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Schmutzige Tricks im Wahlkampf

29. August 2004

Sympathisanten von US-Präsident Bush werfen dessen Herausforderer John Kerry Lügen über seine Vietnam-Vergangenheit vor. Steckt der Präsident hinter den Anschuldigungen? Eine Einschätzung des Amerikanisten Thomas Greven.

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Präsident Bush sagt, dass sein Herausforderer John Kerry stolz auf seinen Militärdienst in Vietnam sein könne. In den amerikanischen Medien wird diskutiert, ob dies eine Distanzierung von den Angriffen der Swift Boat Veterans for Truth darstellt, die Kerry vorwerfen, seine Leistungen und Verwundungen übertrieben zu haben, um Orden einzuheimsen. Durch diese Attacke läuft Kerry, dessen Berater die öffentliche Meinung richtig gelesen und beim Parteitag Außen- und Sicherheitspolitik und Kerrys Militärdienst hervorgehoben haben, Gefahr, auf der nach 9/11 wichtigen „Patriotismus-Flanke“ übertrumpft zu werden.

Swift Boat Veterans for Truth ist eine so genannte Sec. 527 Organisation, die den Republikanern nahe steht. Sie darf „soft money“ einwerben, Gelder, die nicht nach dem Wahlfinanzierungsgesetz begrenzt sind und gemeldet werden müssen. Allerdings dürfen ihre Aktionen nicht mit dem Bush-Wahlkampfteam koordiniert werden und sie dürfen auch nicht explizit zu dessen Wahl aufrufen.

Sie haben viele Spendengelder gesammelt und Kerry daher mit großem Publicity-Aufwand angreifen können – ansonsten wäre es wohl bei einer Pressemeldung geblieben, denn die Vorwürfe sind nicht neu und wurden schon in den 1970er Jahren vor allem deswegen erhoben, weil Kerry sich nach seinem Einsatz zu einem scharfen Kritiker des Vietnamkriegs entwickelte. Seine ambivalente Rolle und Haltung ist etwas, was viele Amerikaner mit einem Hang zu Schwarz-Weiß-Denken nur schwer aushalten können.

Nun ist Benjamin Ginsberg, ein Berater Bushs, zurückgetreten, weil er auch die Swift Boat Veterans for Truth als Anwalt beraten hat. Sind die Aktivitäten zwischen Bush-Wahlkampfteam und Republikaner-nahen Sec. 527 Organisationen also doch koordiniert? Selbstverständlich sind sie das, genau wie die Aktionen dieser Organisationen auf der Gegenseite. Nachzuweisen ist dies im Regelfall aber nicht.

Anders als der Vater

Es ist immer wieder darauf hingewiesen worden, wie wenig Bush seinem Vater ähnelt, politisch nacheifert, oder auch nur seinen Rat annimmt. War der Ältere ein elitärer Ostküsten-Republikaner, ist der Jüngere ein scheinbar bodenständiger Texaner (scheinbar, weil er selbstverständlich von den Elitennetzwerken seines Vater in hohem Maße profitiert). War der Vater ein umsichtiger, besonnener Außenpolitiker, ist der Sohn ein aus der Hüfte schießender Macho, der aus dem Bauch heraus entscheidet. War der erste Präsident Bush den christlichen Rechten nicht geheuer, ist der zweite deren Favorit. George W. Bush hat sich stets stärker an Ronald Reagan orientiert als an seinem Vater. Doch im Wahlkampf 2004 zeigt sich nun, dass sie jedenfalls eine Sache gemeinsam haben: die Bereitschaft nämlich, von Hetzkampagnen zu profitieren, wenn es um das höchste politische Amt geht.

Im Wahlkampf 1988 lag Vizepräsident George H. W. Bush hinter seinem Demokratischen Kontrahenten Mike Dukakis, Gouverneur von Massachusetts, deutlich zurück. Wahlwerbespots, die nicht direkt vom Bush-Wahlkampfteam stammten, griffen den Fall von Willie Horton auf, einem schwarzen Gefängnisinsassen in Massachusetts, der bei einem genehmigten Ausgang eine weiße Frau vergewaltigt und ermordet hatte. Dukakis, der in den Spots verantwortlich gemacht wurde, erholte sich von diesem Rückgriff auf eines der klassischen Muster weißer Ängste nicht mehr und verlor die Wahl. Auch in diesem Fall wurde vermutet, dass die Wahlwerbespots koordiniert waren. Auch in diesem Fall gab es eine laue Distanzierung des Kandidaten Bush. Aber auch in diesem Fall gab es die Bereitschaft, von der Hetzkampagne zu profitieren.

Gefahren für Kerry

Obwohl der Außenpolitik im Wahljahr 2004 in Umfragen ein hoher Wichtigkeitsgrad zugesprochen wird (auch wenn in den Medien meist übersehen wurde, dass für über 70 Prozent der Befragten das vorrangige Ziel der Außenpolitik sein soll, amerikanische Arbeitsplätze zu schützen), wird die Swift-Boat-Episode den Wahlkampf vermutlich nicht so stark beeinflussen wie der Fall Horton 1988 – kaum etwas hat heute den Stellenwert in der amerikanischen Politik, den der Faktor „Rasse“ lange hatte. Doch es gibt genug andere Themen, welche die Wählerkoalition Kerrys weiter spalten können, z. B. die Frage der gleichgeschlechtlichen Ehe. Und genug andere bedenkliche Kontinuitäten rücksichtsloser Wahlkampfführung, z. B. die Fortsetzung der systematischen Unterdrückung schwarzer Wähler in Florida und anderen Staaten.

Manche Beobachter wundern sich, dass der Vietnamkrieg immer noch nicht vorbei zu sein scheint und bei der Wahl 2004 überhaupt eine solche Rolle spielen kann. Tatsächlich hat es die amerikanische Gesellschaft über manche unmittelbar Betroffene und die Militärstrategen hinaus kaum geschafft, aus dieser Erfahrung mit einem ungerechten Krieg etwas gelernt zu haben. Immer noch wird selbstbewusst unterstellt, dass die Werte und Interessen Amerikas auch die der Welt sind oder jedenfalls sein müssten. Besonders pikant ist, dass mit Präsident Bush nun ein ausgewiesener „Chicken Hawk“, also jemand der entschlossen andere Menschen in den Krieg schickt, sich selbst aber entzieht, Oberbefehlshaber ist und meint, dem ehemaligen Soldaten Kerry seine militärischen Leistungen bestätigen zu müssen. Dass ein tapferer Soldat zum Kriegsgegner werden und dabei Patriot bleiben kann, versteht Bush aber ganz sicher nicht. Ob Kerry es selbst wirklich versteht?

Dr. Thomas Greven ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin. Er arbeitet zurzeit an einem Buch über die Republikanische Partei in den USA.