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Schlägt nun die Stunde der Populisten?

Kay-Alexander Scholz23. Juni 2012

ESM und Fiskalpaket bestimmen den politischen Streit in Deutschland. Nun will auch eine kleine Partei aus Bayern davon profitieren, indem sie populistische Register zieht. Verbündete sind schon gefunden.

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Hans Olaf Henkel und Hubert Aiwanger von den Freien Wähler (Foto: Steffi Loos/dapd)
Hans Olaf Henkel und Hubert Aiwanger von den Freien WählerBild: dapd

"In den Bundestag muss eine Partei mit gesundem Menschenverstand und das sind die Freien Wähler."

"Der ESM-Vertrag dient in einer Übergangszeit nur dazu, Deutschland noch besser auszupressen und noch mehr Steuergeld zu mobilisieren. Wenn die Schmerzgrenze erreicht ist, dann wird sich dieses Papier in Luft auflösen."

Mit markigen Sprüchen präsentierte sich in dieser Woche im politischen Berlin ein frisch zusammen gefundenes Netzwerk, dass unmittelbar vor der geplanten Verabschiedung des dauerhaften Euro-Rettungsschirms ESM noch einmal kräftig Stimmung dagegen machte. Die Zitate stammen von Hubert Aiwanger. Er ist Bundesvorsitzender der Freien Wähler, die in seinem Heimatland Bayern im Jahr 2008 mit beachtlichen 10,2 Prozent in den Landtag einzogen. Sie bekamen die meisten Stimmen von enttäuschten Wählern der regierenden Christlich Sozialen Union (CSU) auf dem so genannten platten Land. Nun möchte Aiwanger auch bundesweit mitreden. Was wohl typisch für die Bayern, zumindest für die CSU ist, die Schwesterpartei der Christlich-Demokratischen Partei (CDU) mit Sonderstatus in Berlin. Die Freien Wähler treten deshalb, so hieß es vor wenigen Tagen, zur Wahl des Bundestags im September 2013 an.

Doch so einfach ist es in Deutschlands Parteienlandschaft nicht, zu einer landesweiten Kraft aufzusteigen - schon gar nicht für eine bayerische Partei mit starker kommunaler Ausrichtung. Deshalb hat sich Aiwanger Verstärkung gesucht und eine Koalition der Euro-Skeptiker gebildet. Aushängeschild ist der ehemalige Manager, Lobbyist und jetzige Buchautor sowie Kolumnist Hans-Olaf Henkel. In vornehmen norddeutschen Dialekt prophezeite Henkel, Europa drohe durch eine falsche Euro-Politik unter die Räder zu kommen. Falsch sei es, für die Schulden anderer Staaten aufzukommen. Der ESM diene der Errichtung eines europäischen Zentralstaats auf Kosten des deutschen Steuerzahlers.

Gegen das Merkel-Establishment

Wie aus dem Lehrbuch abgeschrieben redeten Aiwanger und Henkel vor der Hauptstadtpresse in typisch populistischer Manier - und das obwohl Henkel am Anfang Populismus ausschloss. Sie dramatisierten, sprachen vom "gesunden Menschenverstand" und schimpften über die politische Elite, die den Bürgern und dem Land Schaden zufüge. Zu Wort kamen auch drei wenig bürgerliche Vertreter des deutschen Adels und ein Enkel des ehemaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer, die alle ins selbe Horn bliesen. Als Alternative zur Euro-Rettungspolitik der deutschen Bundesregierung skizzierten sie einen marktradikalen Weg. Schuldenstaaten sollte nicht mit Sanktionen, sondern mit Rausschmiss aus dem Euro-Raum gedroht werden. Der ESM solle nicht Länder retten, sondern das Finanzsystem. Dabei zitierten sie Umfragen, wonach die Mehrheit der Deutschen gegen die derzeitige Euro-Rettungspolitik sei.

Doch die Meinungsforscher zeichnen ein anderes Bild. "Die Mehrheit der Deutschen ist mit Kanzlerin Angela Merkel und ihrer Euro-Management zufrieden", sagt Peter Matuschek vom Meinungsforschungsinstitut Forsa. Sein Kollege Richard Hilmer von "Infratest dimap" bestätigt, dass die "Deutschen im Euro-Raum drin bleiben wollen" und sich "bei Merkel und Schäuble in guten Händen fühlen, gerade weil diese einen zurückhaltenden Kurs bei Eurobonds, also der Vergemeinschaftung von Schulden, fahren". Die Stimmungslage könne sich allerdings ändern, sollte sich die Eurokrise zuspitzen, geben die Meinungsforscher zu Bedenken.

Potential für Rechtspopulisten?

Auch wenn ihr Anti-ESM-Kurs wenig Erfolg verspricht, wäre für Henkel, Aiwanger und Co. noch eine andere Machtoption denkbar. Denn in fast allen Ländern Europas gibt es rechtspopulistische Parteien, teils auch in den Länderparlamenten vertreten. Nur in Deutschland haben solche Strömungen bisher bundesweit keinen Erfolg. Henkels Name fällt bereits im Zusammenhang mit einer möglichen deutschen (Anti-Merkel-)Antwort auf die Tea-Party-Bewegung in den USA. Mitdiskutantin Beatrix von Storch könnte hierzu einiges beitragen. Sie gilt als Verfechterin ultrakonservativer Familienwerte, kämpfte für die Rückgabe von Ländereien in Ost-Deutschland an Großgrundbesitzer und fährt derzeit eine massive Petitionskampagne zur Beeinflussung von Bundestagsabgeordneten.

In Deutschland sei es schwierig, sich als rechtspopulistische Kraft zu definieren und sich dabei - geschichtlich geboten - von rechtsradikalen Parteien abzugrenzen, sagt Peter Matuschek. Während in vielen anderen Ländern rechts von den bürgerlichen Parteien immer noch ein wenig Platz sei. Außerdem fehle eine beliebte Kristallisationsperson - Hubert Aiwanger sei nun einmal ein bayerischer Regionalpolitiker und Hans-Olaf Henkel keine Identifikationsfigur.

Die Piraten machen Konkurrenz

Richard Hilmer von "Infratest dimap" gibt zu Bedenken, dass die Mehrheit der bundesweit 3000 Mitglieder der Freien Wähler nicht sehr rechtslastig, sondern eher liberal eingestellt sei. Doch in diesem politischen Segment gebe es bundesweit einige Mitbewerber, vor allem die frisch wirkende Piratenpartei, gegen die Aiwangers Truppe altbacken wirke. Außerdem mangele es den Freine Wählern an politischem Profil in wichtigen Fragen der Arbeits- und Sozialpolitik, was bei einer bundesweiten Kampagne problematisch sei.

Nun, auch der Piratenpartei fehlt in vielen Punkten ein Profil, erfolgreich sind sie trotzdem. Das habe einen anderen Grund, erklärt Meinungsforscher Matuschek. "Die Piraten dienen als Projektionsfläche für Unzufriedene und den Unmut der Bürger." Bundesweit hätten sie eine stabile Anhängerschaft zwischen fünf und zehn Prozent der Wähler aufgebaut. "Mehr Unzufriedene gibt es nun auch nicht, als die, die gerade von den Piraten gebunden werden."