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Putin lenkt ukrainische Separatisten

Günther Birkenstock3. Mai 2014

Auch im bisher ruhigen Süden der Ukraine ist es nun zu Krawallen gekommen. Kyryl Savin, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew, sieht den Konflikt klar von Russland gelenkt.

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Kyryl Savin Heinrich Böll Stiftung Kiew (Foto: privat)
Bild: privat

DW: Herr Savin, am Freitag spitzte sich die Lage in der Ukraine weiter zu. In Odessa, im bisher ruhigen Süden der Ukraine, sind nach Krawallen viele Menschen bei dem Brand eines Gewerkschaftshauses ums Leben kamen. Was wissen Sie darüber?

Kyryl Savin: Am Freitag gab es eine proukrainische Demonstration, vor allem von Fußballfans einer lokalen Fußballmannschaft in Odessa und den Fans aus Charkiv. Die wollten für die Einheit der Ukraine demonstrieren, sind auf die Straße gegangen und wurden dort angegriffen von bewaffneten Separatisten. Wer es genau war, ist im Moment schwer zu sagen, aber es ist vermutlich dieselbe Zusammensetzung wie auch im Osten der Ukraine: russische Diversanten (geschulte, kriegserfahrene Provokateure) plus lokale Kriminelle und prorussische Aktivisten. Bei dieser Auseinandersetzung sind vier Menschen von der proukrainischen Seite ums Leben gekommen. Dann kam Verstärkung für die proukrainische Seite von Bürgern aus Odessa, sie haben die prorussischen Separatisten bedrängt. Daraufhin haben die sich im Gewerkschaftsgebäude von Odessa verschanzt. Die Medien hier berichten weiter, dass beide Seiten sich mit Molotow-Cocktails beworfen haben und dadurch das Gebäude in Brand geriet. Durch das Feuer im Erdgeschoss konnten die Menschen in den oberen Etagen nicht fliehen, einige sprangen aus dem Fenster. Insgesamt sollen 42 Menschen gestorben sein.

Es war also ein tragisches Unglück, aber kein gezielter Anschlag?

Ja, so sehe ich es. Es gab diese vier Toten, Menschen, die bei den Straßenkämpfen ums Leben gekommen sind und 38 Menschen, die Opfer des Brandes sind - und das sehe ich als unglücklichen Unfall, aber nicht als gezielte Tat.

Gibt es denn schon erste Reaktionen auf den Vorfall in Odessa?

Der Gouverneur von Odessa hat sich kurz danach zu Wort gemeldet und die gesamte Schuld auf die Miliz, also die Polizei geschoben. Die Miliz habe wieder einmal nicht reagiert und nur zugesehen. Und Samstagmorgen gab es bereits einen Erlass des Innenministers, der einen lokalen Leiter der Miliz in Odessa entlassen hat. Außerdem hat der Minister drei Tage offizielle Trauer angesetzt.

Am Freitagmorgen war es auch im Osten der Ukraine zu Unruhen gekommen. Dort sind zwei Hubschrauber der Armee abgeschossen worden.

Das war in Slowjansk, wo immer noch der Anti-Terror-Einsatz der Regierung stattfindet. Das ist das Nest der Terroristen. Und die Regierung versucht, diesen Einsatz in kleinen Schritten zu machen, um eine große Opferzahl zu vermeiden. Die Einsatzkräfte haben den Befehl "Schießen nur im Ausnahmefall" und nur auf militante Separatisten, nicht auf Zivilisten. Deshalb dauert es so lange und man kann keine schnellen Erfolge vorweisen. Immerhin, bis jetzt gibt es bei diesem Einsatz keine hohe Zahl an Toten.

Haben Sie neue Informationen zu den abgeschossenen Hubschraubern und den festgenommenen Piloten?

