Schnapsbrennen auf der Alm
Er gilt als wohltuend für Leib und Magen: der Enzianschnaps. Die seltene Alpenpflanze, der Enzian, steht eigentlich unter Naturschutz. Eine Brennerei in Bayern hat jedoch ein altes Recht, ihn zu Schnaps zu verarbeiten.
In zahlreichen deutschen Heimatfilmen über die Alpen spielen sie eine Rolle: Edelweiß und Enzian. Verliebte Männer begeben sich in Gefahr, um der Liebsten eine der seltenen Alpenpflanzen aus einer Gebirgsspalte zu pflücken, obwohl das verboten ist. Zum Schnapsbrennen verwendet werden aber nicht dieser Enzian und seine Blüten, sondern die Wurzeln. Diese zu bekommen, ist mit langen Wegen verbunden, wie Hubert Ilsanker sagt, der das fast sein ganzes Leben gemacht hat:
„Da musst Du drei Stund’ gehen. Erst a halbe Stunde mit ’m Schiff fahren und dann drei Stund’ geh’n, und zu dieser Hütte da führt nit a mal a Weg. Da geht nur a Trampelpfad hin, also da host dann ganz schön Deine Ruhe.“
Hubert Ilsanker, den alle nur „Hubsi“ nennen, weiß, wovon er spricht. Alle fünf bis sieben Jahre verbrachte er ganz allein die Sommermonate am Funtensee im Nationalpark bei Berchtesgaden – bis 2017. Dann hörte er auf und widmete sich seinem erlernten Beruf eines Zimmermanns. Der Bergsee liegt auf über 1600 Meter Höhe. Er gilt als der kälteste Ort Deutschlands. Um bis dahin zu kommen, musste Hubert Ilsanker zunächst den Königsee mit dem Schiff überqueren und dann einen schmalen, engen Weg, einen Trampelpfad, entlang gehen. Da er in der Regel drei Monate auf dem Berg blieb, in einer Hütte, einem kleinen hölzernen Haus in den Bergen, konnte er nicht alles, was notwendig war, nach oben tragen. So wurden sein Gepäck und die Verpflegung mit dem Hubschrauber gebracht. Schon sehr früh entdeckte Hubert Ilsanker seine Liebe zum Sammeln von Enzianwurzeln:
„Ich hab als Schüler Enzianwurzeln ausgegraben als Ferienarbeit, und hab damals einfach nur so g’sagt: ‚Das mach’ mal ich‘. Und das is’ tatsächlich dann so gekommen. Ich hab dann nur noch a Zimmermannslehre und Wehrdienst g’macht. Und nach der ganzen Geschichte bin i dann tatsächlich bei der Enzianbrennerei gelandet.“
Hubert Ilsanker wusste schon als Schüler, dass er mal beruflich in einer Enzianbrennerei arbeiten wollte. Aber davor wollte er noch eine Lehre machen und musste seinen Wehrdienst bei der Bundeswehr ableisten. Erst dann, nach dieser ganzen Geschichte, hat er angefangen, in seinem Traumberuf zu arbeiten, ist dort gelandet. Hubert Ilsanker grub die Enzian-Wurzeln aus, obwohl die Pflanze eigentlich unter Naturschutz steht und die Ausgrabungsgebiete zum Nationalpark zählen, wo strenge Auflagen gelten. Als Enzianbrenner setzte er jedoch eine lange Tradition fort, sagt Martin Beierl, Betriebsleiter der Firma Grassl:
„Die Firma Grassl hat damals im Jahre 1602 von den Berchtesgadener Fürstpröpsten die Rechte übertragen bekommen, Enzianwurzeln zu graben und die vor Ort, das heißt auf’m Berg, wo die Firma Grassl, beziehungsweise die Familie Grassl einige Hütten hatte, den Enzian auch zu verarbeiten. Sie hatten zusätzlich noch das Recht, dort oben Holz zu hauen, um die Brennblase auch betreiben zu können und Wasser zu entnehmen.“
Der Firma Grassl wurden die Grabung, der Holzeinschlag und die Wasserentnahme am Bergsee, auf’m Berg, in dem Nationalpark erlaubt, weil es ein altes Recht der Fürstpröpste gibt. Diese übten vom 12. bis Anfang des 19. Jahrhunderts kirchliche und weltliche Macht unter anderem im Berchtesgadener Land aus. Inzwischen gehört die jahrhundertealte Tradition der Enzianbrennerei zum Kulturgut der Region im Südosten Bayerns an der Grenze zu Österreich. Damit die Pflanze nicht ausstirbt und nachwachsen kann, wird der jeweilige Ausgrabungsplatz für einige Jahre in Ruhe gelassen. In der Zwischenzeit suchte Hubert Ilsanker an anderen Orten nach den langen Teilen an den verblühten Pflanzen, die sich nur schwer kultivieren, züchten, lassen. Nur eine bestimmte Enziansorte will im Tal, lässt sich im Tal anbauen, sagt er:
