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PolitikEuropa

"Russland ist ein Superproblem"

3. September 2020

Litauens Außenminister Linas Linkevičius spricht im DW-Interview über die aktuelle Situation im benachbarten Belarus und den Einfluss Moskaus auf die dortigen Entwicklungen.

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Still DW Interview mit Außenminister Litauens Linas Linkevičius
Litauens Außenminister Linas LinkevičiusBild: DW

DW: Litauen hat Swetlana Tichanowskaja, Alexander Lukaschenkos wichtigste Konkurrentin bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen, aufgenommen. Doch die Umstände sind unklar, und Tichanowskaja selbst äußert sich nicht konkret dazu. Würden Sie sagen, dass Lukaschenko Tichanowskaja ausgewiesen und aus Belarus vertrieben hat?

Linas Linkevičius: Man kann sagen, was man will. Wir haben unsere Rolle darin gesehen, einem Menschen in einer schwierigen Situation zu helfen. So wie ich es verstehe, blieb ihr keine große Wahl: entweder das Land zu verlassen oder... Eine andere Option war - gelinde gesagt - nicht akzeptabel. Wir haben ihr - aber auch einigen anderen - vorbeugend schon im Voraus ein Visum erteilt. Damit kann sie ein Jahr lang ohne Einschränkung in Litauen leben. Ihre Kinder waren schon vorher hier, insofern lässt sich das einfach begründen. Zudem haben die belarussischen Behörden ihr nicht im Wege gestanden, sondern ihr sogar noch geholfen, auszureisen.

Litauische Staatsvertreter und auch Sie persönlich bezeichnen in sozialen Netzwerken Alexander Lukaschenko als ehemaligen Präsidenten von Belarus. Ist dies jetzt die offizielle Position Litauens?

Man kann sagen, dass dies die Realität ist, da wir die Wahlen nicht als transparent, demokratisch und frei anerkennen können. Dies ist hoffentlich auch die allgemeine Meinung. Das ist einfach ein Signal. Dies ist also eine politische Erklärung, damit die wohl scheidende Führung die Realität begreift. Sie muss anfangen, mit ihren Bürgern zu sprechen, und zwar nicht mit Schlagstöcken, sondern in einer normalen Sprache. Umso mehr, da diese Bürger nichts Besonderes fordern. Wie ich gehört habe, ist der (auf Initiative von Swetlana Tichanowskaja gegründete - Anm. der Red.) Koordinierungsrat sogar damit einverstanden, dass Alexander Lukaschenko wieder an den Wahlen teilnimmt, wenn er sich dazu entschließen sollte. Also, was gibt es da zu sagen und zu beschuldigen? Dass jemand die Macht wegnimmt oder irgendwie übernimmt? Das ist übertrieben.

"Die Menschen sind aufgewacht"

Was die EU betrifft: Enttäuscht es Sie nicht, dass der Wunsch Litauens und Polens von Ihren EU-Partnern nicht gehört wurde, neben der Nichtanerkennung des Wahlergebnisses auch einen offiziellen Aufruf zu Neuwahlen in die Erklärung zur Lage in Belarus aufzunehmen?

Die Europäische Union ist ein großer Mechanismus, und wir wissen und bedauern, dass einige Kollegen in anderen Ländern - vorsichtig ausgedrückt - andere Beweggründe haben. Da ist noch Syrien, Libyen, die Taliban, die Pandemie. Mit all dem muss man sich befassen. Auch mit den Flüchtlingen.

Hier geht es dann nicht so sehr um Belarus als wohl eher um Putin und Russland, oder?

Ja, natürlich, es geht nicht um Belarus, es geht um Putin. Ich habe schon oft gesagt: Russland ist keine Supermacht, sondern ein Superproblem. Entschuldigen Sie diesen Ausdruck, aber es ist einfach so. Egal, in welche Ecke der Welt, nicht nur Europas, man auch schaut: Überall werden Konflikte geschaffen, eingefrorene oder heiße, so wie in der Ukraine. Und Russland wird keinen Millimeter von seinen Positionen abrücken, insbesondere dann, wenn es das betroffene Land sozusagen als seinen Hinterhof oder Einflussbereich betrachtet.

Und wenn das Ergebnis wäre, dass die nächste belarussische Führung sich noch stärker an Russland annähert? Eine entsprechende Stimmung ist in der belarussischen Gesellschaft durchaus verbreitet.

Es kommt, wie es kommt. Es sei daran erinnert, dass auch wir Litauer kritisiert wurden, als wir die Sanktionen gegen Belarus aufgehoben hatten, nachdem dort politische Gefangene freigelassen worden waren. Wir schauen uns die ganze Entwicklung sehr genau an. Aber wir geben uns nicht der Illusion hin, dass dort jetzt ein Vorposten der Demokratie geschaffen wird. Für was und für wen sich die Belarussen letztlich entscheiden, ist ihre Sache. Hauptsache ist, dass dies durch einen demokratischen oder zumindest annähernd demokratischen Prozess geschieht, und nicht mit Schlagstöcken so wie jetzt.

Linas Linkevičius ist sozialdemokratischer Politiker, seit 2012 Außenminister Litauens, ehemaliger Verteidigungsminister und Diplomat.

Das Gespräch führte Konstantin Eggert