Die Informationen sind sehr widersprüchlich, es gibt unterschiedliche Zahlen. Genauso unklar ist der Zustand der Piloten. Der Vorfall wurde auf jeden Fall stark kritisiert, nicht nur von der Regierung in Kiew, sondern auch von der Weltöffentlichkeit. Der schwedische Außenminister Carl Bildt hat auf Twitter ironisch kommentiert, er nehme an, die Großmütter von Slowjansk hätten die Raketen, um die Hubschrauber abzuschießen, im Supermarkt gekauft. Denn die russische Seite besteht immer auf ihrer Darstellung, dass sie keine Waffen an die Separatisten liefert, sondern die Waffen immer in lokalen Geschäften gekauft würden.

Das heißt, dieser Vorfall ist der Beweis dafür, dass diese Behauptungen Russlands Lippenbekenntnisse waren? Welchen Einfluss hat Ihrer Meinung nach Putin auf die Separatisten?

Nach dem Kenntnisstand hier in der Ukraine kontrolliert und steuert Putin das Ganze. Diese Truppe besteht aus russischen Geheimagenten und Diversanten, die dazu speziell geschult sind und die auch mit der Waffe über die Grenze gekommen sind. Das sind aber nicht sehr viele, vielleicht bis zu 200 Menschen insgesamt. Die werden vom Kreml aus gelenkt und koordiniert. Die sind aber nicht allein. Außerdem gibt es noch lokale Kriminelle, die für Geld oder aus Überzeugung oder beides das alles mitmachen. Und dann gibt es noch die Gruppe der lokalen prorussischen und fanatischen Aktivisten.

Woher wissen Sie, dass diese Gruppen aus Russland gelenkt werden?

Dafür gibt es handfeste Beweise. Es gibt Dutzende Audiodateien im Netz, wo Funkgespräche abgehört worden sind, die zwischen Separatisten und Stimmen von russischer Seite stattfinden, wo zum Beispiel Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes den Separatisten ins Slowjansk und anderen Städten klare Anweisungen geben. Es gibt sogar Videogespräche mit russischen Diversanten, die recht bekannt sind und sich deutlich äußern.

Und eines ist für mich ganz klar. Wären diese russischen Einsatzkräfte nicht dort im Gebiet von Donezk, dann gäbe es nicht so große Unruhen. Die Menschen würden zwar weiterhin Kiew schweigend hassen, weil sie sehr unzufrieden sind mit der Kiewer Regierung und weil die Bevölkerung sehr von der russischen Propaganda beeinflusst ist, aber es gäbe keine Gewalt und keine Toten.

Russlands Präsident Putin hat jetzt noch einmal eine Sitzung im UN-Sicherheitsrat gefordert. Welchen Erfolg könnte eine solche Sitzung haben und halten Sie diesen Wunsch für ernsthaftes Bemühen?

Russland spielt für mich da ein gefährliches Spiel. Sie versuchen das, was in der Ukraine passiert, der ganzen Welt als Bürgerkrieg zu verkaufen, an dem Russland überhaupt nicht beteiligt ist, sondern nur zuschaut und sich große Sorgen macht. Sorgen um die russischsprachige Bevölkerung, Sorgen um die eigenen Grenzen, dass der Konflikt über die einzelnen Städte hinausgehen könnte, usw. Deshalb seien die russischen Truppen an der ukrainischen Grenze stationiert. Russland versucht, den Konflikt auf einen Streit zwischen der Ost- und der Westukraine zu reduzieren, setzt darauf, dass die Menschen in der Ostukraine sich schon lange vernachlässigt fühlen und jetzt aufstehen und für ihre Rechte kämpfen. Dieses Bild möchte Putin gerne vermitteln. Und der Aufruf zur Sitzung im Sicherheitsrat ist nichts anderes als ein Bestandteil dieser Show. Meines Erachtens nach sammelt Russland lauter kleine Punkte, um einen möglichen Einsatz der russischen Kräfte zu legitimieren. Um am Ende zu sagen, wir konnten nicht anders, wir mussten als peacekeeper einschreiten, um eine Ausbreitung der Gewalt zu verhindern. Noch sieht es nicht danach aus, dass die russischen Truppen wie auf der Krim das Land besetzen. Aber es ist nicht auszuschließen.