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Erdogan frustriert

Christoph Hasselbach19. Januar 2009

Die Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU sind ins Stocken geraten. Eine engere Anbindung des Landes wäre sinnvoller als eine Vollmitgliedschaft, meint Christoph Hasselbach.

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Symbolbild Kommentar (Quelle: DW)
Bild: DW

Der türkische Ministerpräsident Erdogan scheint zunehmend frustriert. Für sein großes Ziel einer EU-Vollmitgliedschaft kann er eine ganze Reihe von Reformen vorweisen, die die EU von der Türkei erwartet. Und durch den Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine ist die Türkei als alternative Transitroute energiepolitisch noch wichtiger geworden.

Christoph Hasselbach (Quelle: DW)
Christoph HasselbachBild: DW

Reicht das immer noch nicht, um den Weg zur Vollmitgliedschaft zu ebnen? Formell wird dieser Weg längst beschritten. Die Beitrittsverhandlungen laufen, Kapitel für Kapitel, wie es im EU-Jargon heißt, werden sie abgearbeitet, langsam zwar, aber immerhin. Doch Erdogan und mit ihm viele seiner Landsleute spüren, dass die EU die Türkei als Vollmitglied nicht will.

Deutschland spricht klare Worte

Manche wie Deutschlands Bundeskanzlerin Merkel sprechen das offen aus. Aber wenn Kommissionspräsident Barroso auf seine verbindliche Art sagt, man müsse die öffentliche Meinung in Europa für einen türkischen Beitritt gewinnen, so ist das nichts anderes. Denn die Mehrheit der Bürger ist skeptisch bis ablehnend eingestellt, und nichts deutet auf eine Trendwende hin.

Es sind nicht nur die noch ausstehenden Reformen oder auch das gespaltene Verhältnis Ankaras zum EU-Mitglied Zypern. Das Hindernis ist etwas Grundsätzlicheres, Tieferes.

Viele Menschen in den Altmitgliedern haben den Eindruck, dass sich die EU bei der Riesenerweiterungsrunde 2004 mit zehn neuen Mitgliedern bereits überhoben hat. Gleichzeitig fehlt der EU eine innere Reform, um handlungsfähig zu bleiben oder erst wieder zu werden.

Aber auch das erklärt nicht alles. Das Eigentliche ist das meist diffuse Gefühl, dass die Türkei kulturell nicht zu Europa passt.

Der Islam macht Angst

Vieles davon hängt mit dem Islam zusammen. Doch wäre die Türkei ein Kleinstaat, stellte sich die Sache anders dar. Es geht um den Islam und seine politisch-kulturellen Folgen in Verbindung mit der schieren Größe der Türkei.

Die Türkei hat im Moment über 70 Millionen Einwohner. Durch ihre junge Bevölkerung wird sie in nicht allzu ferner Zukunft Deutschland demographisch überholt haben. Ein EU-Mitglied Türkei wäre damit deren bevölkerungsreichster Staat und würde durch sein Gewicht die Politik der Europäischen Union deutlich beeinflussen.

Und wer garantiert, dass die Türkei laizistisch bleibt? Schon jetzt gibt es deutliche radikalislamische Tendenzen.

Alles spricht zwar für eine immer engere Anbindung der Türkei an die EU, aber doch gegen eine Vollmitgliedschaft. Diese gegen die Mehrheit der europäischen Bevölkerung durchsetzen zu wollen, wäre nicht nur sinnlos, sondern auch gefährlich.

Es sollten allerdings mehr EU-Politiker den Mut haben, der Türkei reinen Wein einzuschenken. Denn nichts wäre frustrierender, als jahrzehntelang nur zum Schein weiterzuverhandeln.