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Politik

Schließung von Incirlik: "Die Drohung ist schwerwiegend"

Daniel Derya Bellut
16. Dezember 2019

Das Verhältnis zwischen Ankara und Washington war bereits belastet. Nun droht Erdogan damit, zwei US-Stützpunkte zu schließen. Es wäre verlustreich für beide Seiten, sagt Sicherheitsexperte Ulrich Kühn im DW-Interview.

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Türkei US Airforce F-15 Incirlik Air Base
Bild: picture-alliance/AP Photo

Mit dem Kauf des russischen Raketenabwehrsystem S-400 und durch die Militäroffensive in Nordsyrien stellte Ankara die bilateralen Beziehungen zu den USA auf die Probe. Mit einer Resolution verärgerte wiederum das US-Repräsentantenhaus die türkische Regierung - mit großer Mehrheit stimmte es dafür, das Massaker an den Armeniern als Völkermord einzustufen.

Nun bahnt sich die nächste Eskalationsstufe an: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan drohte den Amerikanern damit, "wenn erforderlich" eine Luftwaffenbasis in Incirlik und eine Radarstation in Kürecik zu schließen, falls die von manchen US-Senatoren geforderten Sanktionen in Kraft treten würden. Ulrich Kühn vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg bewertet die Situation.

DW: Der türkische Staatspräsident droht damit, zwei US-Stützpunkte auf türkischem Boden zu schließen. Wie bedrohlich wäre dieser Schritt für die amerikanischen Streitkräften?  

Ulrich Kühn: Die Drohung ist schwerwiegend, weil die Amerikaner den Stützpunkt in der Vergangenheit intensiv genutzt haben - auch die Radarstation in Kürecik ist für die Raketenabwehr der NATO äußerst relevant. Kürecik spielt eine große Rolle in dem Frühwarnprogramm der NATO.

Deutschland Ulrich Kühn Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik Uni Hamburg
Es handelt sich um ein innenpolitisches Manöver - die gegenseitige Abhängigkeit ist zu hoch, meint Experte Ulrich KühnBild: OSCE/Micky Kröll

Ich bin mir aber nicht so sicher, ob diese Drohung überhaupt so ernst zu nehmen ist. Es erinnert mich viel eher an ein "Game of Chicken" zwischen Washington und Ankara - wer zuerst ausweicht, beweist seine Angst und hat somit das Spiel verloren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Erdogan das durchziehen wird. Ankara würde seine NATO-Mitgliedschaft aufs Spiel setzen. Genauso würde eine Eskalation auch der NATO schaden; es gibt eine enorme gegenseitige Abhängigkeit. Daher wäre eine komplette Eskalation unsinnig. Diese Drohung scheint mir eher ein innenpolitisches Manöver zu sein, denn Erdogan steht momentan zuhause unter Druck. Er möchte vor den Amerikanern die Muskeln spielen lassen, weil das bei den Wählern gut ankommt.

Es heißt, dass sich auf dem Militärstützpunkt Incirlik auch nukleare Waffen befinden – kann man so eine Basis einfach so schließen?

Es befinden sich dort Bomben vom Typ B-61 - eine frei fallende Fliegerbombe, die unterhalb von Kampffliegern angebracht werden kann.  Es handelt sich um eine nukleare Waffe, die der Abschreckungspolitik der NATO dient. Die Nuklearwaffen sind unterirdisch in Tresoren aufbewahrt – man würde sie im Krisenfall scharf stellen. Also: es ist kein Gerücht, sondern es ist ziemlich sicher, dass es nukleare Waffen dort gibt. Nur gibt es keine offizielle Bestätigung der US-Amerikaner.

Ist ein Abzug von einer Militärbasis mit Atom-Sprengköpfen wirklich realistisch? Das müsste doch mit einem großen logistischen Aufwand verbunden sein.

Dennoch gibt es in den USA ernst zu nehmende Stimmen außerhalb der Regierung,  die für einen Abzug plädieren, da die Türkei kein sicherer Partner mehr sei. Vor allem aus dem Kreis der Demokraten gibt es solche Meinungen. Doch von der Trump-Regierung ist in diese Richtung recht wenig zu hören.

