik zu hören und dazu zu tanzen, zu zappeln, geht man halt mal zum Rudelsingen. Häufig wird dem Singen auch eine positive therapeutische Wirkung nachgesagt, nicht unbedingt nachhaltig nachhaltig hier: so, dass etwas auch nach langer Zeit noch existiert , aber schnell wirksam. Für Alexandra Gauger liegt auf der Hand liegen redensartlich für: offensichtlich sein das auf der Hand auf der Hand liegen redensartlich für: offensichtlich sein :
„Ich glaub schon, Singen hat einfach ’ne sehr reinigende, verbindende Funktion, Lebensfreude. Also, ich war einmal in so ’nem Rudelsingen drin und ich kann einfach nur sagen: Es macht einfach glücklich! Singst halt einfach mit, und du schaltest ab, du denkst nicht über den Alltag nach, in diesem Moment. Und wenn man das schafft, in den Moment zu kommen, ist doch super.“
Den Alltag mal zu vergessen, abzuschalten, sich nur aufs Singen zu konzentrieren, hat für Körper und Psyche eine reinigende Wirkung, schafft Lebensfreude. Singen hat also etwas extrem Gemeinschaftsstiftendes und ist im modernen Deutschland mancherorts für viele ein neues Freizeitvergnügen geworden, wie ins Kino oder essen gehen. Großer Vorteil: Man kann es allein oder in der Gruppe tun. Und so schafft es vielleicht auch manch einsamer Großstadt-Single Single, -s (m.) jemand, der nicht verheiratet oder in einer Partnerschaft ist , seine Hemmschwelle Hemmschwelle, -n (f.) die Bedenken oder die Angst, etwas zu tun zu überwinden und im Rudel auf muntere Weise Menschen kennenzulernen.
Schräg oder virtuos – Singen macht glücklich
Bass, Bässe (m.) — hier: ein Sänger mit der tiefsten männlichen Gesangsstimme
Tenor, Tenöre (m.) — hier: ein Sänger mit einer hohen männlichen Gesangsstimme
Altistin, -nen (f.) — eine Sängerin mit einer eher tiefen weiblichen Gesangsstimme
Sopranistin, -nen (f.) — eine Sängerin mit der höchsten weiblichen Gesangsstimme
akribisch — sehr genau; äußerst gründlich
Repertoire, -s (n., aus dem Französischen) — eine Sammlung von Texten, Theater- bzw. Musikstücken
Zweckgemeinschaft, -en (f.) — eine Gruppe, die aus rein praktischen Gründen gebildet wird bzw. besteht
Amateur, -e / Amateurin, -nen — jemand, der etwas nicht beruflich und ohne Fachwissen macht
Chorlandschaft, -en (f.) — die Gesamtheit aller Chöre
bunt — hier: vielfältig
jemanden registrieren — hier: jemanden in eine offizielle Liste eintragen
schmettern — hier: sehr laut singen
(von etwas) schwärmen — (von etwas) sehr begeistert sein
Karaoke (n., nur Singular) — eine Veranstaltung, bei der bekannte Stücke (von nicht ausgebildeten Sängern) zu Instrumentalmusik vor Publikum gesungen werden
Facette, -n (f.) — hier: eine Eigenschaft; ein Merkmal
nachhaltig — hier: so, dass etwas auch nach langer Zeit noch existiert
Single, -s (m.) — jemand, der nicht verheiratet oder in einer Partnerschaft ist
Hemmschwelle, -n (f.) — die Bedenken oder die Angst, etwas zu tun
auf der Hand liegen — redensartlich für: offensichtlich sein