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Handelsabkommen TTIP

Jennifer Fraczek22. Mai 2014

Über das geplante Freihandelsabkommen zwischen USA und EU wird weiterhin heftig gestritten. Der Volkswirt Christoph Scherrer kritisiert vor allem das Klagerecht für Konzerne. Er hält es für rechtsstaatlich bedenklich.

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Christoph Scherrer ist Leiter des Fachgebiets "Globalisierung und Politik" der Uni Kassel und Direktor des International Center for Development and Decent Work (ICDD) (Foto: Uni Kassel)
Bild: Christoph Scherrer

DW: Das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP) wird seit Monaten heftig diskutiert. Nach dem, was bisher bekannt ist, wie sinnvoll ist das Freihandelsabkommen aus Ihrer Sicht?

Christoph Scherrer: Mir scheint, dass es vor allem Konzerninteressen bedient. Weder Verbraucher- noch Arbeitnehmerverbände wurden vorher gefragt. Der Forderungskatalog ist im Wesentlichen ein Abbild der Forderungen der großen Wirtschaftsverbände.

Einer der Kritikpunkte ist das Klagerecht von Unternehmen. Entscheidungen der Parlamente, so die Befürchtung, könnten ausgehebelt werden, wenn Firmen sich aufgrund neuer Gesetze im Partnerland ungerecht behandelt fühlen. Wie berechtigt ist diese Befürchtung?

Die Möglichkeit, dass Konzerne Staaten verklagen, ist ein Novum für Handelsabkommen zwischen Staaten mit einer entwickelten Rechtsstaatlichkeit und einer der problematischsten Aspekte des geplanten Abkommens. Denn es würde parallel zum Rechtsstaat eine Justiz aufgebaut, die im Wesentlichen von großen Konzernen kontrolliert wird. Die Schiedsgerichte würden aus einem Pool hochspezialisierter Fachanwälte besetzt, die ad hoc berufen werden und in der restlichen Zeit Konzerne vertreten. Wir hätten es also nicht mit einer unabhängigen Justiz zu tun, die von den politischen Gremien eines Volkes kontrolliert wird. Ein solches Klagerecht ist mit rechtsstaatlichen Überlegungen nicht vereinbar.

Warum sollte eine solche Regelung überhaupt notwendig sein?

Die Konzerne haben festgestellt, dass es manchmal aufgrund demokratischer Entscheidungen zu Veränderungen ihrer Investitionsmöglichkeiten kommt. Das beste Beispiel ist die Energiewende in Deutschland: Es gibt ein Energieabkommen mit rund 40 Staaten in Zentralasien und Europa, das diese Möglichkeit beinhaltet. Vattenfall macht davon derzeit Gebrauch und klagt gegen Deutschland. Hier wird also eine demokratische Entscheidung noch einmal hinterfragt und Konzerne bekommen die Möglichkeit, für Gewinne, die ihnen in der Zukunft entgehen, entschädigt zu werden. Diese Kompensationen sind teuer und können dazu führen, dass im Vorfeld solcher Entscheidungen die Verantwortlichen die Kosten im Hinterkopf haben und deswegen auf die eine oder andere Entscheidung verzichtet wird.

Außenansicht des stillgelegten Kernkraftwerks Krümmel (Foto: AP)
Wenn Konzerne Staaten verklagen: Vattenfall will von Deutschland eine Entschädigung für den AtomausstiegBild: AP

Eine weitere Befürchtung ist, dass man sich bei den Standards auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt. In welchen Bereichen gibt es da ein besonderes Ungleichgewicht?

Nach meiner Ansicht ist das besonders beim Datenschutz der Fall. Hier gibt es starke Begehrlichkeiten großer US-Konzerne, die im Internet Nutzerdaten auswerten, um gezielter Werbung zu machen. Das ist vor allem bedenklich, wenn es um Patientendaten geht, die auch im Visier dieser Konzerne sind. In Europa gibt es einen viel größeren Schutz vor allem dieser Daten als in den USA.

Werden bei solchen Abkommen zwangsläufig Standards gedrückt? Könnte es nicht sein, dass sie sich nach oben angleichen?

Mir ist kein Abkommen bekannt, wo das passiert ist. Abkommen zielen immer darauf ab, dass man Standards eher senkt, damit die internationale Konkurrenz Zugang zu Märkten erhält.

Befürworter versprechen sich von dem Handelsabkommen mehr Absatzmöglichkeiten für Unternehmen. In der Folge sollen neue Arbeitsplätze entstehen. Ein gutes Argument?

Verschiedene Studien haben ergeben, dass es in der Zukunft mehr Arbeitsplätze geben soll. Ich bin da skeptisch. In einer Studie des Ifo-Institutes wurden bis zu 180.000 neue Arbeitsplätze prognostiziert. Angesichts von 41,5 Millionen Arbeitsplätzen in Deutschland ist das nicht besonders viel. Außerdem ist unklar, bis wann diese Arbeitsplätze entstehen sollen. In den Berechnungen des Ifo-Institutes wurde zudem nicht berücksichtigt, dass es zu Währungsschwankungen kommen kann, die zum Teil wesentlich größer sind als die Zollsätze. Währungen haben oft viel mehr Einfluss auf den transatlantischen Handel als Zölle.

Die US- und die EU-Flagge (Foto: dpa)
Die Politik peilt den Abschluss des Freihandelsabkommens für Ende 2015 anBild: picture-alliance/dpa

In der ersten Zeit nach Inkrafttreten des Abkommens gehen in der Regel erst einmal Arbeitsplätze verloren, weil eine Anpassung an die neuen Konkurrenzbedingungen erfolgt. Wenn dann die Gewinne sprudeln, kann es sein, dass neue Jobs entstehen. Im Fall des Handelsabkommens zwischen den USA und Mexiko war es beispielsweise so, dass in der ersten Phase Arbeitsplätze in der Industrie gestrichen wurden, die später zwar wieder entstanden - aber zu deutlich geringeren Löhnen.

Ein weiteres Argument für das Freihandelsabkommen ist, dass kleinere und mittlere Unternehmen profitieren, weil Produkte nicht mehr für beide Märkte zugelassen werden müssen und sie damit Kosten sparen können. Was sagen Sie dazu?

Kleinere und mittlere Unternehmen werden in der Regel durch solche Handelsabkommen eher unter Druck gesetzt, weil sie gegenüber Firmen, die große Stückzahlen produzieren ins Hintertreffen geraten. Dieser negative Aspekt wird durch den positiven, dass sie nicht mehr für zwei Märkte produzieren müssen, meines Erachtens nicht ausgeglichen.

Christoph Scherrer ist Leiter des Fachgebietes "Globalisierung und Politik" an der Universität Kassel und Direktor des International Center for Development and Decent Work (ICDD).

Das Gespräch führte Jennifer Fraczek.