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Russland siegessicher

Markus Reher8. Mai 2007

Seit Tagen marschieren wieder Militärs und Orden behangene Veteranen über Moskaus Straßen und Plätze. Doch der Jahrestag des Sieges über Hitler-Deutschland ist kein Fest für alle.

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Bild: DW

Estland bekam den eisigen Wind aus Moskau bereits vor zwei Wochen zu spüren. Ein Streit um ein sowjetisches Kriegerdenkmal hatte sich zu einer handfesten innenpolitischen Krise und diplomatischen Spannungen zwischen dem kleinen EU-Land und dem großen Nachbarn Russland hoch geschaukelt. Proteste der russischen Minderheit in Estlands Hauptstadt Tallinn, waren zu Straßenschlachten Jugendlicher mit der Polizei und zu Plünderungen eskaliert, nachdem die estnische Regierung einen Bronzenen Sowjetsoldaten aus dem Zentrum auf einen Soldatenfriedhof am Stadtrand verbannte. Für die Esten waren die Sowjets eher Besatzer als Befreier.

"Schaut her, wir haben den Soldaten doch sofort wieder aufgestellt, und er steht jetzt an einem noch viel schöneren Ort als vorher?" hätten ihm estnische Offizielle erklärt, sagt Dmitrij Klenski, Mitglied der etwa 30 Prozent starken russischen Minderheit in Estland und einer der Organisatoren der zunächst friedlichen Proteste. "Das ist doch zynisch!", empört sich der 61-Jährige und spricht damit vielen Estlandrussen seiner Generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Arbeiter, Generäle und Sowjet-Elite ins Land kamen, aus der Seele.

Die Russen als Erben des untergegangen Vielvölker-Imperiums sehen sich als Befreier des Baltikums und empören sich über die estnische "Undankbarkeit". Moskau drohte mit Handelssanktionen und dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Kremlnahe Jugendgruppen belagerten die estnische Botschaft in Moskau und griffen deren Diplomaten gar tätlich an. Schließlich schaltete sich die EU schlichtend ein.

"Alles von Moskau gesteuert", vermutet Mart Helme, in den 90er-Jahren Estlands Botschafter in Russland. Er wisse von Hackerangriffen auf estnische Regierungsseiten direkt aus dem Kreml. Die Demonstranten in Tallinn stünden in engem Kontakt zur russischen Botschaft, erhielten von dort Geld, Informationen und Anweisungen. Seine Nachfolgerin in Moskau floh nun vor den jungen kreml-treuen Horden Hals über Kopf erst mal in den "Jahresurlaub".

Der kommende Jahrestag des Sieges in dieser Woche wird daher in Estland mit Bangen erwartet: Im Internet haben verschiedene pro-russische Gruppierungen für diesen Tag zu den Waffen gerufen: Man solle mit Gasgranaten und Schlaggerät nach Tallinn ziehen, um den Esten richtig einzuheizen, heißt es da. Und Polen, wo auch noch etliche Kriegsdenkmäler aus gemeinsamen Sowjetbrüderzeiten stehen, hat seine Pläne, diese zu entsorgen, nun vorsorglich auf Eis gelegt.

In Europa geht erneut das Gespenst des Kalten Krieges und die Furcht vor den Russen um, spätestens, seit Putin kürzlich in seiner Rede zur Lage der Nation auch noch ankündigte, Moskau werde einen der wichtigsten Abrüstungsverträge der 90er-Jahre womöglich aufkündigen, wenn, was er nicht sagte aber wohl meinte, ja wenn die NATO weiter an die russische Einflusssphäre heranrücke, wie mit dem geplanten Raketenabwehrsystem in Polen und Tschechien.

Russland gibt sich selbstbewusst und siegessicher. Nach Wandel, Öffnung und Demokratisierung in den 90er-Jahren weht nun wieder ein ganz anderer Wind entlang der Moskwa. Die alte Großmacht kehrt zurück und testet, wie weit ihre Grenzen gehen. Die neue Stärke beruht allerdings noch auf nicht vielmehr als den Milliardeneinnahmen durch Gas und Öl.