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"Es ist gut für die Verständigung in Europa"

Mikhail Bushuev
23. September 2019

Da Russland wieder stimmberechtigtes Mitglied im Europarat ist, durfte Europarats-Parlamentarier Frank Schwabe nach Moskau und Grosny fahren. Die Lage sei anders, als sie ihm geschildert wurde, sagt er im DW-Interview.

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Bundestagabgeordneter (SPD) und Berichterstatter des Europarats für Russland Frank Schwabe
Bundestagabgeordneter (SPD) und Berichterstatter des Europarats für Russland Frank SchwabeBild: Sandra Kühnapfel

Deutsche Welle: Herr Schwabe (SPD), Sie sind als Berichterstatter des Europarats für die Lage der Menschenrechte im Nordkaukasus nach Moskau und in die Hauptstadt Grosny der Teilrepublik Tschetschenien gereist. Mit welcher Botschaft sind Sie als Europarats-Parlamentarier nach Moskau uns Grosny gefahren?

Frank Schwabe: Der Hintergrund ist die schwierige Menschenrechtslage im Nordkaukasus insgesamt, aber in Tschetschenien im Besonderen. Die Region ist seit langem unter Beobachtung des Europarats. Allerdings hat es seit neun Jahren keinen Besuch eines Abgeordneten aus dem Europarat in der Region gegeben, weil Russland lange nicht mit dem Europarat kooperiert hat. Das war jetzt der Anfang eines neuen Prozesses, sich wirklich mit einer der schwierigsten Regionen in ganz Europa zu beschäftigen.

Was haben Sie erwartet und was haben Sie gesehen?

Das, was Sie zu sehen bekommen, ist ja nicht immer die Realität. Es gibt bestimmte Regeln im Europarat. Ich bin nicht investigativ unterwegs. Ich habe mich an offizielle Termine zu halten, die mir organisiert werden. Ich habe in Moskau eine Reihe von Menschenrechtsaktivisten, unter anderem Ojub Titijew, getroffen. Vor Ort in Grosny können sie gar nicht mehr tätig sein. Ich habe ein komplett anderes Bild geschildert bekommen als das, was mir dann vor Ort präsentiert wurde. Die Vorwürfe reichen über Ehrenmorde an Frauen bis hin zu Anschuldigungen massiver Gewalt gegenüber Angehörigen der Gruppe der LGBTI. Es soll auch illegale Gefängnisse geben. Es sind so ziemlich die schlimmsten Vorwürfe, die man sich so vorstellen kann. Und meine Aufgabe ist es, mir am Ende ein Bild zu machen und daraus einen Bericht für den Europarat anzufertigen.

Bundestagabgeordneter (SPD) und Berichterstatter des Europarats für Russland Frank Schwabe
Bundestagabgeordneter (SPD) und Berichterstatter des Europarats für Russland Frank SchwabeBild: Sandra Kühnapfel

Wie ist Ihr Eindruck nach der Reise: Wo steht Russland? Das Land hat ja wieder volles Stimmrecht im Europarat

Das war ein schwieriger Prozess und eine lange Debatte. Ich habe mir die Entscheidung (Vertreter der Parlamentarischen Versammlung haben im Juni 2019 Russland alle Rechte zurückgegeben – Anm. d. Red.) nicht einfach gemacht, die Brücke für Russland mitzubauen. Viele haben an dieser Entscheidung zu knacken - gerade die Ukrainer. Aber auch in Russland wird weiterhin das "Pro" und "Kontra" diskutiert. Ich habe jetzt in Moskau den Präsidenten der Staatsduma getroffen, Herrn Wolodin, der zumindest öffentlich immer zu den Skeptikern einer Rückkehr Russlands in den Europarat gehört hat. Es gibt weiterhin Akteure, die eigentlich eher wollen, dass sich Russland in Richtung Asien orientiert.

Insofern können Sie mich nochmal in fünf Jahren fragen, ob die Entscheidung richtig war, Russland die Brücke zu bauen. Heute scheint es mir aber, dass der Versuch sich lohnt. Es ist gut für die Verständigung in Europa, kann friedliche Lösungen befördern und es hilft eben vor allem über 140 Millionen Menschen in Russland. So bleiben sie jedenfalls unter dem Schutz der Europäischen Menschenrechtskonvention und ich hoffe, dass dieser Schutz jetzt auch effektiv ausgeübt werden kann.