„Den [gelben Enzian] kann man kultivieren. Hab’n wir auch gemacht. Das heißt, wir haben im bayerischen Raum verschiedene Vertragsbauern, die den Enzian für uns anpflanzen. Das funktioniert allerdings nur mit dem gelben Enzian. Der pannonische, also der violette Enzian und der punktierte Enzian, da hat’s auch Versuche gegeben. Die wachsen aber tatsächlich nur oberhalb von 1000, 1200 Metern in den Bergen. Der will nicht im Tal.“
Nach dem Sammeln der Wurzeln fängt die Arbeit erst richtig an, erzählt Hubert:
„Die Wurzeln werden zur Hütte gebracht, das heißt auf Kraxen oder eben in großen Säcken. Dann werden die auf der Hütte kleingehackt, mit ’ner speziellen Hacke. Dann werden die eingemaischt, das heißt da kommt Wasser dazu, Quellwasser und Hefe, und dann beginnt ein Gärvorgang. Das heißt der Zucker, der in der Enzianwurzel vorhanden ist, verwandelt sich in Alkohol.“
Der Schnaps wird direkt oben in der Berghütte gebrannt. Für einen Liter Alkohol braucht man 15 Kilo Enzianwurzeln. Diese werden auf einem rucksackähnlichen Gestell, einer Kraxe, zur Hütte transportiert. Sie werden dann zerkleinert, in einen großen runden Behälter, einen Bottich, gegeben und eingemaischt, so dass das Gemisch zu gären beginnt. Als „Maische“ wird ein Brei aus zerdrückten Früchten oder Wurzeln bezeichnet, aus dem man dann alkoholische Getränke machen kann. In der Brennhütte kommt man dann ganz schön ins Schwitzen, sagte Hubert Ilsanker:
„Herin hot’s immer 30 Grad, weil do auch die Gärbottiche herin san und die Enzianmaische braucht 30 Grad, um zu vergären. Und natürlich auch, weil mer do brennen, also dies hoaßt, do wird die Maische abdestilliert und do wird ’n gonzen Tag volle Kanne eingeheizt.“
In der Brennhütte wird den ganzen Tag dafür gesorgt, dass das Feuer unter den Bottichen nicht erlischt. Es wird volle Kanne, sehr kräftig, eingeheizt, viel Holz wird nachgelegt. Denn die Maische braucht eine Bestimmung Temperatur, um zu gären. Der Gärvorgang dauert zwei bis drei Wochen. Danach wird das Gemisch in der Brennblase, einem hohlen Kessel, der zur Destillation benutzt wird, erhitzt oder gebrannt, es wird destilliert. Dadurch konzentriert sich der Alkohol und die typischen Aromen des Enzians werden ganz langsam in den zur Flüssigkeit kondensierten Dampf, das Destillat, überführt. Anschließend wird noch ein zweites Mal gebrannt, ehe das Destillat ins Tal gebracht wird – entweder mit dem Hubschrauber oder einem Geländewagen. Dort werden einem Teil des Brandes noch Kräuter zugesetzt. Der reine Enzian wird bis zur Abfüllung in Flaschen und dem Verkauf eingelagert. Der Schnaps aus der Brennerei vom Funtensee wird sieben Jahre in Holzfässern aus Esche in einem unterirdischen Stollen gekühlt. Der fertige Schnaps enthält 40 Prozent Alkohol und eine Menge gesundheitsfördernder Inhaltsstoffe. Hubert Ilsanker ist ein großer Fan des Schnapses geblieben:
„Ja, man liebt sein Produkt. Das ist ja logisch. Also wenn i a Schnaps trink, dann trink i a Enzian, weil i kenn den ja, wo’n gemocht hot. Und i weiß, was drin is.“
Für Hubert Ilsanker ist logisch, selbstverständlich, den Enzianschnaps zu trinken, denn er weiß, wie das Produkt hergestellt wird und was darin enthalten ist. Das Rezept hat sich seit Jahrhunderten nicht verändert, auch wegen der gesundheitsfördernden Wirkung des Schnapses, natürlich nur wenn man ihn in Maßen trinkt. Denn auch die festen Bestandteile, die nach dem Destillieren übrig bleiben, die Schlempe, werden noch genutzt, erklärt Martin Beierl:
„Die sogenannte Schlempe wird teilweise weiter verarbeitet – also wir haben ein Unternehmen aus der Pharmaindustrie –, weil der Enzian den stärksten natürlichen Bitterstoff hat. Das ist das Amaro-Gentin. Das ist in millionenfacher Verdünnung immer noch bitter.“
Enzian wird hauptsächlich als Magenmittel und zur besseren Verdauung nach einer Mahlzeit getrunken. „Radix Gentianae“, die Enzianwurzel, wird auch in Kopfschmerztabletten verarbeitet. Kühe mögen das Gewächs übrigens gar nicht. Sie machen einen großen Bogen um Pflanze und Wurzel. Denn der Bitterstoff riecht sehr stark und schmeckt überhaupt nicht.