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Scharia als Bühnenstoff

8. Oktober 2011

Eine Frau in Nigeria wartet auf ihre Hinrichtung. Das Urteil: Tod durch Steinigung. Die Anklage: Ehebruch. Theater nah an der Realität. Wegschauen ist da unmöglich, am Theater Krefeld.

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Schwarz verhüllte Frau schlägt die Hände vors Gesicht im Theaterstück "Hagel auf Zamfara" von Sefi Atta (Foto: Theater Krefeld-Mönchengladbach) (Foto: Matthias Stutte, Copyright: Theater Krefeld-Mönchengladbach)
Bild: Theater Krefeld-Mönchengladbach

In der Dunkelheit, hoch oben über den Köpfen des Publikums, ist eine junge Frau zu sehen. Grell beleuchtet, in weißem Gewand, mit abgeknicktem Kopf. Als hätte sie sich erhängt. Oder als sei sie erhängt worden. Doch aus ihrer Kehle dringen Klagelaute, lang, sehr lang, unerträglich lang: Prolog zu einem beklemmenden Theaterabend, der in einer nackten Gefängniszelle im Norden Nigerias spielt.

"An dem Tag, an dem ich sterbe, werde ich mich erheben. Und dann müssen meine Henker endlich zugeben: Wir waren im Unrecht!" ruft die namenlose junge Frau, die auf die Vollstreckung ihres Todesurteils wartet. Hinter eisernen Ketten auf einer nackten Bühne lässt sie ihre Geschichte Revue passieren: Wie ihr Mann sie so brutal schlug, dass sie fast taub wurde. Wie er sich eine Zweitfrau nahm, ein Mädchen, gerade so alt wie ihre älteste Tochter. Wie die beiden zu Feindinnen wurden. Wie ihr Mann sie vergewaltigte und schließlich wegen angeblichen Ehebruchs anklagte.

Anklage gegen religiösen Extremismus

Schriftstellerin Sefi Atta (Foto: Thomas Mösch/DW)
Sefi Atta in einem Buchladen in LagosBild: DW

Das Stück der nigerianischen Schriftstellerin Sefi Atta basiert auf zwei realen Fällen aus ihrem Heimatland, die vor einigen Jahren internationale Proteste hervorriefen. Die Todesurteile gegen Amina Lawal und Safiya Hussaini wurden schließlich nicht vollstreckt. Im Theaterstück bleibt das Ende offen.

Die vielfach mit Literaturpreisen ausgezeichnete Autorin, von der auch zwei Romane auf Deutsch erschienen sind, hat sich immer wieder mit dem Missbrauch von Religion für politische Zwecke beschäftigt. Aufgewachsen in einem christlich-muslimischen Elternhaus in Lagos, beschäftigt sie das Thema seit langem. Auch heute noch, in den USA, wo sie seit 17 Jahren lebt. Doch sie legt größten Wert darauf, dass ihr Stück keine Anklage gegen den Islam ist. "Sondern eine Anklage gegen Fundamentalismus und gegen religiösen Extremismus. Im Süden der USA sehe ich, was christlicher Konservativismus da angerichtet hat, welche Auswirkungen er auf die Politik hat – und auf das persönliche Leben der Menschen. Für mich ist das genauso verstörend."

Schauspielerin Marianne Kittel in Sefi Attas Theaterstück "Hagel auf Zamfara" (Foto: Matthias Stutte, Copyright: Theater Krefeld-Mönchengladbach)
Schauspielerin Marianne Kittel in Sefi Attas Theaterstück "Hagel auf Zamfara"Bild: Theater Krefeld-Mönchengladbach

Jeder ist ein Opfer

Doch ihr Stück spielt im nigerianischen Bundesstaat Zamfara, der schon 1999 die Scharia, das islamische Recht, zur Grundlage der Justiz machte. Dort, sagt Regisseur Nicholas Monu, der selbst aus Nigeria stammt, wird das Thema zunehmend brisant. Sefi Attas Theaterstück in Nigeria zu zeigen, scheint ihm kaum möglich. "In Lagos ginge es vielleicht, dort sind die Menschen toleranter. Aber auf keinen Fall im Norden", sagt er. "Wir haben mehr und mehr Probleme zwischen Islam und Christentum in unserem Land, auch in Lagos. Die Problematik wird immer heißer."