Ihre Reise wurde von einem Mord überschattet: Mitten in Berlin, nicht weit von dem Reichstagsgebäude, wurde am helllichten Tag ein Tschetschene aus Georgien erschossen. Zelimkhan Khangoshvili wurde von Russland des Terrorismus verdächtigt und stand jahrelang auf der Fahndungsliste. In Deutschland hatte er Asyl erhalten. Haben Sie dieses Thema auch in ihren Gesprächen in Moskau oder in Grosny aufgegriffen?

Nicht direkt. Ich bin dort für den Europarat unterwegs und nicht aus der Perspektive des nationalen Parlamentariers. Inoffiziell hat das eine Rolle gespielt. Nicht bei den offiziellen Gesprächen. Das ist zunächst eine bilaterale Angelegenheit zwischen Deutschland und Russland.

Der Mord in Berlin erinnert an die Vergiftung des russischen Ex-Spions Sergej Skripal in Großbritannien. London reagierte damals schnell. Berlin wartet. Auch ihre Partei, die Teil der Regierungskoalition ist, wartet. Haben Sie eine Erklärung, warum?

Ich habe keinen aktuellen Stand der Erkenntnisse. Die Prozesse rund um Tschetschenien sind schwierig zu analysieren. Es gibt so viele unterschiedliche Akteure mit unterschiedlichen Interessen. Die deutschen Behörden müssen jetzt Aufklärung leisten. Wären staatliche Stellen aus einem anderen Land beteiligt, wäre das natürlich ein skandalöser Vorgang, vergleichbar mit der Entführung eines Vietnamesen vor zwei Jahren in Berlin. Das hat zu deutlichen diplomatischen Konsequenzen geführt. Aber ich will nicht spekulieren. Was wir sagen können ist, dass Auseinandersetzungen rund um Tschetschenien und mit Tschetschenen eben auch auf dem Boden anderer Staaten ausgetragen werden. Das ist in hohem Maße besorgniserregend.

Ein Tschetschene wurde in Berlin am 23. August erschossen: Polizei am Tatort
Ein Tschetschene wurde in Berlin am 23. August erschossen: Polizei am Tatort Bild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Der Familie des Ermordeten Zelimkhan Khangoshvili droht jetzt die Abschiebung. Ein erst 19-jähriger Tschetschene wurde am Tag des Mordes an Russland ausgeliefert, obwohl er hier Schutz suchte und einen Ausbildungsplatz hatte. Einem anderen jungen Tschetschenen droht ebenfalls die Abschiebung, obwohl sein Bruder als bekannter Kadyrow-Kritiker öffentlich Todesdrohungen erhalten hat. Auch die russische Menschenrechtsorganisation Memorial hat Kritik an den deutschen Behörden geäußert und aufgerufen, Abschiebungen aus Deutschland anzuhalten. Wie stehen Sie dazu?

Es ist immer schwierig, Asyl-Entscheidungen zu treffen. Und eigentlich dürften die Entscheidungen nur Menschen treffen, die umfassend spezifische Situationen in den einzelnen Ländern verstehen. Das ist schwierig, sowohl für die Entscheider im BAMF als auch für die Verwaltungsrichter. Trotzdem ist es natürlich wichtig, alles tun, um der Lage weitgehend gerecht zu werden. Bei Tschetschenien ist die Lage nun wirklich sehr unübersichtlich. Manchmal geht es wirklich hin und her bei der Frage, wer eigentlich Opfer und wer Täter ist. Insgesamt halte ich es aber nicht für nachvollziehbar, dass die Anerkennungsquoten in letzter Zeit deutlich zurückgegangen sind. Wir müssen schnell zu einer genaueren Bewertung der Lage in Tschetschenien kommen. Die entscheidenden Instanzen müssen verstehen, wie diese Gesellschaft funktioniert. Und dann kann ich mir nicht vorstellen, dass man Menschen, die massivsten Drohungen für Leib und Leben ausgesetzt sind, nach Russland abschiebt.

Frank Schwabe (48) ist ein deutscher Politiker (SPD) und Mitglied des Deutschen Bundestages. Er ist Vorsitzender der SPD-Delegation und stellvertretender Leiter der deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats.