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Russland: NGOs fürchten Repressionen

3. August 2006

Die Bürgerrechtsorganisation "Zentrum zur Hilfe bei internationaler Verteidigung" ist mit Steuernachforderungen konfrontiert. Menschenrechtler streiten: Ist es ein Fehler der Behörden oder deren erster Angriff auf NGOs?

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4,5 Millionen Rubel sollen nachgezahlt werdenBild: picture-alliance/ dpa

Die russischen Behörden sind von der Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen nicht gerade begeistert. Beweis dafür sind die massiven Steuernachforderungen in Höhe von 4,5 Millionen Rubel, die gegenüber der Bürgerrechtsorganisation "Zentrum zur Hilfe bei internationaler Verteidigung" erhoben werden. Die Organisation ist nicht kommerziell und finanziert sich mit Fördergeldern. Mit ihrer Hilfe konnten bereits acht Prozesse russischer Bürger vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gewonnen werden.

Nur ein Behörden-Fehler?

Die Leiterin des "Zentrums zur Hilfe bei internationaler Verteidigung", Karina Moskalenko, ist Anwältin von Michail Chodorkowskij. Auf die Frage der Deutschen Welle, ob die Steuernachforderung politisch motiviert sei, sagte sie: "Auf jeden Fall sind die angeblich nicht gezahlten Steuern ein grober Fehler. Eine andere Frage ist, ob dieser Fehler versehentlich oder absichtlich gemacht wurde, um uns irgendwie zu verfolgen. Ich weiß es nicht und möchte vorerst über politische Motive in dieser Frage nicht spekulieren, denn ich hoffe, dass die Vertreter des Staates keine illegalen Ziele verfolgen. Erst möchte ich davon ausgehen, dass sie einen groben Fehler gemacht haben." Moskalenko hofft, dass die Behörden nach einer Prüfung aller Dokumente die Steuernachforderung zurücknehmen.

NGO droht Bankrott

Auf einer Pressekonferenz von Menschenrechtlern, die in Moskau am 1. August unter dem Motto "Das Echo des Gipfels: Hat die Liquidierung von Menschenrechtorganisationen begonnen?" stattfand, sprach niemand mehr im Zusammenhang mit dem "Zentrum zur Hilfe bei internationaler Verteidigung" von einem Fehler der Behörden. Die Menschenrechtler erklärten, möglicherweise begännen nun nach Ende des G-8-Gipfels in St. Petersburg Repressionen, mit denen sie seit Inkrafttreten des Gesetzes über Nichtregierungsorganisationen Anfang des Jahres gerechnet hätten. Lew Ponomarjow, Leiter der Bewegung "Für Menschenrechte", meint, die Attacke der Behörden gegen das "Zentrum zur Hilfe bei internationaler Verteidigung" sei der Beginn der Maßnahmen. Die Steuernachforderung bedeute den Bankrott der Bürgerrechtsorganisation. Die Summe der angeblich hinterzogenen Steuern ist höher als die der Fördergelder, die das "Zentrum zur Hilfe bei internationaler Verteidigung" für dieses Jahr erhielt.

Warnsignal für Menschenrechtler

Auch andere Organisationen sind in einer ähnlichen Lage und rechnen jeden Moment mit einem Besuch von Vertretern der Steuerbehörden. Die Forderungen, die offiziell gegenüber dem "Zentrum zur Hilfe bei internationaler Verteidigung" erhoben werden, sind nach Ansicht der Menschenrechtler offensichtlich nur ein Vorwand. In Wirklichkeit seien sie eine Antwort der Staatsmacht auf den Brief aus Straßburg, wo eine Beschwerde der Menschenrechtler im Fall des Historikers Igor Sutjagin geprüft worden sei, dem in Russland Hochverrat vorgeworfen worden sei, sagte der Deutschen Welle die Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe, Ljudmila Aleksejewa. Sie betonte, der Fall mit den Kollegen vom "Zentrum zur Hilfe bei internationaler Verteidigung" sei beispielhaft und ein erstes Warnsignal für alle Menschenrechtler.

G-8-Gipfel ein Wendepunkt?

Die Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe sieht einen Zusammenhang zwischen dem jetzigen Vorgehen der Steuerbehörden und dem G-8-Gipfel, der Mitte Juli stattfand. Der Gipfel sei ein Wendepunkt: "Ich habe immer davor gewarnt, dass der Angriff auf uns gemäß dem neuen Gesetz beginnen wird, sobald der Gipfel vorbei ist und man sich im August erholt hat. Und sie haben begonnen, und zwar mit dem ‚Zentrum zur Hilfe bei internationaler Verteidigung‘." Anstatt die eigene Justiz zu verbessern, damit die Menschen sich nicht nur auf Straßburg hoffen müssten, wollten die Behörden das Zentrum schließen, betonte Aleksejewa.

Gleb Gavrik, Jegor Winogradow, Moskau
DW-RADIO/Russisch, 1.8.2006, Fokus Ost-Südost