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Aspartam und andere Süßstoffe: Möglicherweise krebserregend?

Ann-Christin Herbe | Julia Vergin
Veröffentlicht 13. November 2019Zuletzt aktualisiert 14. Juli 2023

Aspartam, Acesulfam K und Co. laufen dem Industriezucker auf der Zutatenliste bei Lebensmitteln den Rang ab. Doch sind sie wirklich die bessere Wahl? Die WHO stuft Aspartam als "möglicherweise krebserregend" ein.

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Süßstoff
Bild: Fotolia/Monika Wisniewska

Zuckerfreie Marmelade, zuckerfreie Limonade und sogar zuckerfreies Weingummi werben in grellen Buchstaben auf ihrer Verpackung für sich. Das Wort "zuckerfrei" ist derzeit der Liebling der Lebensmittel-Marketing-Industrie. Jahrzehntelang war der Haushaltszucker der König der Geschmacksträger, mittlerweile machen ihm Süßstoffe den Thron streitig.

Wer den Weg zum Regal wagt und sich eine zuckerfreie Limonade aus der Nähe anschaut, der stellt fest, dass Zucker zwar wirklich nicht in seiner Reinform auf der Zutatenliste steht, dafür aber verschiedene Süßstoffe. Zum Beispiel E950, E951 oder E954. Hinter den Buchstabenkombinationen verbergen sich synthetisch hergestellte Verbindungen wie Acesulfam K, Aspartam und Sucralose.

Süßstoffe sind bis zu 500 Mal süßer als Zucker

Süßstoffe gehören zur Kategorie der Lebensmittelzusatzstoffe. Warum sie so beliebt sind, ist einfach zu erklären. Sie sind praktisch kalorienfrei und ihre Süßkraft um ein Vielfaches höher als Haushaltszucker, sodass nur wenige Milligramm benötigt werden, um den Genuss von kalorienreduzierten Lebensmitteln trotzdem zu versüßen.

Aspartam ist beispielsweise 200 Mal so süß wie Haushaltszucker und Sucralose sogar 500 Mal so süß. Kuchen, Light-Getränke und Süßes genießen - quasi ohne Kalorien und dementsprechend ohne schlechtes Gewissen, so verspricht es die Lebensmittelindustrie.

Sind Aspartam und Cyclamat krebserregend?

Die Wissenschaft sieht Süßstoffe allerdings kritischer. Am hartnäckigsten hält sich der Vorwurf, dass Süßstoffe krebserregend seien. Im Verdacht stand lange vor allem Cyclamat. Bei einer 

Studie mit Ratten wurden die Tiere mit einer hohen Dosis Cylamat gefüttert. Einige Tiere erkrankten dadurch an Blasenkrebs. Die Ergebnisse waren aber nicht auf Menschen übertragbar, weil Süßstoffe üblicherweise nicht in derart großen Mengen konsumiert werden wie in dem Experiment.

Aspartam Süßstoff
Süßstoffe versprechen süßen Genuss ohne Kalorien und schlechtes GewissenBild: Imago/teutopress

Im Juli 2023 hat die internationale Krebsforschungsagentur (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nun den Süßstoff Aspartam als "möglicherweise krebserregend" eingestuft. Allerdings, so räumt die IARC ein, sei die wissenschaftliche Evidenz für diese Einschätzung nach wie vor schwach.

Da es aber aus Zell- und Tierstudien sowie Beobachtungsstudien am Menschen gewisse Hinweise auf ein mögliches Krebsrisiko gebe, sei auch eine Beschreibung des Risikos nötig, kommentiert Stefan Kabisch, Studienarzt in der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin an der Charité in Berlin die Einschätzung der WHO.

"Die Einstufung von Aspartam als 'möglicherweise krebserregend' ändert an unserem täglichen Gebrauch sehr wahrscheinlich nichts. Die Einstufung ist sehr zurückhaltend, das heißt ein Krebsrisiko ist keinesfalls sicher und nicht einmal besonders wahrscheinlich", so Kabisch.

Aus diesem Grund bleibt es auch bei der bisher empfohlenen Tagesdosis von bis zu 40 Milligramm Aspartam pro Kilogramm Körpergewicht. Ein 70 Kilogramm schwerer Erwachsener müsste demnach 9 bis 14 Getränkedosen Diät-Softdrinks pro Tag konsumieren, um diesen Wert zu überschreiten.

