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Politik

Scholz stimmt Bürger auf großen Umbruch ein

15. Dezember 2021

Bundeskanzler Olaf Scholz hat in seiner ersten Regierungserklärung den größten Umbruch von Wirtschaft und Produktion seit 100 Jahren angekündigt. Zugleich machte er Mut, dass die Corona-Krise überwunden werden kann.

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Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner ersten Regierungserklärung im Bundestag
Bild: Michael Kappeler/picture alliance/dpa

"Hinter uns liegen 250 Jahre, in denen unser Wohlstand auf dem Verbrennen von Kohle, Öl und Gas gründete. Jetzt liegen vor uns etwa 23 Jahre, in denen wir aus den fossilen Brennstoffen aussteigen müssen und aussteigen werden", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner ersten Regierungserklärung im Bundestag. Bis 2045 müsse Deutschland klimaneutral sein. Die Regierung sei dem Pariser Klimaabkommen verpflichtet und werde zu seinem Erfolg beitragen. "Damit liegt vor uns die größte Transformation unserer Industrie und Ökonomie seit mindestens 100 Jahren."

Scholz gab sich zuversichtlich, dass die Umstellung der Energieversorgung auf klimafreundlichere Alternativen gelingt. Dazu müsse Deutschland die Produktion erneuerbaren Stroms bis 2030 mehr als verdoppeln. Bis dahin sollen 80 Prozent des Strombedarf aus erneuerbaren Quellen bestritten werden. Dies sei eine gigantische Aufgabe. "Aber ich bin der festen Überzeugung, das wird uns gelingen", sagte der SPD-Politiker. Der Wohlstand des Landes hänge an der Fähigkeit, die Infrastruktur für das klimaneutrale Zeitalter aufzubauen. Bei der Energieversorgung werde das besonders deutlich, so Scholz.

Scholz verspricht Regierung des Fortschritts

Seine Regierung sei eine des sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Fortschritts, sagte der neue Kanzler, betonte aber vor allem den technischen Fortschritt. Nur mit ihm könne Deutschland klimaneutral werden und mithalten im globalen Wettbewerb. Die neue Bundesregierung werden den Weg der Erneuerung und Transformation auf allen Ebenen konsequent einschlagen, kündigte Scholz an. 

Die "Kraft des Fortschritts" zeige sich gerade in der Pandemie, ergänzte der Regierungschef. Der in Deutschland entwickelte Corona-Impfstoff habe weltweit Millionen von Menschen das Leben gerettet. Das Vakzin der Firma Biontech sei damit "der beste Beweis dafür, dass kluger Fortschritt, kluge Innovation und kluge Modernisierung die Welt besser machen".

Keine roten Linien im Kampf gegen die Pandemie

Mit Blick auf die Corona-Pandemie bekräftigte Scholz das Ziel, bis Jahresende 30 Millionen Dosen als Erst-, Zweit- oder Booster-Impfung zu verabreichen. Seit dem 18. November seien bereits 19 Millionen Dosen verimpft worden. Jetzt gelte es, in den verbleibenden Tagen den Rest zu schaffen. Nur so bekomme Deutschland es hin, die Corona-Welle hinter sich zu lassen, sagte Scholz. 

"Die Bundesregierung wird nicht einen einzigen Augenblick ruhen, und wir werden jeden nur möglichen Hebel bewegen, bis wir alle unser früheres Leben und alle unsere Freiheiten zurückbekommen haben", so der Kanzler weiter. Dafür werde sein Kabinett alle notwendigen Maßnahmen ergreifen. "Wir werden alles tun, was notwendig, ist, es gibt da für die Bundesregierung keine roten Linien."

Widerstand gegen extremistische Minderheit

Der SPD-Politiker machte zugleich den Bürgern Mut, dass die Corona-Krise überwunden werden kann: "Ja, es wird wieder besser, ja, wir werden den Kampf gegen diese Pandemie mit der größten Entschlossenheit führen, und ja, wir werden diesen Kampf gewinnen." Es sei allerdings keine Zeit zu verlieren. Scholz räumte ein, dass es in diesen "dunklen Tagen" manchmal schwerfalle, nicht den Mut zu verlieren. Niemandem gehe es in diesen Zeiten richtig gut, auch ihm selbst nicht. "Ich weiß, dass Abstandhalten und Glücklichsein schlecht zusammenpassen."

