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Arbeitsmigranten überweisen Milliarden

Tobias Käufer Bogota
6. Juli 2022

Inflation, Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit: Noch nie waren die Überweisungen lateinamerikanischer Migranten aus den USA in ihre Heimatländer so wichtig wie in diesen Zeiten.

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Migration in Lateinamerika
Migration in Lateinamerika Bild: David McNew/Getty Images

Die Zahl ist gigantisch: Laut Migrationdataportal.org wurden allein im Jahr 2021 rund 54 Milliarden Dollar nach Mexiko überwiesen. Das Land lag damit in der weltweiten Tabelle der Länder mit den jährlichen Überweisungszuflüssen aus dem Ausland auf Rang zwei hinter Indien (89 Milliarden). Laut El Economista gingen rund 25 Prozent auf die Überweisungen von Migranten mit mexikanischen Wurzeln zurück, die in den USA leben. Der Trend hält an.

Vor wenigen Tagen meldeten mexikanische Medien einen neuen historischen Rekord. Unter Berufung auf die mexikanische Zentralbank (Banxico) sei die Summe der Auslandsüberweisungen im Mai 2022 noch einmal auf 5,17 Milliarden Dollar gestiegen, das seien 14 Prozent mehr als im Vorjahresmonat des Rekordjahres 2021.

Unverzichtbare Hilfe

Die sogenannten Remesas, wie die Lateinamerikaner die Überweisungen in die Heimat nennen, sind für viele Familien in Mittel- oder Südamerika eine unverzichtbare Einnahmequelle, um die Lebenshaltungskosten zu decken. Gerade in Krisenzeiten wie während der Corona-Pandemie oder in der aktuellen Wirtschaftskrise mit hohen Preisen für Grundnahrungsmittel und Energie sind die Auslandsüberweisungen eine Art Lebensversicherung für Millionen lateinamerikanische Haushalte. Nach den verheerenden Wirbelstürmen in El Salvador, Honduras und Guatemala in den letzten beiden Jahren, waren die Überweisungen Rettungsanker für die Familien, die bei den Naturkatastrophen alles verloren hatten.

Migranten in Acandi, Kolumbien
Menschen auf der Flucht Richtung Norden: Hier in Arcandi, Kolumbien - das Ziel: die USABild: Fernando Vergara/AP Photo/picture alliance

Mehr als ein Fünftel der Volkswirtschaft

"In einigen Ländern wie Jamaika, Honduras und El Salvador machen die eingehenden Überweisungen ein Fünftel oder mehr der gesamten Volkswirtschaft aus", sagt Ana Gutiérrez vom mexikanischen Institut IMCO im Gespräch mit DW. "Der Umfang ist in der Krise noch einmal gestiegen", berichtet Gutiérrez. Die Expertin zieht einen direkten Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Lage in den USA und den Auslandsüberweisungen in Richtung Lateinamerika.

Ist die wirtschaftliche Situation in den USA gut und zieht der Arbeitsmarkt an, gäbe es in der Regel mit einer Verzögerung auch einen Anstieg der Überweisungen in die Heimat. So habe es zum Beispiel 2021 eine Erholung in Baugewerbe in den USA gegeben, in dem traditionell viele Lateinamerikaner arbeiten, die dann Geld nach Hause schicken.

Umgekehrt bedeute das aber auch eine risikoreiche Abhängigkeit. Wenn es beispielsweise in Europa oder in den USA eine Wirtschaftskrise oder starke Währungsschwankungen gäbe, hätte das auch direkte Auswirkungen auf die Länder, in denen der Anteil von Auslandsüberweisungen besonders hoch ist. Die dann einbrechenden Einnahmen durch schrumpfende Auslandsüberweisungen müssten dann anders ausgeglichen werden, sagt Gutiérrez.

Debatte in der Migrationspolitik

Nachdem im Juni in Texas mehr als 50 Migranten aus Lateinamerika tot in einem Lkw aufgefunden worden sind, entbrannte in den Medien auch wieder eine Diskussion über die Anziehungskraft der Remesas. Der lange in Guatemala tätige brasilianische Geistliche Mauro Verzeletti wird unter anderem in der Zeitung La Hora zitiert, dass es für einige Politiker in Mittelamerika der einfachere Weg sei, die Probleme zu lösen. Dort herrsche eine Art Motto: "Geh weg, wir brauchen die Überweisungen."

Zur Migration gezwungen

Insgeheim würden sich Teile der Politik ihrer Verantwortung entziehen, gegen Korruption und Straflosigkeit zu kämpfen und so die Lage in den Herkunftsländern strukturell zu verbessern. Jeder Arbeitslose oder Geringverdiener, der dann denn lebensgefährlichen Weg in die USA antritt, sei ein Problem weniger für die lokalen Regierungen und könnte sich stattdessen potentiell zu einem künftigen Überweiser aus den USA entwickeln. Das Risiko tragen dann die Migranten.

Die mexikanische Zeitung El Heraldo zog deshalb in diesen Tagen ein kritisches Fazit. Die Überweisungen seien kein Grund zu feiern, kommentierte der Kolumnist Jorge Romero Herrera. Präsident Andrés Manuel López Obrador habe sich bei mehreren Gelegenheiten bei den etwa 38 Millionen in den Vereinigten Staaten lebenden Mexikanern für die Überweisungen in unser Land bedankt. Das seien allerdings nicht nur gute Nachrichten, denn sie deuten darauf hin, dass eine größere Anzahl von Mexikanern das Land hätten verlassen müssen, um ihre mexikanischen Verwandten zu unterstützen.