Ein weiterer Vorwurf lautet, Süßstoffe würden sich negativ auf die Darmflora auswirken. Ein Experiment israelischer Forscher aus dem Jahr 2014 mit Mäusen zeigte, dass die Tiere nach regelmäßigem Konsum von Saccharin und Sucralose tatsächlich eine gestörte Darmflora und Probleme beim Glucose-Stoffwechsel hatten.

"Eine Veränderung der Darmflora durch Süßstoffkonsum halte ich für durchaus wahrscheinlich, da die Süßrezeptoren im Darm durch Süßstoffe beeinflusst werden können", sagt Stefan Kabisch. Doch die Forschungslage sei noch zu unklar, um eindeutig zu urteilen.

Zu wenig Süßstoffe in Experimenten getestet

Kabisch sieht bei vielen Studien jedoch ein grundliegendes Problem. "Oft werden nur zwei bis drei Süßstoffe getestet, aber es gibt so viele Süßstoffe, die unterschiedlich chemisch aufgebaut sind, dass die Ergebnisse sich nicht allgemein übertragen lassen", sagt er. Um wirklich aussagekräftige Ergebnisse zu gewinnen, müsse man jedes Experiment mit jedem der in der Europäischen Union zugelassenen Süßstoffe durchführen.

Ein weiteres potenzielles Risiko durch Süßstoffkonsum sieht der Mediziner vor allem in der Geschmackswahrnehmung von Kindern. Denn im jungen Alter muss das Gehirn erst noch lernen, süßen Geschmack damit zu verbinden, dass der Körper nun kalorienreiche Nahrung bekommt. "Süßstoffe lösen eine Dissonanz im Gehirn aus. Das Lusterlebnis durch den süßen Geschmack tritt ein, aber die Kalorien fehlen und so kommt das Hungergefühl schneller wieder", sagt Kabisch.

Süßstoffe täuschen das Gehirn

Genau diesen Aspekt sehen einige Forscher besonders kritisch. Zu ihnen gehört der Diabetologe und Internist Achim Peters, der die "Selfish Brain Theorie" entwickelt hat. In Kurzform: Das Gehirn deckt fast seinen gesamten Energiebedarf durch Glucose. Wenn davon zu wenig vorhanden ist, greift es auf eine Ausweichstrategie zurück. Appetit und Nahrungsaufnahme werden gesteigert. Das kann sogar zu Übergewicht führen.

Durch seine Forschung hat Peters herausgefunden, dass die Süßstoffe das Gehirn täuschen und dem gesunden Stoffwechsel schaden. Isst man beispielsweise einen Muffin, der mit Süßstoff gesüßt wird, signalisiert der Süßreiz, dass kalorienreiche Nahrung im Anmarsch ist, doch das Gehirn und der Körper warten vergeblich.

So kann das Gehirn auf Dauer immer weniger einschätzen, ob es jetzt mit einer Energiezufuhr rechnen kann oder nicht. Diese Verunsicherung führt zu einer physiologischen Reaktion und das ist die übermäßige Nahrungsaufnahme.

Eine Studie aus Frankreich mit Ratten zeigt einen weiteren möglichen negativen Effekt. Süßstoffe können genauso süchtig machen wie gewöhnlicher Zucker. Die suchterzeugende Wirkung des Süßreizes erwies sich als stärker als die von Drogen wie Kokain.

Süßstoff oder Zucker?

Kabisch empfiehlt nicht, von Süßstoffen zurück zum Zucker zu wechseln. "Für Zucker ist deutlich klarer belegt, dass er neben Karies auch Adipositas und Typ-2-Diabetes fördert und somit zum Krebsrisiko beiträgt."

Es gebe keinen soliden Grund, Süßstoffe aktiv zu vermeiden, aber auch keinen Grund, Süßstoffe aktiv zu empfehlen. "Der Nutzen ist gering, der Schaden nicht klar nachweisbar", so das Fazit von Stefan Kabisch.

Dieser Artikel wurde am 14.07.2023 aktualisiert, nachdem die WHO den Süßstoff Aspartam als "möglicherweise krebserregend" eingestuft hat.

DW Mitarbeiterportrait | Julia Vergin
Julia Vergin Teamleiterin in der Wissenschaftsredaktion mit besonderem Interesse für Psychologie und Gesundheit.