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Glaube

Schläft ein Lied in allen Dingen

7. Mai 2020

In Zeiten von Corona fällt das gemeinsame Singen schwer. Aber Musik verbindet trotzdem – nicht nur uns Menschen, sondern die gesamte Schöpfung, wie Angelika Obert entdeckt.

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Bildergalerie Quarantänekultur von Dächern, Balkonen und Fenstern
Bild: Reuters/K. Munsch

So richtig geklappt hat es nicht

Gemeinsam singen am Fenster, auf den Balkonen, das machen sie in Italien, hieß es, das haben sie sogar in China während des Shutdowns gemacht. Singend lässt sich doch  Verbundenheit erleben in den Wochen, in denen wir uns voneinander fernhalten sollen. Darum gab es auch in der evangelischen Kirche den Vorschlag, abends um 19 Uhr auf den Balkon zu gehen und das berühmte Mondlied von Matthias Claudius anzustimmen. Meine alte Mutter war ganz begeistert von der Idee. Aber so richtig geklappt hat es nicht mal in ihrem christlichen Seniorenheim. Viel zu weit entfernt am Zaun die Posaunen, die den Gesang begleiten sollten. Viel zu vereinzelt die zarten Stimmen auf den Balkonen. Und niemand gab den Einsatz. Das  Balkonsingen ist wohl mehr eine Sache für Profis. Uns Ungeschulten geht es gerade beim Singen besser, wenn wir uns einfinden können in andere Stimmen nah am Ohr.

 

Musik verbindet uns auch als Hörende

Trotzdem war‘s ganz oft und immer wieder die Musik, die uns getröstet und verbunden hat in den Tagen der social distance. Wenn sie nicht vom Balkon kam, so doch auf‘s Smartphone: ein wunderbar zusammengeschnittenes Video vom Bachfest in Malaysia, der irische Segen von den Bläsern im Home Office aus Sachsen-Anhalt, die Arie der Königin der Nacht, neu getextet, Max Raabes „Heut mach ich gar nichts“ - all solche Grüße machten die Runde als Zeichen der Gemeinschaft trotz allem.

Das ist schon ein besonderes Geheimnis der Musik: Sie verbindet uns auch als Hörende. Selbst das ziemlich reduzierte Hörerlebenis auf dem Smartphone lässt etwas davon ahnen, wie die Klänge etwas in uns berühren und in Schwingung versetzen, die Seele öffnen, eine Verbindung schaffen, die jenseits von Denken und Sagen liegt.

 

Der Klang der Schöpfung

Eine Himmelsmacht ist die Musik, so wurde oft gesagt, und immer wieder haben Menschen darüber nachgedacht, ob sie uns nicht auch mit dem Ewigen verbindet, das jenseits von Zeit und Raum ist, mit Gott. Die altindische Weisheit sagt: Die Welt ist Klang und am Urbeginn waren alle Wesen Schwingungen in diesem großen Klang. Die biblische Schöpfungsgeschichte beginnt damit, dass Gott seine Stimme erhebt und spricht: „Es werde…“ Was mag das für ein Klang gewesen sein, der Himmel und Erde werden ließ? Und darf ich mir da nicht vorstellen, dass in allem, was lebt, etwas von Gottes Stimme nachhallt? Gott ruft ins Dasein, heißt es, und wie in der Musik gibt es da kein Wenn und Aber. Gottes Schöpfungston sagt Ja zum Lebendigen in all seiner Vielfalt. 

 

Einstimmen in die Daseinfreude

Gerade im Mai lässt sich das wohl erleben, wie in der ganzen Natur ein Jubelton des Daseins schwingt, ein Lied gewissermaßen in allen Dingen. Und so geht auch gerade an einem Sonntag im Mai immer die Einladung an die Menschen in den Kirchen: Kantate! Singt! Da ist nun nicht das Singen gegen die Angst gemeint, sondern das Einstimmen in die Daseinsfreude. Nicht nur miteinander sollen wir uns verbinden, sondern mit der ganzen Schöpfung, uns verbunden wissen mit dem Schöpfer, der auch zu unserm Dasein sein großes Ja sagt.

Singt! Wie schön, wenn es wieder möglich ist, im Chor oder in der Kirchenbank

einzustimmen in die alten Loblieder, zu erleben, wie die eigene Stimme mitschwingt im gemeinsamen Gesang und von der Nähe der andern auch getragen wird.

 

Hauptsache: Mitschwingen

Aber ich glaube, es darf genauso auch ein innerliches Mitschwingen sein, das sich ergeben mag, wenn wir nur mit offenen Ohren und Augen in den Frühlingstag gehen. So hat es Matthias Claudius in einem andern seiner schönen Gedichte ausgedrückt, wo er - vielleicht nach einem Spaziergang im Mai - die Worte fand: „Ich danke Gott und freue mich wie‘s Kind zur Weihnachtsgabe, dass ich bin, bin – und dass ich dich, schön menschlich Antlitz habe, dass ich die Sonne, Berg und Meer und Laub und Gras kann sehen und abends unterm Sternenheer und lieben Monde gehen...“

Von Herzen ja sagen zum Leben – das meint: Kantate.  

Angelika Obert