Eine schwarz verhüllte Frau kniet auf dem Boden im Theaterstück "Hagel auf Zamfara" von Sefi Atta (Foto: Theater Krefeld-Mönchengladbach) (Foto: Matthias Stutte, Copyright: Theater Krefeld-Mönchengladbach)
Bild: Theater Krefeld-Mönchengladbach

Nicht nur die Scharia wird Sefi Attas Hauptfigur zum Verhängnis, sondern das Konglomerat aus religiösem Wahn, autokratischer Herrschaft, Armut, Mangel an Bildung und Männergewalt. Die Frau schreit ihre Not heraus - die letzte Möglichkeit, ihre Würde zu bewahren. Aber Sefi Atta wirft auch einen mitfühlenden Blick auf die anderen Figuren des Stücks: Der Ehemann etwa, der seine Frau vergewaltigt, ist selbst ein Opfer. Er wird ausgepeitscht, weil er Alkohol getrunken hat. In dieser Gesellschaft leiden alle.

Spirale von Schmerz und Gewalt

Zweifellos hat Sefi Atta ein politisches Stück geschrieben. Aber sie ist zu sehr Schriftstellerin, als dass sie sich darauf reduzieren ließe. "Ich mag es nicht, meine Arbeit als Mittel der Politik zu betrachten, Statements abzugeben oder Aktivistin zu sein", betont sie. "Für mich steht die Geschichte im Mittelpunkt. Es ist schön, wenn meine Geschichten dauerhafte Veränderungen in der richtigen Richtung auslösen. Aber es wäre zu optimistisch zu denken, das wäre die Aufgabe der Kunst."

Frauen in Nigeria, hier bei Parlamentswahl 2011 in Kano State (Foto: Thomas Mösch/DW)
Gleiche Chancen? Nigerianerinnen auf dem LandBild: DW

Und so verhandelt Sefi Atta nicht nur ein skandalöses Todesurteil, sondern den Alltag in einer Gesellschaft, die mit Repression und Armut zu kämpfen hat. Es schnürt dem Zuschauer die Kehle zu, wie die beiden Ehefrauen zu erbitterten Konkurrentinnen werden - weniger um den Mann, der sie ohnehin nicht achtet - als um die Zukunft ihrer Kinder. Als die Zweitfrau einen Sohn zur Welt gebracht hat, ist für die älteste Tochter der ersten jede Perspektive dahin. Denn natürlich ist es der Junge, der später zur Schule gehen und studieren soll. Dass ihn schließlich die eigene Mutter tötet, selbst noch fast ein Kind und mit Ehe und Mutterschaft völlig überfordert, ist eine weitere Drehung in der Spirale von Schmerz und Gewalt, die keine Minute lang nachlässt.

Leid von innen

Das darzustellen, war eine Herausforderung für die Schauspieler, die ganz in ihrer europäischen Welt stecken, erzählt Regisseur Nicholas Monu. "Der Unterschied zwischen einem Nigerianer in solch einer Situation und einem Europäer ist, dass die nigerianische Seele immer gegen das Leiden kämpft", glaubt er. "Man hat so viel Leid im Leben. Ich meine nicht das, was von außen kommt. Sondern das von innen."

Den Leidenden gibt das Theaterstück "Hagel auf Zamfara" eine Stimme. Und so rücken sie dem Publikum ganz nahe - in einer alten Fabrikhalle in Krefeld, rund 4500 Kilometer von Zamfara entfernt.

Autorin: Aya Bach
Redaktion: Marlis Schaum