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Politik

Rücktritt Rudd: Die Luft um Theresa May wird dünner

Barbara Wesel
30. April 2018

Innenministerin Amber Rudd muss gehen, weil sie das Parlament belogen hat. Damit verliert Theresa May ihren Schutzschild gegen Vorwürfe wegen ihrer Anti-Migrations-Politik.

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Großbritannien Innenministerin Amber Rudd
Bild: picture-alliance/Zuma/R. Pinney

Es war ein Rücktritt auf Raten und durchgehend ein peinlicher Anblick. Und es geht dabei nicht nur um das Schicksal von Ex-Innenministerin Amber Rudd, sondern auch um eine dysfunktionale Verwaltung und ein unglaubliches Maß an Schwerhörigkeit bei der Politik in Westminister. Denn der Skandal um die karibischen Zuwanderer der "Windrush" Generation kam mit reichlich Vorwarnzeit.

Das Innenministerium auf Jagd nach Migranten

Im Oktober 2017 veröffentlichte die Reporterin Amelia Gentleman in der Zeitung "The Guardian" den ersten aus einer längeren Reihe von Abschiebungsfällen gegen Alt-Einwanderer aus den früheren Karibik-Kolonien, die bis 1971 als britische Bürger galten. Da es im Königreich keine Ausweise gibt, und die meisten Migranten von damals keine Pässe besitzen, konnten sie nach Jahrzehnten im Land plötzlich ihr Aufenthaltsrecht nicht mehr beweisen.

Die Kette begann mit dem schockierenden Schicksal von Paulette Wilson. Die heute 61jährige hatte jahrelang als Köchin im Parlament in London gearbeitet. Sie war 1968 als 10jährige mit ihren Eltern aus Jamaika gekommen, als sie 2015 plötzlich eine Aufforderung zur Ausreise erhielt. Im vorigen Herbst nach quälendem Kampf mit den Behörden landete sie in der Abschiebehaft. Erst nach der Veröffentlichung ihres Falles wurde sie befreit und ihr Status anerkannt.

Großbritannien Schiff Empire Windrush
Auf dem früheren Kriegsschiff "Empire Windrush" kamen Einwanderer aus der Karibik nach Großbritannien, die als britische Bürger galtenBild: Getty Images/Keystone

Wilsons Schicksal aber war kein Einzelfall, wie sich in den Monaten danach herausstellte. Immer neue Betroffene meldeten sich und erzählten ihre Geschichten der Presse. Auch wer jahrzehntelang in Großbritannien gearbeitet und Steuern gezahlt hatte, konnte plötzlich eine Ausweisung erhalten. Die Behandlung einer Krebserkrankung, Reise zu sterbenden Eltern – kein Notfall konnte die Ausländerbehörde zum Einlenken bewegen. Erst als Premierministerin May im Unterhaus aufgefordert wurde, sich für die Behandlung dieser Bürger zu entschuldigen, kam der Stein ins Rollen.

Inkompetenz und Ignoranz

May wollte zunächst das Problem nicht sehen und verwies auf Innenministerin Rudd. Diese wiederum behauptete, von solchen Vorgängen in ihrer Behörde nichts zu wissen. Bei der Commonwealth Konferenz vor zwei Wochen baten schließlich karibische Regierungschefs May um ein dringendes Treffen, das sie zunächst ablehnte. Erst als der öffentliche Druck zu laut wurde gab sie nach und entschuldigte sich danach halbherzig für die Vorfälle. Rudd stotterte sich durch mehrere Anhörungen im Innenausschuss und grub sich schließlich durch offenbare Lügen ihr eigenes politisches Grab.

Da war längst klar geworden, dass die Beamten aufgrund einer Direktive der Vorgängerin gehandelt hatten, eine "feindliche Umgebung" für mutmaßliche illegale Migranten zu schaffen und Ausweisungsquoten zu erfüllen. Diese Politik stammte  aus Theresa Mays Amtszeit im Innenministerium von 2010 bis 2016. May war besessen vom Thema Migration und wollte um jeden Preis die Zuwanderungs-Statistik drücken.  Amber Rudd aber musste sich während des anschwellenden Windrush-Skandals vor ihre Regierungschefin stellen. Sie leugnete einfach, dass es eine solche Direktive mit der "feindlichen Umgebung" in ihrem Ministerium gebe. Die Fragen aber wurden immer drängender und als am Ende noch eine Aktennotiz von Rudd an May publik wurde, in der sie sich auf "Ausweisungsquoten" direkt bezieht, war Schluss mit dem Lügengespinst.

Großbritannien Windrush-Skandal
Anthony Bryan ist einer der Jamaikaner, die vom Windrush-Skandal betroffen sindBild: Getty Images/AFP/T. Akmen

Steiler Sturz der Nachwuchshoffnung.

Amber Rudd, die als junge Hoffnung der konservativen Partei gegolten hatte, als gemäßigte Pro-Europäerin mit einem Ohr für die Sorgen der Leute, als menschliche Politikerin angesichts von Theresa "Maybot" und mögliche nächste Premierministerin musste in ihr Schwert fallen. Das ist weniger tragisch als ein Zeichen von enormer Ignoranz und Mangel an Kompetenz bei Rudd selbst und bei ihren Beamten.

Hat sie keine Mitarbeiter, die sie auf Zeitungsberichte hinweisen zu Problemen, die ihr gefährlich werden könnten? Hat sie selbst nicht gesehen, dass ein Staat mit unschuldigen Menschen so nicht umgehen darf? Warum verfolgen ihre Beamten eine  Politik weiter, die objektiv unrechtmäßig ist, nachdem sie bereits öffentlich als Skandal gebrandmarkt wurde? Kann niemand im Innenministerium in London telefonieren, lesen oder sonst wie die Rechtslage für Commonwealth-Einwanderer bis 1971 recherchieren? Der ganze Vorgang wirft ein erschreckendes Bild auf den Zustand der Regierung in London und lässt Schlimmes ahnen für die EU-Bürger, die nach dem Brexit ihr Aufenthaltsrecht in Großbritannien beantragen müssen. 

Schloss Windsor Commonwealth Gipfel
Theresa May und Regierungschefs aus der Karibik beim Commonwealth-Gipfel Bild: Reuters/A. Matthews/Pool

Die Luft um Theresa May wird dünner

Mit Amber Rudd verliert die Premierministerin eine persönliche Vertraute und ihren menschlichen  Schutzschild gegen innenpolitische Skandale. Rudds Abgang bringt darüber hinaus die delikate Balance im Kabinett zwischen Brexiteers und Pro-Europäern aus dem Gleichgewicht. Zwar gilt auch Nachfolger Sajit Javid als moderat, aber Amber Rudd hatte mehr Gewicht in der Partei und arbeitete mit May zusammen, um den Brexit so weit möglich abzumildern. In dieser Woche wird sich vermutlich in ihrem "Kriegskabinett" entscheiden, ob die Premierministerin an ihrem Ziel einer "Art von Zollunion" mit der EU festhalten kann oder ob ihr die Brexiteers diese Lösung zerschießen.

Der Rücktritt von Amber Rudd ist nicht nur persönlich ein Schlag für Theresa May, er kommt auch zur Unzeit. Beide Frauen aber haben sich dieses Drama selbst zuzuschreiben. So viel politische Blindheit und Taubheit sowie ein solcher Mangel an simpler Menschlichkeit sind weder zu erklären noch zu entschuldigen. Wer einen Skandal nicht bewältigen kann, der mit einer Vorwarnzeit von sechs Monaten heraufzieht, ist selber schuld.