Sollte ein US-Abzug stattfinden, wäre zumindest nicht zu erwarten, dass die türkischen Streitkräfte die Nuklearwaffen an sich reißen. Schließlich werden die Waffen von US-Soldaten bewacht. Wenn man nicht im Besitz der Nukear-Codes ist, könnte man damit sowieso nicht viel anfangen. Um die Codes zu knacken, würde man mindestens ein halbes Jahr benötigen.

Die Amerikaner müssten sich nach einem Abzug einen neuen Stützpunkt suchen. Laut eines Radars, der Truppenbewegungen registriert, sollen sich US-Militärtransportflugzeuge von der US-Luftwaffenbasis weg bewegt haben. Ob das eine Reaktion auf die mögliche Schließung oder Zufall ist, weiß man nicht. Das ist bisher reine Spekulation.

Seit letztem Jahr haben die Spannungen zwischen Ankara und Washington stetig zugenommen. Weil Ankara ein russisches Raketenabwehrsystem kaufte und wegen der Militäroffensive in Nordsyrien standen immer wieder Sanktionen im Raum – sie konnten aber durch diplomatisches Geschick abgewendet werden. Würde Erdogan mit der Schließung der US-Stützpunkte nun den Bogen endgültig überspannen? Hagelt es jetzt Wirtschaftssanktionen oder droht ein endgültiges Auslieferungsstopp des hochmodernen Tarnkappen-Jets F-35?

Ob es wirklich so weit kommt? Da bin ich eher skeptisch. Beide Seiten haben viel zu verlieren. Bei einem endgültigen Ausschluss aus dem F-35-Programm müsste die Türkei nach neuen Lieferanten suchen und das würde das Zerwürfnis mit der NATO weiter verschlimmern. Aber auch für die USA gibt es ein knallhartes ökonomisches Interesse - der militärisch-industrielle Komplex will die Dinger unbedingt verkaufen. 

Jet: USAF Lockheed Martin F-35 Lightning II
Die Türkei benötigt den "Ferrari unter den Kampfflugzeugen" F-35 unbedingt. Die Auslieferung wurde jedoch von Washington eingestellt. Bild: picture-alliance/Captital Pictures

Geopolitisch wäre ein vollkommenes Zerwürfnis mit Ankara vor allem für die NATO verlustreich. Die Türkei ist ein Bollwerk - ein enorm wichtiger Verbündeter im Hinblick auf den Südkaukasus und Syrien. Zudem würde die türkische Regierung dann ein schlagkräftiges Bündnis mit Russland schmieden; das wollen die Europäer natürlich unbedingt vermeiden.

Eigentlich sollte die Türkei Hunderte F-35-Jets bekommen, doch dann wurde Ankara aus dem Programm ausgeschlossen. Die Führung der türkischen Regierung hat mehrfach betont, dass sie unbedingt wieder in das Programm aufgenommen werden möchte. Warum ist das für Ankara so wichtig?

Man kann das in Deutschland vielleicht nicht ganz nachvollziehen, weil wir keine Konflikte direkt an der Staatsgrenze haben. Für die Türkei sieht das anders aus: Es gibt militärische Konflikte in Nordsyrien, im Irak und im Kaukasus. Natürlich hat die türkische Regierung ein enormes Sicherheitsbedürfnis und Interesse daran, das Land ordentlich zu verteidigen. Das Tarnkappen-Kampfflugzeug F-35 ist essentiell für die Verteidigung. Es ist der Ferrari unter den Kampffliegern - es kann sehr niedrig fliegen und das gegnerische Radar verwirren. Das Flugzeug ist enorm teuer, aber hochmodern. Die meisten NATO-Verbündeten kaufen dieses Flugzeug. Dass die Türkei nicht aus dem Programm ausgeschlossen werden möchte, ist also vollkommen nachvollziehbar.

Das Gespräch führte Daniel Derya Bellut.