Plattdeutsch an Grundschulen – in Ostfriesland läuft seit einem Jahr ein zweisprachiges Schulprojekt. Das Ziel ist nicht nur, die Sprache zu erhalten. Auch die Schüler sollen von dem Projekt profitieren.
Mit einem freundlichen „Moin“ begrüßt die Klasse 1a ihre Lehrerin. Grete Saathoff kramt noch einige Materialien für den Unterricht zusammen. Dann setzen sich alle auf die kleinen Sitzbänke, die hinten im Raum zu einem Oval zusammengestellt sind. Saathoff hat eine Schale mit bunten Plastikeiern auf dem Schoß, jedes Kind soll sich eines herausnehmen und dabei sagen, welche Farbe es hat – natürlich auf Plattdeutsch. Denn hier im Immersionsunterricht der Grundschule Simonswolde nahe der deutschen Nordseeküste bei Aurich wird Plattdeutsch gesprochen.
Eintauchen in die Sprache
Selbst wenn ein Kind sie nicht gleich versteht, bleibt Saathoff konsequent. „Dann versuche ich, zu zeigen was ich meine, es anders zu erklären, oder ein Mitschüler übersetzt“, sagt Saathoff. Sie selbst rede kein Wort Hochdeutsch im Unterricht. So tauchen die Kinder komplett in die fremde Sprache ein. Denn das gehört zum Prinzip des Immersionsunterrichtes. Immersion bedeutet, dass die Schüler eine neue Sprache im Unterricht ständig um sich herum haben. So lernen sie, ähnlich wie Kleinkinder die Sprache ihrer Eltern, ganz von allein. Dazu muss ihre Lehrerin das Gesagte veranschaulichen. Im ersten Schuljahr sei das vor allem in Mathematik recht einfach, erklärt Saathoff. Da könne man viel über Bilder zeigen oder mit Gegenständen arbeiten.
Bildungsvorteil für bilinguale Schüler
Auch wenn der Unterrichtsstoff dadurch zunächst etwas langsamer durchgenommen wird, haben diese Kinder am Ende das gleiche Fachwissen wie Schüler der muttersprachlichen Parallelklasse. „Studien haben sogar gezeigt, dass zweisprachige Schüler oft einen deutlichen Bildungsvorteil haben“, sagt Herma Knabe von dem Regionalverband Ostfriesische Landschaft, die das Projekt „Frühe Mehrsprachigkeit“ koordiniert. Die Kinder seien im Unterricht besonders gefordert. Sie müssten sich sehr konzentrieren und aufpassen, um alles mitzubekommen. „Das fördert die Konzentration eines Kindes sehr und auch die Gedächtnisleistung“, so Knabe.
Plattdeutsch ist eine lebendige Minderheitensprache
An dem Bildungsprojekt nehmen insgesamt neun Schulen in Ostfriesland teil. Die meisten der Lehrer sind Muttersprachler. Denn auch heute noch ist Plattdeutsch in der Küstenregion von den Niederlanden bis zur dänischen und polnischen Grenze sehr lebendig. Viele Bewohner legen großen Wert darauf, dass ihre Sprache kein Dialekt sei. Tatsächlich gehört Plattdeutsch zu den geschützten Minderheitensprachen in Europa. Im Mittelalter war etwa ein Drittel des heutigen Deutschlands plattdeutsches Sprachgebiet.
Trotz guter Sprachkenntnisse wurden die Lehrer für den bilingualen Unterricht zunächst fortgebildet. Mit Kursen, die sich allgemein mit dem Thema der frühen Mehrsprachigkeit befassen, über Didaktik bis hin zu Sprachkursen für die Lehrer. „Viele können zwar gut sprechen, aber vielleicht noch nicht so gut schreiben und dann wird sich in den Kursen aber auch mit der Sprachgeschichte und der Sprachstruktur befasst“, erläutert Knabe.
Lehrer sind Muttersprachler
Die vorhandene Sprachkompetenz der Lehrer ist einer der Gründe, warum man sich bei dem Projekt für Plattdeutsch und nicht für Englisch entschieden hat. Auch Grete Saathoff ist zweisprachig aufgewachsen, und mit ihren eigenen Kindern sprach die 62-Jährige ganz selbstverständlich Plattdeutsch.
Zudem würden die Schüler diese Sprache nicht nur in der Schule erleben. Fast in jeder Familie wird auch zu Hause öfter Platt geredet, vor allem mit den Großeltern. Auch im Alltag könnten die Kinder Plattdeutsch reden, was bei Englisch schwieriger sei. „Stellen Sie sich vor ein Kind geht in die Bäckerei und bestellt auf Englisch, da würde die Verkäuferin ganz schön dumm gucken“, sagt Saathoff.
Pionierarbeit zahlt sich aus
Die Grundschule Simonswolde unterscheidet sich von den anderen Projektschulen. Denn hier gibt es bereits seit vielen Jahren bilingualen Unterricht auf Plattdeutsch. Die Pionierarbeit von Lehrerin Grete Saathoff habe unter anderem auch den Anstoß für das gesamte Bildungsprojekt gegeben, wie Knabe erklärt. Denn diese langjährige Erfahrung habe bereits gezeigt, wie erfolgreich der Immersionsunterricht sein kann.
So hat Grete Saathoff die Schüler der Klasse 3a bereits seit ihrer Einschulung auf Plattdeutsch unterrichtet. Den Kindern bereitet die Sprache mittlerweile wenig Probleme. „Bei Mathe fällt es mir am leichtesten“, sagt der acht Jahre alte Lukas. Und sein Mitschüler Wilke findet, dass Plattdeutsch eine ganz leichte Sprache sei. „Manchmal zähle ich erst auf Deutsch und dann auf Platt weiter“, sagt der Neunjährige.
Fit für Fremdsprachen
Damit Kinder ganz selbstverständlich mit einer fremden Sprache umgehen, muss der Sprachkontakt sehr intensiv sein. In den zweisprachigen Klassen in Simonswolde wird außer im Deutsch- und Englischunterricht ausschließlich Plattdeutsch gesprochen. Laut Experten soll der Unterricht in der jeweiligen Zielsprache mindestens 60 bis 70 Prozent der Unterrichtszeit ausmachen.
Dass es zweisprachigen Kindern laut internationaler Studien auch leichter falle, andere Fremdsprachen zu lernen, kann Grete Saathoff bestätigen. Ab der 3. Klasse bekommen die Kinder an ihrer Grundschule Englischunterricht. Es sei auffällig, dass die bilingualen Schüler in Englisch besser seien als diejenigen aus einsprachigen Klassen. „Sie sind offener im Unterricht und trauen sich beim Sprechen mehr zu“, sagt Saathoff.
So verbindet das Bildungsprojekt zwei scheinbar gegensätzliche Ziele: Es hilft, regionale Tradition und Kultur zu pflegen und zugleich die kommende Generation für globale Anforderungen fit zu machen.
Autorin: Janine Albrecht
Redaktion: Ingo Pickel