Mit Corona-Leugnern - wie hier bei einer Demonstration in München - geht Kanzler Scholz hart ins Gericht
Mit Corona-Leugnern - wie hier bei einer Demonstration in München - geht Kanzler Scholz hart ins Gericht Bild: Sachelle Babbar/ZUMA Press/picture alliance

In diesem Zusammenhang übte der Bundeskanzler scharfe Kritik an den Corona-Leugnern. Es gebe in Deutschland eine kleine extremistische und ungehemmte Minderheit, die sich in der Pandemie nicht nur von Wissenschaft, Rationalität und Vernunft abgewandt hätte, sondern auch von Staat, Gesellschaft, Demokratie und Gemeinwesen. Scholz kündigte an, sich Radikalisierungstendenzen in der Gesellschaft entschlossen entgegenzustellen. "Wir werden es uns nicht gefallen lassen, dass eine winzige Minderheit von enthemmten Extremisten versucht, unserer gesamten Gesellschaft ihren Willen aufzuzwingen", machte er deutlich. Dieser "winzigen Minderheit" werde man mit allen Mitteln des demokratischen Rechtsstaats entgegentreten. Scholz: "Unsere Demokratie ist eine wehrhafte Demokratie."

Zugleich warb Scholz für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt. "Eine der großen Stärken unseres Landes und auch eine der wichtigsten Voraussetzungen unseres wirtschaftlichen Erfolgs war immer unser gesellschaftlicher Zusammenhalt", sagte er.  Diese gesellschaftliche Solidarität sei aber gefährdet. Deshalb müsse wieder "Respekt, Anerkennung und Achtung vor dem anderen" gelten.

Gegen Rassismus und Sexismus, für vernunftgeleitete Migration

Den Menschen mit ausländischen Wurzeln in Deutschland versprach Scholz mehr gesellschaftliche Teilhabe. "Wir sprechen hier von fast einem Viertel unserer Bevölkerung." Die Bundesrepublik sei ein Einwanderungsland, aber sie müsse ein noch besseres Integrationsland werden. Die Probleme dieser Zeit seien nur zu bewältigen, wenn "uns unterwegs nicht der gesellschaftliche Zusammenhalt abhandenkommt", betonte der Kanzler. Zu jeder Politik des Respekts gehöre, dass sie sich konsequent gegen Rassismus, Sexismus und jede andere Diskriminierung richte.

Zu dieser Politik zählt für Scholz auch, den Weg zur deutschen Staatsangehörigkeit zu erleichtern. Mehrfach-Staatsbürgerschaften sollten möglich werden, ebenso Einbürgerungen nach fünf Jahren. "Wir werden eine vernunftgeleitete Migrationspolitik betreiben, die legale Migration befördert und irreguläre Migration reduziert." Dies beinhalte zügige Asylverfahren und gute Perspektiven für Menschen, die hier gut integriert seien, aber auch konsequente Rückführungen insbesondere von Straftätern und Gefährdern in die Herkunftsländer, erklärte der Sozialdemokrat.

Unionsfraktionschef kritisiert Regierungserklärung

Oppositionsführer Ralph Brinkhaus kritisierte Inhalt und Stil der Regierungserklärung. "Ich erwarte von einem Bundeskanzler in der ersten Regierungserklärung nicht, dass er kleinteilig den Koalitionsvertrag referiert, sondern ich erwarte, dass er die großen Linien zeigt", sagte der Fraktionsvorsitzende von CDU/CSU. "Fortschritt und Zukunft braucht Begeisterung. Diese Begeisterung habe ich in den letzten 90 Minuten nicht gesehen", so Brinkhaus.

Der CDU-Politiker bot die Unterstützung seiner Fraktion im Kampf gegen die Pandemie an - auch wenn es um unpopuläre Maßnahmen gehe. Brinkhaus betonte aber auch, dass Respekt und Kooperationsbereitschaft "keine Einbahnstraße" seien. "Eine Demokratie braucht eine starke Opposition auf Augenhöhe", sagte er.  Brinkhaus bekräftigte zudem, dass es "keine Koalition in der Opposition" geben werde. "Aus unterschiedlichen Gründen werden wir nicht mit den Linken und der AfD zusammenarbeiten", kündigte er an. 

sti/ww (afp, dpa, rtr, epd)